Triumph des Außenseiters

Von Peggy Fuhrmann · 09.11.2005
Alfred Wegener ist für die Geowissenschaften so etwas wie Galileo Galilei für die Astronomie oder Charles Darwin für die Biologie. Denn seine Idee von der Kontinentalverschiebung lieferte Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Vorlage für die Plattentektonik, die in den 70er Jahren die Geologie und Geophysik revolutioniert hatte.
"In den Morgenstunden überraschte das Beben die Menschen und verschüttete viele in ihren Häusern. "

Kaschmir im Oktober 2005.

"Es war fast eine Minute, die dieses erste schwere Beben angedauert hat und ich denke, da war vielen von uns klar, dass hier wirklich eine Katastrophe passiert."

Ein Erdbeben der Stärke 7,7 auf der Richterskala hat die Region erschüttert.

Augenzeuge: "Ich war in der Schule, und dann hat der Boden plötzlich angefangen zu wackeln, und ich bin hingefallen und dann bin ich ganz schnell rausgerannt. Ich war nicht da, als die Erde bebte. Als ich wieder hierher kam, war mein Haus weg. Aber mein Vater ist nicht wieder heraus gekommen. Er war wohl zu alt."

Die Ursache der heftigen Erschütterungen: Die indisch-australische Erdkrusten-Platte drückt gegen die Eurasische Platte und taucht unter dieser ab. Im Laufe der Zeit bauen sich bei diesem Prozess Spannungen im Gestein auf, die sich schließlich in Erdbeben entladen. Als Folge dieser Kollisionen gewaltiger Gesteinsmassen entstand einst der Himalaya – das größte Gebirge der Erde.

"Ganze Dörfer sind von der Landkarte verschwunden. Ganze Familien, ganze Clans ausgelöscht. Und die größte Stadt im pakistanischen Teil Kaschmirs Muzafarrabad, ist fast völlig zerstört. Es ist die Stadt des Todes, sagen die Menschen, die die Katastrophe mit erlebt haben."

Erdbebenwellen. Die unterirdischen Schwingungen lösen ein dumpfes Grollen aus, das sich mit dem Krachen berstenden Felsgesteins mischt. Mehr als eine Million Bodenschwankungen pro Jahr registrieren Geowissenschaftler an ihren weltweit 5000 Beobachtungsstationen. Etwa 100 dieser Beben sind so stark, dass sie Schaden anrichten. Welche Regionen besonders bedroht sind, ist heute bekannt.

Jochen Zschau: "Wir können im Detail drei große Erdbebengürtel unterscheiden."

... erklärt Professor Jochen Zschau, Leiter der Abteilung Physik der Erde im Geoforschungszentrum Potsdam.

Jochen Zschau: "Einmal den zirkumpazifischen Gürtel, also rund um den Pazifik herum haben wir eine Plattengrenze, dann den Gürtel, der etwa von den Azoren nach Osten ausgeht über den Mittelmeerraum, über den Himalaya hinweg wiederum bis zum Pazifik, und dann der dritte Gürtel, die mittelozeanischen Rücken, untermeerische Gebirge, an denen der Ozeanboden sich aufweitet, an denen heißes Material aus dem Erdmantel aufsteigt. "

Die Erdkruste besteht aus sieben größeren und einer Reihe kleinerer Platten, die unablässig gegeneinander stoßen, untereinander abtauchen oder aneinander vorbeischrammen. Die Platten bewegen sich nicht gleichmäßig. Immer wieder verschieben sie sich ruckartig, um aufgestauten Druck auszugleichen - oder zurückgebliebene Bruchstücke rücken plötzlich nach. Dann bebt die Erde. Die Ränder der Erdkrusten-Platten sind die Unruhezonen unseres Planeten. Dort stehen die meisten Vulkane. Und dort entwickeln sich Erdbeben oder auch Seebeben, die Tsunamis auslösen können. Diese Zusammenhänge kennen wir heute. Doch noch vor wenigen Jahrzehnten galten Erdbeben und Vulkanausbrüche als örtliche Phänomene. Ihre Ursache blieb verborgen.
Erst die Theorie der Plattentektonik offenbarte die Zusammenhänge, erklärt Professor Onno Oncken vom Geoforschungszentrum Potsdam. Er untersucht die Vorgänge an den Plattenrändern:

