Trotz

Nicht zu verwechseln mit Haltung

10:56 Minuten
Eine junge Frau in einem Einhorn-Kostüm mit verschränkten Armen schaut trotzig in die Kamera.
Kinder durchlaufen im Alter von vier Jahren eine Trotzphase. Danach spricht die Neurowissenschaft von "hartnäckigem Beharren auf dem, was man will". © imago / Westend61 / R. Bellevue
Von Lydia Heller · 10.04.2021
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Trotzigkeit, das gibt es nicht nur bei Kindern. Man denke nur an Seehofer und seine Impfverweigerung. Dabei sollten Erwachsene über solch ein Verhalten längst hinaus sein, meint die Neurowissenschaft. Trotz kommt in der Politik allerdings häufiger vor.
Trotz ist eine wichtige Phase im Leben von Kindern im Alter von vier Jahren. Da wird ein Weltverhältnis geprobt, das eigene Wollen in den Kontext von Wünschen und Bedürfnissen anderer gesetzt. Trotz ist der Ausgangspunkt, das Unvermögen beides zusammenbringen zu können.
Erwachsene sollten das eigentlich können. Deshalb definiert die Neurowissenschaftlerin Nicole Strüber Trotz hier anders, als "das hartnäckige Beharren auf dem, was man will, auch dann, wenn irgendetwas dagegenspricht. Wenn sachliche Argumente zum Beispiel dagegensprechen oder irgendwelche Bedingungen, dann leistet man Widerstand aus dem Gefühl heraus, eben recht zu haben."

Trotz aus toxischer Männlichkeit heraus

Diesem Gefühl ist Marina Weisband, einst Geschäftsführerin der Piratenpartei, nun bei den Grünen, öfter begegnet: "Es gibt politisch diese Trotzhaltung zum Beispiel: Ich habe etwas gesagt und mir wurde jetzt zwar das Gegenteil bewiesen, aber ich bleibe dabei. Oft entsteht dieser politische Trotz auch aus toxischer Männlichkeit, also dem Bedürfnis, den starken Mann markieren zu müssen: Ich lasse mir doch nicht von Virologen sagen, wie ich zu regieren habe."
Zu einer Haltung sieht Weisband da einen Unterschied, Haltungen können sich ändern, ohne dass das Menschenbild dabei ein anderes wird: "Ich habe selber mal gesagt, dass wir erst Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erreichen, wenn wir aufhören, Frauen wie Vieh zu zählen. Mein Statement gegen die Quote. Und seitdem habe ich diese Meinung geändert und ich bin Befürworterin der Quote geworden. Aber aus demselben Menschenbild heraus: Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Aber ich habe nach Beschauen der Datenlage gesehen, mein Ziel ist besser zu erreichen mit diesem Mittel."

Kompromisslosigkeit ist nicht immer Trotz

Eine Meinung zu korrigieren, das kann durchaus eine Haltung sein. Und Kompromisslosigkeit ist nicht immer Trotz. Wann wo Kompromisse möglich sind, hängt auch von der Macht des Gegenübers ab. Wie die einstige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth erklärt, die heute Kommunalpolitik mit ihrer Partei ÖkoLinx macht: "Dieses Jahr 1977 war sehr wichtig für mein Verhältnis zu dieser Gesellschaft. Da sind so viele Sachen passiert, die nicht in Ordnung waren, dass am Ende des Jahres ich ein anderer Mensch war als am Anfang und gesagt habe: Okay, wenn die Spielregeln so sind, dann muss ich mich so gut stärken, wie ich kann. Im Kopf und in der Denkweise – dass ich’s mit diesen doch sehr mächtigen Kräften zusammen mit anderen aufnehmen kann."
In der Welt der Erziehungsratgeber gibt es wegen dieser Machtverhältnisse übrigens den Vorschlag einer "bedürfnisorientierten" Erziehung. Dahinter verbirgt sich eine einfach Idee: die Suche nach Kooperation.
(md)
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