Trinkkultur

Naturwein mit Hipster-Image

Helle Weintrauben (Sorte unbekannt) hängen an einem Rebstock auf einem Weinberg bei Oberkirch (Baden-Württemberg), aufgenommen am 28.08.2014.
Winzerin Melanie Drese: "Ein mutiges Trendgetränk. Du hast einfach nicht so viel Kontrolle." © picture-alliance / dpa / Alexandra Schuler
Von Matthias Finger · 22.04.2017
Einfach nur Wein trinken, das war gestern. Naturwein ist das neue Trendgetränk. Ihm wird weder etwas hinzugefügt noch entzogen. Es gibt Bars und Händler, die sich darauf spezialisiert haben. Wir haben Naturwein-Winzer am Main besucht, die sich eher als Weinbegleiter verstehen.
In Kitzingen, einem von Weinbergen umgebenen Städtchen am Main, leben Melanie Drese und Michael Völker. Der studierte Philosoph und seine Freundin haben ihre Jobs in London an den Nagel gehängt, um das alte Weingut seines Vaters zu übernehmen – und auf Naturwein umzustellen. Sie produzieren ihn seit vier Jahren unter dem Namen "2Naturkinder". Der Wein wird unter anderem im "Noma" ausgeschenkt – dem angeblich besten Restaurant der Welt. Wie definiert man Naturwein?

Anarchischer Grundgedanke

"Es gibt keine festgeschriebene Definition. Und das ist gut so. Denn sobald es Regeln gibt, wird versucht werden diese zu umgehen. Naturwein lebt ein Stück weit auch von dem anarchischen Grundgedanken."
Naturwinzer setzen auf Spontanvergärung durch bereits vorhandene, natürliche Hefen. Traditionelle Weinbauer arbeiten hingegen mit zugesetzten Reinzuchthefen, um die Gärung zu kontrollieren. In Deutschland sind hunderte Zusatzstoffe bei der Weinherstellung erlaubt:
"Was relativ üblich ist, ist das mit Gelatine der Most vorgeklärt wird. Es werden Enzyme eingesetzt, um Pektine zu spalten. Hier sind die harten Eingriffe eher schon die Reparatureingriffe mit Aktivkohle. - Was heißt Eingriffe? (Autor) – Ja, im Prinzip, wenn der Wein Scheiße schmeckt, kannst du etwas reinkippen, das dafür sorgt, dass der Wein nach sehr wenig schmeckt. Und wenn du den Wein dann wieder mit einem anderen verschneidest, dann kommt vielleicht doch noch was Trinkbares dabei raus."
Vor allem weil aufs Schwefeln zur Haltbarmachung verzichtet wird, soll der Kater nach einem Naturwein nicht ganz so schlimm sein.
"Mehr Zusatzstoffe bedeuten am Ende mehr Arbeit für die Leber und mehr Belastung. Also mir persönlich geht's besser, wenn ich minimalistischen Wein trinke. Körperlich."
Außerdem schmeckt's ohne Schwefel besser. Weil der Wein nicht komplett abgetötet wird, meint Melanie Drese im großen Weinkeller mit vielen alten Weinfässern:
"Also wir nehmen in Kauf, mit der Art wie wir Wein machen - in Anführungszeichen -, dass sich der Wein auch verändert. Später. Das ist das, was wir eigentlich lieben an unserem Wein. – Der kann auch schlechter schmecken dann, oder? (Autor) - Na schlechter? Es gibt verschiedene Aromen, sage ich mal, die manche Leute nicht als Fehler einschätzen. Du als Mensch, der den Standard eher gewöhnt ist, würdest sagen: Uh, das schmeckt mir nicht! Das ist zwar ein Trendgetränk, aber ein mutiges Trendgetränk. Du hast einfach nicht so viel Kontrolle."
In der Abfüllanlage lassen sich 40.000 Flaschen befüllen. Technik ist erlaubt, aber umstritten. Aber grundsätzlich geht's beim Naturwein um Hand- oder vielmehr Beinarbeit: Im Herbst werden die Trauben auch schon mal mit den Füßen gestampft.
"Es ist dann das Einfachste, die Lesepraktikanten mit kurzen Hosen in die Traubenboxen reinzustellen, Musik anzumachen. Und dann hüpfen die da zehn Minuten, Viertelstunde in jeder Box rum. Und danach ist das schön eingematscht und kann nach ner Stunde Wartezeit auf die Presse."