Onno Oncken: "Das war ein sehr starker Durchbruch, der in den 60er Jahren lief und sehr schnell begleitet wurde von neuen Beobachtungen, die aus ganz verschiedenen Richtungen Stützen lieferten. Ob das die Verteilung der Erdbeben war auf unserem Planeten, oder die Verteilung von so genannten heißen Flecken, über die die Erdplatten hinweggleiten wie etwa in Hawaii, Beobachtungen, die sehr schnell uns gelehrt haben, dass wir das erste Mal über eine Theorie verfügten, die völlig verschiedene geologische Phänomene zusammenbrachte. Von Erdbeben über Vulkane über langfristige geologische Prozesse wie die Bildung von Gebirgen bis hin zur Bildung von Lagerstätten, wie sie für die Menschheit eben von besonderer Bedeutung ist."

Nachdem sie die Ursache all dieser Phänomene erkannt hatten, konnten die Wissenschaftler beginnen, die Details zu erforschen. Mit dem Ziel, die Abläufe in der Erdkruste besser zu verstehen. Dieses Wissen soll auch helfen, Menschen vor Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen zu schützen. Diese gesamte Forschungsrichtung fußt auf der Theorie der Plattentektonik. Das Erstaunliche: Diese Theorie setzte sich erst in den 60er Jahren durch – obwohl sie in ihren Grundzügen bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ausgearbeitet war. Ein halbes Jahrhundert lang blockierte die etablierte Geowissenschaft die weitere Entwicklung, indem sie die Theorie der Kontinentaldrift heftig bekämpfte.

Rückblick. Frankfurt am Main, Januar 1912. Im Senckenbergmuseum treffen sich Deutschlands Geologen zu ihrer jährlichen Hauptversammlung. Eingeladen ist auch der Meteorologe Alfred Wegener, der "neue Ideen über die Herausbildung der Großformen der Erdrinde" vortragen will. Der junge Mann, Privatdozent an der Universität Marburg, tritt vor das Auditorium und beginnt:

"Im Folgenden soll ein erster roher Versuch gemacht werden, die Großformen unserer Erdoberfläche, das heißt, die Kontinentaltafeln und die ozeanischen Becken durch ein einziges umfassendes Prinzip genetisch zu deuten, nämlich durch das Prinzip der Beweglichkeit der Kontinentalschollen."

Im Saal wird es unruhig. Die Geologen trauen ihren Ohren nicht. Jeder von ihnen hat im Studium gelernt, dass Kontinente und Ozeane seit Urzeiten fest und unverrückbar ihren Platz einnehmen. Wie kommt dieser junge Meteorologe auf die Idee, zu behaupten, dass sich die Kontinente bewegen? Kaum hat Wegener geendet, bricht sich der Unmut der Geologen Bahn:

"Phantasiegebilde ... die wie eine Seifenblase vergehen."

"Bloße Gedankenspielerei"

"Fieberphantasien des von Krustendrehkrankheit und Polschubseuche schwer Befallenen."

"Völliger Blödsinn!"

Rolf Emmermann: "Das ist häufig so, wenn Außenseiter – Wegener war ja nicht Geologe von Haus aus, er war ja Meteorologe und war Wissenschaftler auf einem etwas anderen Gebiet der Geowissenschaften, wenn Außenseiter dann kommen und einem Geologen sagen wollen, das ist meine Interpretation jetzt, hört mal, ihr müsst eure Erde vielleicht mit ganz anderen Augen sehen als ihr das bisher in euren Hypothesen und Modellen tut, dann denkt jeder erstmal, na ja, er versteht vielleicht sein Gebiet, aber er soll sich doch raus halten aus dem, was wir eigentlich über Generationen überbracht bekommen haben."

So erklärt Professor Rolf Emmermann, der Leiter des Geoforschungszentrums Potsdam, die heftige Ablehnung. Allgemein anerkannte Lehrmeinung war damals, dass die Kontinente unverrückbar fest stehen, die Erdkugel insgesamt aber schrumpfe, weil sich das glutheiße flüssige Erdinnere stetig weiter abkühle und verfestige. Und wie bei einem schrumpelnden Apfel die Haut Runzeln wirft, würde die Erdkruste Falten bilden. Das seien die Gebirge. In dem damaligen Standardwerk "Das Antlitz der Erde” hatte der Geologe Eduard Suess diese Theorie anschaulich erläutert. Und das Fazit gezogen:

"Der Zusammenbruch des Erdballes ist es, dem wir beiwohnen."

Wie also kam Wegener auf die kühne Idee, diese Theorie als grundlegend falsch zu verwerfen? Er selbst erklärte später, der Gedanke sei ihm erstmals 1910 gekommen, als er plötzlich bei der Betrachtung der Weltkarte eine merkwürdige Übereinstimmung der Küstenlinien bemerkte. Damals schrieb er an seine Verlobte Else Köppen:

"Sehen Sie sich doch bitte mal die Weltkarte an: Passt nicht die Ostküste Südamerikas genau an die Westküste Afrikas, als ob sie früher zusammen gehangen hätten? Noch besser stimmt es, wenn man die Tiefenkarte des Atlantischen Ozeans ansieht und nicht die jetzigen Kontinentalränder, sondern die Ränder des Absturzes in die Tiefsee vergleicht. Dem Gedanken muss ich nachgehen."

Alfred Wegener war nicht der Erste, dem die Kongruenz der Küstenlinien auffiel. So äußerte bereits Alexander von Humboldt Mitte des 19. Jahrhunderts in seinem Werk "Kosmos” die Ansicht, dass der Atlantische Ozean durch "Talbildung” entstanden sei und stützte diese Annahme unter anderem auf den "Parallelismus der Küsten” von Südamerika und Afrika. Er schloss seine Beobachtungen mit der Feststellung:

"Über den Kausalzusammenhang solcher großer Begebenheiten der Länderbildung, der Ähnlichkeit und des Kontrastes in der Gestaltung ist wenig empirisch zu ergründen. Wir kennen nur das eine: dass die wirkende Ursache unterirdisch ist."

Alfred Wegener spürte als erster Wissenschaftler den eigentümlichen geologischen Phänomenen nach. Und er fand neben der Ähnlichkeit der Küstenkonturen eine Reihe weiterer Indizien, die seine These stützten, dass die Kontinente einst beieinander lagen: Gebirge auf einander gegenüberliegenden Kontinenten bestehen aus exakt dem gleichen Gestein, außerdem belegen fossile Funde, dass die gleichen Tier- und Pflanzenarten auf benachbarten Erdteilen lebten. Wie hätten sie sich über riesige Ozeane hinweg verbreiten sollen? Es musste eine Landverbindung existiert haben. Dieser Ansicht waren zwar auch die meisten etablierten Geologen, doch sie erklärten das Phänomen auf andere Weise: Vor Jahrmillionen hätten Landbrücken die Kontinente verbunden, über die sich Pflanzen und Tiere ausbreiten konnten. Und diese Brückenkontinente seien inzwischen in den Ozeanen versunken.

"Ein Kontinent kann nicht versinken, denn er ist leichter als das, worauf er schwimmt. Ein solches freies Absinken von einer Hauptstufe der Erdrinde zur anderen ist eine physikalische Unmöglichkeit, wogegen sich die Geologie auf die Dauer nicht wird verschließen können."

... hielt Wegener dagegen. Und schlug vor:

"Überall, wo wir bisher alte Landverbindungen in die Tiefen des Weltmeeres versinken ließen, wollen wir jetzt annehmen, dass die beiden Kontinentalschollen früher dicht nebeneinander lagen, ja eine einzige Tafel gebildet haben, und dass ihre Teile erst durch eine Spalte voneinander getrennt und dann durch einstweilen unbekannte Kräfte im Laufe geologischer Zeiträume bis auf ihre heutige Entfernung voneinander fortgezogen wurden."

Wegener kam zu dem Schluss, dass die Erde vor mehreren hundert Millionen Jahren aus einem einzigen Superkontinent bestanden hatte, der von einem gewaltigen Ozean umgeben war. Im Laufe der Jahrmillionen hätten noch unbekannte Kräfte diesen Urkontinent, den Wegener Pangäa nannte – ganze Erde - auseinander gerissen. Seine Gegner überzeugte dieses kühne Gedankengebäude jedoch nicht.

"Man kann im Vorhandensein gleichartiger Gebirge auf beiden Seiten des Atlantischen Ozeans einen Einwand gegen Wegeners Hypothese beseitigen, aber keinesfalls einen 'Beweis' für deren Richtigkeit finden."

... urteilte einer der damals führenden Geografen Deutschlands, Professor Albrecht Penck. Und der britische Geologe Philipp Lake tadelte:

"Wegener sucht nicht die Wahrheit. Er verficht eine Sache und ist blind und taub gegen jeden Umstand und jedes Argument, das dagegen spricht."

Der Geologe Max Semper forderte den Meteorologen und Polarforscher Wegener sogar auf...

"... die Geologie nicht weiter zu beehren, sondern Fachgebiete aufzusuchen, die bisher noch vergaßen, über ihre Tür zu schreiben: 'Oh heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andere an!'"

Jörn Thiede: "Alfred Wegener hat sicher so große Schwierigkeiten gehabt, weil er jung und unkonventionell war, jung und konventionell dachte und sich damit in einen Gegensatz zu den etablierten Ordinarien brachte. Und ich kann mir nur vorstellen, dass da auch Neid existierte. Und ja, das erlebt man vielleicht heute auch noch. Wenn irgendjemand mit einer sehr aufregenden Hypothese, die nur teilweise belegt werden kann, auftritt, dass dann auch die Krähen über einen herfallen. Nicht."

... versucht der Direktor des Alfred-Wegener-Institutes, Professor Jörn Thiede, die oft unsachliche und heftige Kritik zu erklären. 1929 veröffentlichte Wegener die vierte Auflage seiner Kontinentaldrift-Theorie. Kurz darauf brach er zu einer Forschungsreise nach Grönland auf, von der er nicht mehr zurück kehrte. Wegener starb nach einem äußerst Kräfte zehrenden Fußmarsch durch das Eis, nur wenige Tage nach seinem 50. Geburtstag. Eine spätere Untersuchung ergab, dass er wohl einem Herzanfall erlegen ist.

Nach Alfred Wegeners Tod geriet die Kontinentaldrift-Theorie fast in Vergessenheit. Doch als in den 50er Jahren Wissenschaftler begannen, die Ozeanböden genau zu erkunden, entdeckten sie merkwürdige Phänomene, die Wegeners Theorie in neuem Licht erscheinen ließen. Nach früheren Tiefenmessungen hatte man bereits vermutet, dass sich inmitten der Ozeane über Tausende von Kilometern gigantische Gebirgszüge erstreckten. Mit neuen, sehr viel genaueren Messmethoden stellten die Wissenschafter nun fest, dass sich die Kämme dieser mittelozeanischen Rücken zu tiefen Schluchten öffneten. Und sie bemerkten eine weitere Absonderlichkeit:

Rolf Emmermann: "Da hat man beispielsweise gemessen, dass der Ozeanboden ein magnetisches Streifenmuster besitzt. Also Gesteinseinheiten sich abwechseln wie so ein Zebrastreifen, wo die Erde so magnetisiert ist - und die Gesteine - wie das heutige Magnetfeld und dann wieder umgekehrt magnetisiert ist."

... erklärt Professor Rolf Emmermann.

Rolf Emmermann: "Und dann hat man festgestellt, dass, wenn neuer Ozeanboden gebildet wird, dann die Gesteine, die sich bilden, so magnetisiert sind wie das heutige Magnetfeld. Man hat gelernt, dass sich das Magnetfeld unserer Erde immer wieder umpolt. Und das hat man gemessen, indem man einfach ganz systematisch Profile über den Atlantikboden gelegt hat. "

Die Wissenschaftler folgerten, dass aus den Scheitelgraben der mittelozeanischen Rücken stetig Magma aufstieg und immer neuen Meeresboden bildete. "Seafloor Spreading" nannten sie dieses Phänomen des sich ausbreitenden Meeresbodens und entwickelten eine Hypothese: Wenn sich der Meeresboden als Teil der Erdkruste verbreiterte, verschoben sich damit zwangsläufig auch die Kontinente. Gleichzeitig musste an anderer Stelle Erdkruste abgetragen werden, da der Umfang des Planeten ja nicht zunahm. Diese Überlegungen führten schließlich zu einem Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften. Wegeners Theorie der Kontinentaldrift avancierte in der etwas gewandelten Form der Theorie der Plattentektonik zur herrschenden Lehrmeinung.

Onno Oncken erklärt die Unterschiede zwischen Kontinentaldrift und Plattentektonik:

"Wegeners Sicht war diejenige, dass die Kontinente als eigenständige Blöcke durch die Ozeane pflügen gewissermaßen. Bzw. ich sollte nicht sagen die Ozeane, die ozeanische Kruste oder die Kruste unter den Ozeanen. Die Plattentektonik sieht dagegen, dass ozeanische Platten oder Teile der ozeanischen Platten und die Kontinente häufig eine mechanische Einheit bilden, eine Platte. Und tatsächlich bewegen sich Kontinente mit Teilen der ozeanischen Erdkruste als mechanische Einheit auf unserem Planeten. Das ist die entscheidende Weiterentwicklung gewesen."

