Trickser, Heuchler und Hochstapler

02.09.2013
Das illustre Ensemble des Familienromans "F" besteht aus Blendern und Lebenslügnern. Dazu gehören der Vater und seine drei Söhne - ein begabter Maler, der sein Talent lieber als Fälscher vergeudet, ein erfolgloser Investor und ein fettsüchtiger Theologe, der nicht an Gott glaubt. Wieder ist Daniel Kehlmann eine intelligente und gewitzte Geschichte gelungen.
Fälschung, Fatum, Fehler, Fiktion, Familie, Friedland – das und noch mehr bedeutet die Chiffre "F". Der neue Kehlmann ist ein Familienroman mit lauter versprengten Subjekten. Fast plakativ werden Lebensentwürfe gegeneinander gestellt: Vater Arthur ist ein Schriftsteller, dessen Werke geradezu diabolische Wirksamkeit entfalten. Der sensitive Sohn Iwan ist ein begabter Maler, der sein Talent allerdings in einer Fälscherkarriere verausgabt. Er verfertigt die Werke eines gewissen Heinrich Eulenböck und lanciert sie geschickt auf dem – sehr satirisch dargestellten – Kunstmarkt.

Sein Zwillingsbruder Eric ist ein Investor, der zum Psychowrack wurde und das Geld seiner Kunden verspekuliert hat; knapp erhält den Schein aufrecht, solange er mit neuen Einlagen noch die anfallenden Forderungen bedienen kann. Dazu kommt ein dritter Bruder aus erster Ehe: Martin, der Theologe, der nicht an Gott glauben kann und die metaphysische Lücke mit seiner Fresssucht füllt, eine großartige Figur. Trickser und Täuscher, Heuchler und Hochstapler sind alle in diesem Figurenreigen. Übrigens sind auch einige Teufelchen unterwegs – Fehlwahrnehmungen, gespenstische Einflüsterungen, Dämonen am Blickfeldrand?

Unbeholfenheiten, Peinlichkeiten, lächerliche Situationen
"Du musst mitspielen", sagte Iwan, "das ist der ganze Trick. Lügen musst du. Du denkst, die Leute durchschauen dich, aber keiner durchschaut irgendwen. Man kann in Menschen nicht lesen." So erzählt der größere Teil des Romans die Lebenslügengeschichten der drei Söhne, konzentriert auf einen heißen Augusttag des Jahres 2008, der nacheinander aus den kontrastreichen Perspektiven der Brüder dargestellt wird. Grandios, wenn wir ein missglücktes Zusammentreffen im Restaurant erst aus der Sicht Martins, dann aus der Erics erleben. Da ist der kluge Konstrukteur Kehlmann am Werk, der zugleich ein genauer Menschen-Leser ist, mit scharfem Blick auf Unbeholfenheiten, Peinlichkeiten, lächerliche Situationen. Szenen mit aneinander vorbeiredenden, aneinander vorbeifühlenden Figuren kann er schildern wie kaum ein anderer.

Raffiniert ist die Verschachtelung der Handlung: Da kommt ein junger Schnösel zu Martin und beichtet die Gewalttat, die erst 200 Seiten später begangen wird. Ein fulminantes Zwischenkapitel wird als Werk Arthur Friedlands ausgewiesen: ein Rückwärtsstrom aus aneinandergereihten Lebensgeschichten, Biografien der Vorfahren zurück bis ins Mittelalter. Aber auch die jüngste Finanzkrise kommt in den Blick, als wundersame Rettung für Eric. "Niemand fragt jetzt nach seinem Geld. Man erwartet geradezu, das es verloren ist." Eric erlebt es als göttliche Fügung und findet zum christlichen Glauben – Martin, der Priester-Bruder, ist fassungslos.

Vielzahl von Bezügen
Kehlmann spielt mit einer Vielzahl von Bezügen. Wer würde bei der Szene mit dem Hypnotiseur Lindemann nicht an Thomas Manns Novelle "Mario und der Zauberer" und den dubiosen Cipolla denken? Wer bei der Drei-Brüder-Konstellation nicht an Dostojewski? Sehr schön der markante Auftritt des inzwischen ziemlich zerknitterten Kunstkritikers Sebastian Zöllner aus Kehlmanns Roman "Ich und Kaminski". Und Iwan erscheint wie eine Bonsai-Variation von Wyatt Gwyon, der Hauptfigur in William Gaddis‘ Jahrhundertroman "Die Fälschung der Welt", dem Kehlmann seine Leitmetapher verdankt.

Viele Sätze des Buches über Zufall, Schicksal und die Gottesfrage klingen ebenso gewichtig wie belletristisch: "Der Zufall ist mächtig, und plötzlich bekommt man ein Schicksal, das nie für einen bestimmt war", sagt Arthur Friedland. Aber aufgepasst, die Gültigkeit solcher Aussagen wird oft subtil relativiert, anders als unser abschließendes Urteil: "F" bietet intelligente, gewitzte, sehr unterhaltsame Erzählkunst.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Daniel Kehlmann: F
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
382 Seiten, 22,95 Euro
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