"Trilogie des Scheiterns" akustisch

Zum Jubiläum "60 Jahre Bundesrepublik" erscheinen die drei Romane "Tauben im Gras", "Das Treibhaus", "Der Tod in Rom", die Wolfgang Koeppens Ruhm begründeten, als Hörspiele. Sie sind ein etwas vergiftetes Geschenk zum Geburtstag. Denn Koeppen stellte der Bundesrepublik schon den Totenschein aus, bevor sie aus den Windeln war.
" Flieger waren über der Stadt, unheilkündende Vögel. Der Lärm der Motoren war Donner, war Hagel, war Sturm. Sturm, Hagel und Donner, täglich und nächtlich. Anflug und Abflug, Übungen des Todes. Ein hohles Getöse, ein Beben, ein Erinnern in den Ruinen. "

Kein anderes literarisches Werk hat so beklemmend den Übergang von der Diktatur zur Demokratie thematisiert wie Koeppens Romane aus den fünfziger Jahren. Es sind wirklich literarische Gründungsurkunden des Landes. Gleichwohl sind die Hörspiel¬bearbeitungen unter Leitung der Regisseure Walter Adler und Leonard Koppelmann ein etwas vergiftetes Geschenk zum Jubiläum. Denn Koeppen stellte der Bundesrepublik schon den Totenschein aus, bevor sie aus den Windeln war.

Seine "Trilogie des Scheiterns" ist der Abgesang auf ein Land, das seine faschistische Erblast nicht bewältigen kann und sich stattdessen dem entfesselten Erwerbssinn widmet. Koeppen sah überall die verhängnisvollen Kontinuitäten in der Politik, in den Eliten. Vor dem Hintergrund der Ost-West-Konfrontation schildert er die Nachkriegszeit als neue Vorkriegszeit: unheimlich die Flieger über der Stadt.

Neben Döblins "Berlin Alexanderplatz" gilt "Tauben im Gras" heute als einer der wenigen modernen Großstadtromane in deutscher Sprache. Das Hörspiel konzentriert sich auf das Zusammenleben von Siegern und Besiegten, Deutschen und – insbesondere – schwarzen Besatzungs¬soldaten in einer kriegszerstörten Stadt, die stark an München erinnert. Dabei kommt es immer wieder zu Konflikten mit rassistischer Begleitmusik, etwa in der Auseinandersetzung von Washington Price mit seiner deutschen Freundin Karla.

" Karla und Washington standen einander gegenüber. Karla schrie. Ihr Gesicht war tränenverschwollen. Washington schlug sie nicht. Gegen seine Brust schlugen Teller und Tassen. Zu seinen Füßen lagen die Scherben. Die Scherben seines Glücks? "Meinst du ich will deinen Bankert haben? Meinst ich will ihn haben? Mit Fingern werden sie auf mich weisen." "

Die Reize von Koeppens komplexer Prosa, einer musikalischen, bildungssatten, mythenverliebten Suada, lassen sich allerdings nur schwer szenisch umsetzen. Dieser Verlust betrifft vor allem "Tauben im Gras". Der beste der drei Romane wirkt im Hörspiel am schwächsten. Das vielköpfige Figurenensemble entwickelt auf seinen labyrinthischen Wegen wenig Faszinationskraft. Es sind eigentlich lauter Nebenfiguren, oft klischeehaft gezeichnet. Im Roman werden sie getragen vom kraftvollen Strom der Sprache. Als auf sich selbst gestellte Gestalten im Hörspiel erscheinen sie dagegen überfordert. Zudem gibt es keinen zentralen Plot, es ereignen sich kaum tragfähige dramatische Verwicklungen. Inszenierungsideen, mit denen sich das wettmachen ließe, entwickelt das Hörspiel kaum.

Überzeugender ist "Das Treibhaus" geraten. Roman und Hörspiel konzentrieren sich auf eine Figur: den Abgeordneten Keetenheuve, einen in die Realpolitik geratenen Idealisten, der in der Debatte um die Wiederbewaffnung das Ende aller Illusionen gekommen sieht und schließlich den Tod im Sprung von der Rheinbrücke sucht. Zwei Stimmen dominieren: Axel Milberg als traurig gestimmter Erzähler und Rüdiger Vogler in der Rolle des Hamlet von Bonn; strenger, zerknirschter im Ton. Ich- und Er-Perspektive geraten so in ständiges Wechselspiel: Keetenheuve im Dauerdialog mit sich selbst, ein Resignierter, aus dem der Autor selbst spricht.