Doch beschrieb die Theorie vom "Seafloor Spreading" tatsächlich die realen Verhältnisse? Die einzige Möglichkeit das heraus zu finden bestand darin, Bohrkerne aus den Ozeanböden zu ziehen und deren Alter zu bestimmen. Wenn die Überlegungen der Wissenschaftler stimmten, müsste das Gestein auf den Kämmen der Tiefseegebirge jünger sein als das an deren Ausläufern gelegene.

November 1968. Im Hafen von Dakar liegt die "Glomar Challenger”, das von den Amerikanern konstruierte erste Forschungsschiff weltweit, mit dem Tiefseebohrungen möglich sind. Über 50 Männer gehen an Bord: Seeleute, zwei Bohrtrupps - und natürlich Wissenschaftler. Zu ihnen gehört der chinesische Geologe Kenneth Hsü, der später ein Buch über die Fahrten der Glomar Challenger schreibt.

"Wir verließen Dakar am 3. Dezember. Am 12. Dezember kreuzten wir den Äquator und erreichten die "Lokalität 14” acht Tage später. Es war ein aufreizend langsamer Prozess, einen Bohrmeißel, eine Schwerstange und einige Teleskoprohre zusammen zu fügen, die Bohrrohre zusammen zu setzen und schließlich den Bohrstrang duch den Moonpool in der Mitte des Schiffes hinab zu lassen. Wir blieben Tag und Nacht wach und warteten mit Ungeduld. Am frühen Nachmittag des 21. Dezember traf der Bohrmeißel in 4346 Metern Tiefe endlich auf den Boden."

Die Bohrmannschaft schneidet einen neun Meter langen Kern aus dem Ozeansediment. Es ist blassbrauner Schlick, etwa 20 Millionen Jahre alt. Und die nächsten Proben, die die Bohrmannschaft immer weiter entfernt vom Gebirgs-Kamm zieht, sind umso älter, je größer der Abstand zum Kamm wird. Genau wie in der Theorie des "Seafloor Spreading” postuliert. Und:

"Die Vorhersage wurde an der nächsten Lokalität bestätigt, an der übernächsten, an der darauf folgenden und so fort."

Rolf Emmermann: "Das war dann sozusagen auch der Beweis einer Hypothese und damit eigentlich der Durchbruch für die Akzeptanz des Plattentektonik-Modells."

Professor Rolf Emmermann, Leiter des Geoforschungszentrums Potsdam.

Rolf Emmermann: "Tatsächlich hatte man den Mechanismus gefunden, den Wegener nicht kannte, dass nämlich die Ozeane auseinander gehen, dass aber die Kontinente sozusagen auf einem Untergrund mit getragen werden, der bei diesem Auseinandergehen eben auch seitlich bewegt wird. Nur, dann muss man weiter denken, da die Oberfläche ja nicht beliebig größer wird unserer Erde, muss das ja irgendwo auch zu Kollisionen kommen und was passiert denn da. Und das ist ja ganz logisch, wenn Sie Gebirgsbildung haben, dann müssen Bereiche zusammen stoßen, bei denen irgendwo mal Ozean beteiligt ist und auch irgendwann ein Ozean mal verschwinden muss."

Bremerhaven, Ende Oktober 2005. Inmitten der weitläufigen Hafenanlagen und mit Blick über das Wasser stehen die Gebäude des Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung. Dort treffen sich in den Tagen rund um Alfred Wegeners 125. Geburtstag am 1. November Geowissenschaftler aus aller Welt zu einem Symposium. Unter anderem ziehen sie bei dieser Gelegenheit Bilanz, wie die Erforschung der Plattentektonik seit Wegeners Zeit vorangekommen ist – und diskutieren immer noch offene Fragen.

Die Geologen, Geophysiker, Paläontologen und Klimaforscher haben viele Details erstmals überprüft, die Wegener als Belege für die Kontinentaldrift zusammen getragen hatte. Professor Jörn Thiede, Direktor des Alfred-Wegener-Institutes und Leiter des Kongresses:

Jörn Thiede: " Es ist interessant, dass er damals sehr, sehr moderne Ansichten geäußert hat, die er noch gar nicht belegen konnte mit Daten. Und Alfred Wegener ist in der Beziehung sicher den meisten seiner Zeitgenossen so weit voran geeilt, dass sie eben mit Unverständnis auf ihn geschaut haben."