Vom Winzer zum Weinbegleiter

Wo ist denn dann noch die Kunst des Winzers? Die entscheidende Arbeit findet vor der Lese statt. Danach können sie den Wein nur noch lüften, verschneiden und die niedergeschlagenen Naturhefen wechseln. In Österreich nennen sich die Naturwinzer auch Weinbegleiter. Mehr als abwartendes Begleiten ist nicht möglich.
"Bloß weil man nichts macht, heißt das nicht, dass ein guter Wein bei rauskommt. Ganz im Gegenteil."
Draußen im Weinberg zieht Michael Völker den Vergleich zum Craftbeer. Das wird in kleinen Chargen gebraut und ist angesagt. Wie "handwerklich" hergestelltes Brot. Obwohl das Bäckergewerbe ja schon immer ein Handwerk war. Oder eben Naturwein. Dabei sind Weine ja eigentlich immer Naturprodukte. Oder? In seinem Weinberg sind aber auch Schafe unterwegs, um das Unkraut zu vernichten. Und der Chef düngt noch per Hand.
"Das sieht so aus, das Guano. – Das ist Fledermauskacke? (Autor) - Das ist Fledermauskacke. Sieht aus wie kleine Pellets. – Kann man aber anfassen ohne Probleme? (Autor) – Kann man anfassen ohne Probleme, hat aber riechende Hände. Und dann läuft man den Weinberg herunter und verstreut das ein bisschen."
In Italien, Österreich und Frankreich hat hat die Bewegung zur Befreiung des Weines angefangen. Ende der 70er ging es im Beaujolais mit den Naturweinen los - aus Respekt vor der Natur und aufgrund der Ablehnung anonymer, großindustrieller Praktiken im Weinbau. In Paris und New York sind Naturweine schon lange in.

Junge Konsumentenszene

Deutschland hinkt hinterher. Der Weinverbrauch geht hier zurück. Die alten Weintrinker sterben weg. Und deshalb werden jetzt neue Absatzmärkte erschlossen, erklärt Michael Völker auf der Fahrt vom Weinberg nach Hause. Wie sieht die Konsumentenszene für Naturwein aus?
"Gerade jetzt ist das ein junges Publikum, das keine große Weinvorbildung mitbringt und über den Naturwein erst das Weintrinken lernt. Auf der einen Seite bringen solche Leute nicht so ein vorgefertigtes Urteil mit, wie ein Wein schmecken soll und wie er nicht schmecken soll. Dadurch werden aber auch Sachen toleriert, die man mit Weintrinkerfahrung dann doch nicht mehr als so wahnsinnig angenehm empfindet."
Trotz Hipsterimage hat Naturwein eigentlich nichts Dekadentes. Es ist eher so ein Back-to-the roots – hin zu den Produktionsmethoden, wie sie noch bis zum Zweiten Weltkrieg üblich waren.
Der Basiswein "Fledermaus weiß" von "2Naturkinder" ist ein Cuvée aus Müller-Thurgau und Silvaner. Er schmeckt frisch, wild, nach grünen Früchten und Kräutern, saftig und ganz weich. Nicht nach Kaninchenstall oder Erde – wie das manchen Naturweinen nachgesagt wird. Andererseits war ich von Naturwein auch nicht geflasht und habe trinkfeste Freunde probieren lassen:
"Also der riecht schon mal stärker als normale Weine. – Sieht ein bisschen aus wie Apfelsaft, oder? (Autor) – Genau, das ist so trüb. Leicht Gelblich-Rosé. Das schmeckt eigentlich wie so eine Zwischenstufe zwischen Traubensaft und Wein. Der hat also wirklich auch diese fruchtige Note. Definitiv ein Weißwein, den ich so noch nicht getrunken habe."
Eine Flasche kostet um die 10 Euro. Fast die gesamte Produktion geht ins Ausland. Allerdings wird der Wein auch in einigen Restaurants und Weinbars bei uns ausgeschenkt - in Hamburg, Würzburg und Berlin.
Mehr zum Thema