" Er glaubte damals an eine Wandlung. Doch bald sah er, wie töricht dieser Glaube war. Die Menschen waren natürlich dieselben geblieben. Sie dachten gar nicht daran, andere zu werden, weil die Regierungsform wechselte, weil statt braunen, schwarzen und feldgrauen jetzt olivfarbene Uniformen durch die Straßen gingen und den Mädchen Kinder machten. "Es scheitert wieder mal an Kleinigkeiten, an dem zähen Schlick des Untergrundes, der den Strom des frischen Wassers hemmt und alles im Alten stecken lässt.""

Am spannendsten ist das Hörspiel "Der Tod in Rom". Und dies aufgrund einer einzigen Figur, die hier – ungeachtet der polyperspektivischen Anlage des Romans – ganz entschieden das Oberkommando übernimmt: der SS-General Gottlieb Judejahn, ein Mann, der so plakativ daherkommt wie sein Name. Als Kriegsverbrecher in Abwesenheit zum Tode verurteilt, ist er als Militärberater eines arabischen Staates untergetaucht. Zentralachse des Geschehens ist ein Familientreffen am Tiber. Judejahns Neffe hat sich einen Namen als Komponist gemacht, und in Rom findet die Premiere seiner Zwölftonsymphonie statt, zu der sich auch der böse Onkel einstellt.

" Er näherte sich den Caféhäusern der Via Veneto. "Da sitzen sie nun, die Südländer, die Allerweltsländer. Hocken beisammen wie einst am Kurfürstendamm, sitzen da, spielen Friede auf Erden und beschmusen sich, die Internationalen, die Unvölkischen, die hochnäsigen Aasgeier, die der deutschen Zucht und Ordnung entsprungen sind… Schmutzpack… Juden und Judenknechte…" "

Koeppen ging es um die Darstellung des unverbesserlichen Nazi, um den ideologischen Sumpf in den Köpfen, den keine Entnazifizierung trockengelegt hatte. Die Judejahn-Gestalt ist dieser pädagogischen Absicht jedoch monströs entwachsen. Während die Figuren in "Tauben im Gras" vom Hörspiel geschwächt werden, passiert hier das Gegenteil: Judejahn gewinnt durch die kraftvolle Darstellung Thomas Thiemes fratzenhafte Größe – ein Nazi-Alien, wiederauferstanden in Rom. Unbremsbar sprudelt der Redestrom von Rassenwahn und Ausrottung aus seiner Kehle. Er ist ein Mann, für den das Dritte Reich noch längst nicht zu Ende ist, ein Massenmörder, der sich seiner Bluttaten gerne erinnert – aber mehr noch ist er eine grotesk überzeichnete Figur, etwa in der Szene, wo er erfährt, dass sein Sohn Adolf "Pfaffe" geworden ist:

" Es war wie ein Hieb auf die Halsschlagader. Judejahn taumelte. Sein Gesicht verzerrte sich, er wurde blass (…), und dann brach es aus ihm heraus, ein Strom Unflat: "Hosenscheißer, Speichelsammler, Kollaborateure, Zukreuzkriecher und Arschlecker (…) Ihr seid wohl in Rom, um dem Papst die Füße zu küssen (…). Aber die Geschichte wird euch verurteilen, Deutschland euch verdammen, Germanien euch ausstoßen. Ich seid wert, als Volk zugrunde zu gehen. Der Führer hat auch dies schon erkannt. Der Führer ist einem feigen Volk erschienen, einem morschen Stamm. Das war seine Tragik." Er brach ab. "

Der Übergang zwischen phantasmagorisch zugespitzter Gesellschaftskritik und groteskem Nazi-Trash ist fließend, was beim Hören einige Irritation verursachen kann. Handelt es sich um plumpe Kolportage oder aberwitzige Satire? Schwer zu entscheiden, und das Hörspiel steigert die Ambivalenz noch. "Da die Tragödie geschehen war, musste das Satyrspiel folgen", heißt es an einer Stelle, und der martialische Krieger und Hurenbock Judejahn ist wohl nur als Satyrgestalt zu rechtfertigen. Gerade deshalb aber entwickelt das Stück eine Faszination, die in dieser Form vielleicht gar nicht von den Hörspielmachern beabsichtigt wurde.


Rezensiert von Wolfgang Schneider

Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras, Das Treibhaus, Der Tod in Roman. Drei Hörspiele, Bearbeitung und Regie: Leonard Koppelmann und Walter Adler.
Der Hörverlag 2009, 6 CDs, zus. 425 Min., 29,95 Euro.