Ein Beispiel: Auslotungen der Ozeantiefen hatten zu Wegeners Zeit erstmals Hinweise auf die untermeerischen Gebirgsrücken gezeigt. Doch die Geowissenschaftler erkannten damals nicht, wie bedeutend diese Entdeckung war. Wegener aber schrieb bereits 1912 über das Phänomen der mittelatlantischen Rücken:

"Diese schienen auch nahe zu legen, die mittelatlantische Schwelle als diejenige Zone zu betrachten, in welcher bei der noch immer fortschreitenden Erweiterung des Atlantischen Ozeans der Boden desselben fortwährend aufreißt und frischem, relativ flüssigem und hoch temperiertem Sima - Silizium-Magnesium - aus der Tiefe Platz macht."

Jörn Thiede: "Und das ist ja genau der Prozess, den wir heute annehmen für das ""Seafloor Spreading", und das ist ganz interessant festzustellen, dass diese Sätze oder diese Zeilen in seinen späteren Publikationen nicht wieder auftauchen. Da waren wahrscheinlich etwas konservativ eingestellte Kollegen, die ihm gesagt haben, junger Dozent, das ist zwar sehr nett mit der Phantasie, aber das nimm mal lieber wieder raus, du hast keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, nicht."

Besonders heftig kritisierten die Geowissenschaftler damals, dass Wegener keine Kraft benennen konnte, welche die Platten bewegte. Doch sogar noch heute sind Details dieser Frage des Antriebs nicht geklärt. Professor Onno Oncken vom Geoforschungszentrum Potsdam erklärt:

"Heute wissen wir zwar grundsätzlich, dass sich der Erdmantel unterhalb der Platten in einer langfristigen, sehr langsamen Bewegung befindet und wie das Wasser in einem Kochtopf konvektiert, sich langsam umwälzt und dabei die Platten an der Erdoberfläche treibt. Wir streiten aber heftig darüber, bis zu welchen Tiefen dieser Vorgang läuft. Ob er den gesamten Erdmantel umfasst, ob er nur den oberen Erdmantel erfasst, ob es vielleicht Instabilitäten gibt zwischen oberem und unterem Erdmantel, die das antreiben. Wir streiten auch darüber, ob die Ursache in erster Linie die Konvektion unten ist im Erdmantel oder die Abkühlung der Platten oben. Die Frage also nach Henne und Ei."

Wie stark sich hingegen die einzelnen Platten bewegen, wissen Geoforscher heute sehr genau. Mit Hilfe von Satellitendaten können sie die Bewegungen der Erde nun sogar in Echtzeit beobachten. Rolf Emmermann vom Geoforschungszentrum Potsdam und Mitorganisator des Wegener-Kongresses:

Rolf Emmermann: "Wir hier bewegen uns zweieinhalb Zentimeter pro Jahr nach Nordosten, das kann man sehr genau messen, es gibt Bewegungen, die sehr schnell sind an Land, vielleicht 15 cm pro Jahr, also in dem Bereich bewegt sich das, von wenigen bis etwa 15 cm pro Jahr. Und das ist ziemlich schnell. Also der Pazifikboden heute vor Südamerika taucht mit über zehn cm pro Jahr unter den südamerikanischen Kontinent. Gleichzeitig wird Südamerika dadurch, dass eben im Südatlantik immer neuer Ozeanboden entsteht, nach Westen verfrachtet und die Anden sind sozusagen das Ergebnis dieses Zusammenstoßes. Nicht, der Pazifikboden stößt mit dem Westrand Südamerikas zusammen und der wird praktisch zusammen geknautscht durch diesen Prozess."

An den meisten Plattenrändern wird kontinentale Erdkruste zerstört. So ist beispielsweise Chile in den letzten 200 Millionen Jahren über 200 km schmaler geworden. Doch unter welchen Voraussetzungen Erdkruste zerstört oder neu gebildet wird, ist noch nicht ganz klar. Professor Onno Oncken:

"Wir verstehen noch viel zu wenig, wie die Massenbilanzen an Plattenrändern sind, und wie kontinentale Erdkruste dabei wächst oder vernichtet wird. Diese Prozesse hängen möglicher Weise – das mag ganz erstaunlich klingen - mit klimaabhängigen Vorgängen zusammen. Ganz einfach gesagt, in einer trockenen Zone auf unserem Planeten, wo wenig Erosion passiert, wenig Sediment in den Tiefseegraben bewegt wird, da wird die kontinentale Erdkruste vernichtet. Wie mit einem Hobel wird von der Unterlage des Kontinents ständig Material entfernt und vernichtet. Wo es nass ist, wo viel erodiert wird, viel Sediment in den Tiefseegraben befördert wird, wachsen unsere Kontinente."

