Trübe Aussichten

Von Reinhard Kreissl |
Verehrte Hörerinnen des Politischen Feuilletons. Dies ist die Stimme eines Exemplars, das möglicherweise einer gefährdeten Spezies angehört. Die deutschen Männer sind am Ende. Ach und die Frauen übrigens auch. Beide sind auf dem absterbenden Ast der Evolution und bald wird es noch schlimmer werden. Warum?
Nachdem wir erst vor kurzem hören mussten, dass die Deutschen zu alt und die Alten in Deutschland zu viele werden, erfahren wir jetzt, dass es in diesem Land auch zu wenige Kinder gibt.

Die Menetekelmaler sind unter uns. Der bekannte Evolutionsbiologe Frank Schirrmacher von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung diagnostiziert in seinem neuen Buch bereits eine Umprogrammierung unseres biologischen Codes, der zum finalen Geburtenrückgang führt. Götterdämmerung ist angesagt. Wir pflanzen uns nicht fort und halten die Familie nicht mehr in Ehren.

Alles ist durcheinander geraten. Durch die Feminisierung unseres Bildungswesens – überall nur Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen - sind die armen Jungs, die zu Hause von ihren allein erziehenden Müttern vernachlässigt werden, einer weiblichen Übermacht ausgesetzt, die jede Männlichkeit im Keim erstickt. Zahlen sind als Beleg zur Hand: die Sonderschulen – voll mit Jungs. Unter den so genannten Problemschülern - kaum Mädchen. Angst und Bange könnte einem da werden. Obwohl wir es ja schon immer wussten: Aus strikt evolutionstheoretischer Sicht ist die Produktion von Männchen ein ziemlicher Luxus.

In der Tier- und Pflanzenwelt hat sich der sexuelle Dimorphismus, also die Fortpflanzung durch zwei Geschlechter, nicht immer als die optimale Strategie durchgesetzt. Es gibt andere Möglichkeiten, für die ausreichende Variation des Genpools zu sorgen. Mediziner warnen uns zudem, dass im langfristigen Durchschnitt die Qualität der männlichen Spermien immer schlechter wird. Vielleicht liegt das an unserem Essen. Wer sich von Zuchtlachs und Tierfleisch aus Massenhaltung ernährt, der braucht sich nicht zu wundern, dass die damit einhergehende Dauergabe von Antibiotika ihm irgendwann einen Strich durch die Reproduktionsrechnung macht. Der deutsche Mann: Er starb kinderlos an der Vogelgrippe, aber hat dafür sein Leben lang gut und preiswert gegessen.

Der neuerdings mit bio-wissenschaftlicher Seriosität erhobene sorgenvolle Ton zeigt Verschiedenes. Erstens: Wenn es zu einem originellen Gedanken nicht reicht, dann kann man als Autor stets noch den Westentaschenapokalyptiker geben. Irgendein fürchterlicher Trend, der das Ende des Abendlandes einläutet, lässt sich immer finden und eine willfährige Medienmaschine, die jeden Unsinn mit Freuden aufnimmt, solange er nur Zunder in den tristen Alltag der Mehrheit bringt, steht zu auflagensteigernder Symbiose bereit.

Zweitens: Die Apokalypse taucht, um es im Jargon der Zeit zu sagen, in phänotypisch verschiedenen Varianten auf. Angst vorm Untergang ist als Modus der Herrschaftssicherung im genetischen Programm aktivierbar. Aber wovor sollen wir uns heute fürchten? Auf diese Frage gibt es, je nach politischem und kulturellem Klima, nach Stand der aktuellen gesellschaftlichen Machtverhältnisse und ideologischen Erfordernisse ganz verschiedene Antworten. Mal mangelt es an Disziplin, mal an Kreativität, mal sollen die Frauen wieder hinter den Herd und der Mann als Alleinverdiener an die Front, mal muss das brachliegende Potential der deutschen Frau auch im Produktionsprozess genutzt werden.

Die Formulierung entsprechender Thesen geschieht je nach dem einmal in eher naturwissenschaftlichem, einmal in eher gesellschaftswissenschaftlichem Jargon. Wer Zeitung liest und Fernsehen schaut, weiß, dass im Moment die Biowissenschaften das Deutungsmonopol übernehmen. Sie treten in die Fußstapfen der neo-klassischen Ökonomie, die ihrerseits die gesellschaftskritisch argumentierenden Sozialwissenschaften beerbt hat. Erst waren es die gesellschaftlichen Verhältnisse, dann der Markt und jetzt eben die über die Biologie erschlossene menschliche Natur, die das Übel erklären und vielleicht auch die Lösung bereithalten. Der Mann begegnete uns dementsprechend als repressiver Phallokrat, als kluger Nutzenmaximierer und jetzt eben als reproduktiver Versager in der Sackgasse der Evolution. Jedem dieser Hampelmänner lässt sich das passende Mäntelchen umhängen. Im Moment ist die Rückkehr zu den scheinbar in der Natur angelegten Traditionen angesagt. Die Familie - ein bewährtes Erbe von Mutter Natur; unsere Gene - ein ehernes Naturgesetz, dem wir uns zu fügen haben. Wir selbst - Produkte eines ewigen Programms, an dessen Entschlüsselung die neuen Biowissenschaften fieberhaft arbeiten. Weitere Forschungen sind notwendig.

Wir hatten das alles schon mal in anderen Varianten. Also gönnen wir unseren blinden Sehern der Apokalypse den Platz im Spätabendprogramm der Kultursendungen, legen die Bücher über den Untergang der Gattung beiseite und tun, was Männer immer schon getan haben, denn ein paar Dinge aus unserem biologischen Erbe wollen wir doch nach wie vor beibehalten.


Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u. a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist."