Tschaikowski war der Auslöser

Von Andi Hörmann · 04.04.2013
Für seine Filmmusik zum Kinoerfolg "Wer früher stirbt ist länger tot" von Markus H. Rosenmüller wurde Gerd Baumann 2007 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Seitdem entstanden viele weitere Kompositionen - produziert in einem Hinterhof-Tonstudio im Münchener Glockenbachviertel.
Das leise Knirschen der Schritte auf dem Gehweg, das Brummen der Autos, das Knattern der Trambahn. Tiefe und hohe Töne - leise verhallen sie am späten Vormittag in der Müllerstraße in München. Ein wuchtiges Holztor, Hinterhof, Rückgebäude. Auf dem Klingelschild steht ´Millaton`: Das Tonstudio von Gerd Baumann.

Am Eingang links, hinter einer Lamellen-Schranktür versteckt: die Kaffeeküche. In der Ecke: Couch und Tisch. Direkt gegenüber: eine Leinwand für Filmprojektionen. Vor ihr sitzt Gerd Baumann an seinem Arbeitsplatz. Mit allerlei elektronischen Gerätschaften bearbeitet er Töne und Melodien zu den bewegten Bildern an der Wand.

"Der Computer ist das Herzstück. Die Teile hier sind Mikrofon-Vorverstärker ... Das sind Mugerfooger, so analoge Effektgeräte ... Das sind einfach Controller, so eine Art Mischpult... Das sind digitale Wandler... Das ist eine Lampe." (lacht) "Es ist relativ dunkel und kalt. Jeder, der hier reinkommt friert und ich bin da schon so daran gewöhnt. Ich mag das ganz gern: So leicht frösteln. Da freut man sich wieder auf das Warme."

Kühl: die Raumtemperatur. Erwärmend: die Leidenschaft für Zwischentöne beim Komponieren von Filmmusik. Für den Musiker und Komponisten Gerd Baumann ist das Kino eine Inspirationsquelle.

"Mir ist das egal, ob ich jetzt sozusagen alleine unter einem Baum sitze und mir eine gute Idee kommt, oder ob ich jetzt einen Film schaue, der mir zusagt und irgendetwas auslöst in mir. Der Grund ist eigentlich egal - ich mach halt Musik."

Die Haare: schulterlang gelockt. Der Vollbart: am Kinn spitz zulaufend. Schlank und hochgewachsen die Figur. Gerd Baumann wirkt mit seinem aus der Zeit gefallenem Erscheinungsbild wie ein Troubadour - eine Art höfischer Dichter und Sänger eines mittelalterlichen Adelsgeschlechts. Seine Begeisterung für die großen musikalischen Gesten, versehen mit feinen emotionalen Harmoniebögen, hat er schon in jungen Jahren für sich entdeckt.

"So mit zehn oder elf war ich mit meiner Schwester und meiner Mutter in der Oper und hab Eugen Onegin gesehen - von Tschaikowski. Und das war eine Erfahrung, die mich richtig erschüttert hat. Das war so neu und so bombastisch und so magisch und so groß und so anders... Dass ich mir gedacht habe: Die Welt der Musik, die gibt es. Da kann man vielleicht rein. Wenn man darauf hinsteuert und darauf hinarbeitet."

Gerd Baumann ist 1967 in Forchheim bei Erlangen geboren und wächst in einem Münchener Vorort auf. Seine erste Theatermusik schreibt er mit Anfang 20 - eine Fünfzigerjahre-Revue nach Georg Büchners ´Leonce und Lena`. In den 90er-Jahren studiert Baumann Gitarre und spielt in der Live-Band von Konstantin Wecker. Für die Münchner Biennale 1995 dann die erste große Komposition für die Bühne: Für den Monty-Python-Regisseur Ian MacNaughton schreibt er eine Oper im Zirkus-Stil. Die Musik: mehr Tom Waits als Tschaikowski.

"Inhaltlich und von der Arbeit eine grandiose Erfahrung aber von den Pressereaktionen ein Desaster. Die haben mich hinterher total fertig gemacht. Da hat es geheissen: Die Musik von Baumann klang so, als hätte man warmes Bier in kalten Kaffee gegossen."

2005 vertont Gerd Baumann das Kinodebüt von Marcus H. Rosenmüller: ´Wer früher stirbt ist länger tot.` Die Geschichte von einem Kind in den Mühlen des ländlichen Katholizismus.

"Dieser kleine Junge in dem Film, der ununterbrochen Fragen stellt, der fast schon sokratisch unterwegs ist... Dadurch dass der so umtriebig ist und so ein wilder Kerl, bringt der andere Leute dazu, ständig sich selbst zu hinterfragen. Dann habe ich so Lieder geschrieben, mit so quasi philosophischen Texten. Und die waren eigentlich die Grundlage für die Filmmusik."

Bis dato hat Gerd Baumann für alle neun Rosenmüller-Filme die Musik geschrieben. 'Räuber Kneißl', 'Sommer in Orange', 'Wer`s glaubt wird selig'. Neue Heimatfilme aus dem bayerischen Hinterland - ein wiederbelebtes, verstaubtes Kino-Genre. Mittlerweile ist aus der Zusammenarbeit mit Rosenmüller eine enge Freundschaft entstanden: Sie bewohnen gemeinsam ein Haus auf dem Land und schreiben musikalische Gedichte, die sie auf Kleinkunstbühnen performen. Fast: Eine Künstler-Kommune.

"Ich weiß nix Freund / Von keiner Hölle / Hab sie mir nicht ausgedacht / Doch glaub ich / Wenn sie keiner wölle / Gäb`s nur Himmel, Tag und Nacht"
Tag und Nacht sitzt Gerd Baumann oft auch in seinem 'Himmel voller Gitarren' - dem Tonstudio in der Müllerstraße in München. Ein Rückzugsort und Kreativ-Pool mit unzähligen Saiteninstrumenten an den Wänden.

In einer Ecke steht eine Orgel. Auf einem Beistelltisch: ein Harmonium. Jahrmarkt-Charme, Trödelmarkt-Accessoires und High-End-Studiotechnik. Von einem Schrank zieht Gerd Baumann eine übergroße Zirkustrommel mit gut einem Meter Durchmesser - zufällig entdeckt in einem Antiquitätenladen in der Nähe seines Studios im Münchener Glockenbachviertel.

"Die klingt ganz großartig. Ein ganz spezieller Sound."

Zirkus-, Messing-, oder Volksmusiktrommel. Egal. Bei Gerd Baumann überschneiden sich die musikalischen Zwischenwelten: bayerische Wurzeln, Münchner Heimat, zuhause in der Musik.

"Ich habe zwar hier immer gelebt, habe mich aber nie als Münchener gefühlt. Aber ich habe jetzt so viel in der Stadt gearbeitet und so viel erlebt, dass ich mich mittlerweile total als Münchener fühle."
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