Das geschieht beispielsweise in Sumatra, jener Region, in der Ende vergangenen Jahres der verheerende Tsunami wütete. Und wenn man die aktuellen Satellitendaten fort schreibt, lässt sich abschätzen, wie die Erde in ferner Zukunft aussehen könnte. Ein Beispiel: In vielen Millionen Jahren wird Afrika mit Europa zusammen stoßen. Rolf Emmermann nennt die Ursache:

"Weil Afrika sich nordwärts bewegt schon lange. Die Alpen sind ein Produkt davon, und wenn wir so weiter machen – oder wenn Afrika so weiter macht, wird das Mittelmeer irgendwann ein Faltengebirge sein, das kann man ausrechnen, wann das passieren wird. "

Ein Ziel der Wissenschaftler, die Details der Plattentektonik erforschen, besteht darin, Menschen künftig vor Erdbeben und Tsunamis besser zu schützen. Wann löst ein Seebeben einen Tsunami aus? Zuverlässige Warnsysteme lassen sich nur entwickeln, wenn sie die Bedingungen berücksichtigen, unter denen Tsunamis entstehen. Professor Onno Oncken erklärt die Zusammenhänge:

Onno Oncken: "Hier ist einfach die wichtige notwendige Bedingung, dass der Meeresboden unter dem Ozean durch ein Beben angehoben wird oder abgesenkt wird als Folge des Bebens. Verschiebt er sich nur in der Horizontalen, dann passiert nicht so furchtbar viel. Und man braucht natürlich eine bestimmte Bewegungsamplitude, um tatsächlich einen Tsunami triggern zu können, als Faustregel sagt man meistens, dass Beben, die unter dem Ozeanboden stattfinden, mit einer Magnitude von 7 und größer mit sehr sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen Tsunami erzeugen. Schwächere Beben haben meistens das Potenzial dazu nicht."

Tsunami-Wellen benötigen Zeit, bis sie die Küsten erreichen. Deshalb können Mess-Systeme helfen, Menschen rechtzeitig zu warnen. Bei Erdbeben ist das leider noch nicht möglich. Denn bisher haben die Forscher keine frühen Anzeichen entdeckt, die jedem verheerenden Beben vorausgehen. Sicher wissen sie heute nur, in welchen der weltweiten Erdbeben-Regionen besonders starke Beben zu erwarten sind, erklärt Professor Jörn Thiede:

"Zum Beispiel Indonesien. Oder die Subduktionszonen im östlichen Pazifik. Nicht, oder vor Japan zum Beispiel. Da weiß man sehr genau Bescheid, das wird noch weiter untersucht, da wird in Japan zum Beispiel im Rahmen des integrierten Ozeanbohrprojektes ein großes Bohrschiff gebaut, das gerade in den nächsten zehn Jahren diese Subduktionszonen anbohren soll, um etwas über die mechanischen Eigenschaften sich übereinander verschiebenden Platten zu untersuchen, um eben auch die Vorhersagemöglichkeit zu verbessern. "

Die Plattentektonik gibt den Geowissenschaftlern noch immer Rätsel auf, die sie wohl noch lange beschäftigen werden. Doch jene wissenschaftliche Neugier, die diese Forscher antreibt, fehlte offenbar den etablierten Geowissenschaftlern, die vor Jahrzehnten Wegeners kühne Idee heftig bekämpften statt seine Anregungen aufzugreifen. Offenbar fällt es sehr schwer, ein althergebrachtes und allgemein akzeptiertes Weltbild aufzugeben, selbst wenn dieses Weltbild viele Widersprüche zeigt

Max Planck erkannte in dem Beharrungsvermögen des wissenschaftlichen Establishments sogar eine bedauerliche Gesetzmäßigkeit. Er schrieb in seiner Autobiografie:

"Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, dass ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass ihre Gegner allmählich aussterben und dass die heran wachsende Generation von vorneherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist."