Treuhand-Direktor Detlef Scheunert

Der Einzige aus dem Osten

04:58 Minuten
Eine Pressekonferenz der Treuhandanstalt mit dem deren Präsidenten Detlev Rohwedder am 27. November 1990 in Berlin.
Am Ende war eine Volkswirtschaft abgewickelt: In der Führung der Treuhandanstalt saßen fast ausschließlich westdeutsche Funktionäre. © Picture Alliance / dpa / Zentralbild
Von Sabine Adler · 01.11.2019
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Den Bruch vom Sozialismus in die Marktwirtschaft begleitete Detlef Scheunert aus nächster Nähe. Er war der einzige Ostdeutsche im Direktorium der Treuhandanstalt und blickt auf eine schwierige Zeit zurück.
Als sich die Menschen vor Freude über den Mauerfall in den Armen lagen, ahnten die wenigsten, dass die Ernüchterung schon bald kommen würde. So sehr sie die DDR satt hatten, so wenig waren sie vorbereitet auf die Durststrecke vom Sozialismus in die Marktwirtschaft.
Auch an diese Zeit denkt so mancher dieser Tage zurück, wenn sich jetzt der 30. Jahrestag des Mauerfalls nähert. Einer, der den Wandel aktiv mitgestaltet hat und dafür auch noch Prügel bezog, war der heute 60-jährige Detlef Scheunert - der einzige Ostdeutsche im Direktorium der Treuhandanstalt.

Keine Westbehörde

Wut und Hass schlugen ihm entgegen, wohin er kam. Noch heute kochen die Emotionen sofort hoch, wenn sich Scheunert als ehemaliger Treuhänder zu erkennen gibt. In den vier Jahren bei der Anstalt, die die volkseigenen DDR-Betriebe privatisieren und abwickeln sollte, hat er gelernt sich zu wehren.
"Ich war damals, also mein Kampfgewicht als Manager waren 100 Kilo", sagt Scheunert über sich selbst. "Ich war auch sehr aggressiv. Das hat die Treuhand mit sich gebracht. Ich war durch diesen extremen Stress nicht nett. Sie hätten mich nicht gern im Freundeskreis gehabt. Ich konnte richtig aggressiv sein."
Der frühere Treuhanddirektor Detlef Scheunert
Suchte sich Freunde im Westen: Viele alte Bekannte konfrontierten den früheren Direktor der Treuhand, Detlef Scheunert, mit seiner Tätigkeit.© Deutschlandradio / Sabine Adler
Eigentlich wollte er ins Ausland, nicht warten und auch nicht mithelfen beim Umbau der Plan- und die Marktwirtschaft, denn ihm schwante: "Das wird viel schwieriger, als die Wessis sich das denken. Das wird teurer werden, das wird Auseinandersetzungen geben." Er hatte Recht.
Anders als behauptet war die Treuhandanstalt keine rein westliche Behörde, zwei Drittel der Mitarbeiter kam aus ostdeutschen Ministerien. Doch den Aufstieg in das Direktorium schaffte nur Scheunert, der ehemalige Assistent des DDR-Maschinenbauministers.

Rohwedder wirbt um jungen Manager

Kurz zuvor war er dem damaligen Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder begegnet, der den 29-Jährigen mit den Worten abwarb: "Scheunert, solche jungen Leute, die brauche ich hier in der Treuhand. Sie können uns zeigen, wo hier die Minen liegen und ich, meine Leute, wir, zeigen Ihnen, wie Marktwirtschaft funktioniert. Das ist doch mal ein Deal."
Der Maschinenbauingenieur, der in Dresden studiert und zunächst im Berliner Bremsenwerk, dann im Ministerium erste Arbeitserfahrungen gesammelt hatte, nahm die Herausforderung an, wissend, dass man in ihm, dem Ostdeutschen, bei der Treuhand den potentiellen Stasi-Spitzel sah.
"Und dann, wo ich da hinkam, war das eine Megabaustelle", erinnert sich Scheunert. "Alles lief durcheinander, wie ein Bienenschwarm. Und da ging ich dann in die oberste Etage. Das war die Vorstandsetage, da fiel mir schon auf, da roch es schon anders. Also da waren die Wessis schon eingezogen. Da waren ein paar Westfrauen, anderes Parfüm."
Massiven Protest, gegen den zum Monatsende von der Treuhandanstalt festgelegten Produktionsstopp des Pkw "Wartburg" in den Eisenacher Automobilwerken, meldeten die Beschäftigten des Unternehmens auf einer Kundgebung am 25.01.1991 an. 
Widerstand gegen Fabrikschließung: 1991 gingen die Beschäftigten in Eisenach auf die Straße, weil die Treuhand einen Produktionsstopp für den "Wartburg" verhängte. © Ralf Hirschberger/dpa/picture-alliance
Die aufgebrachten Belegschaften in den abzuwickelnden Betrieben machten ihm keine Angst, denn die feindliche Stimmung, die jedem Besucher aus Berlin entgegenschlug, hatte er schon früher erlebt. "Immer wenn ich mit dem Minister unterwegs war, 1988, 1989, wenn ich irgendwo in den Betrieben war, wir waren ja ständig unterwegs, da hast du die Wut der Arbeiter schon zu spüren bekommen."
Der Minister habe dann noch die Politik von Partei und Regierung vertreten. "Ich habe daneben gestanden. Ich habe die Arbeiter erlebt, wie immer mehr das Vertrauen in die Führung verloren gegangen ist, überhaupt in dieses Land und dass man einfach jede Hoffnung, jegliche Zukunftshoffnung aufgegeben hat. Dieser Druck, dieser psychischen Druck, wenn man danach wieder zurück war. Diese Frustration im Auto über die Situation. Und dann hatte er so einen Hals gehabt, wenn er ins Politbüro musste und wurde dann dort zusammengedonnert."

Der Niedergang nach der D-Mark

Mit 31 Jahren übernahm der in Dornreichenbach bei Leipzig geborene Treuhanddirektor 110 Betriebe der Glasindustrie und Feinmechanik mit 78.000 Beschäftigten, von denen 1994, als die Treuhand schloss, noch 15.000 ihren Job hatten. "In dem Moment, als die D-Mark eingeführt wurde, ging es mit der ostdeutschen Wirtschaft herab. Sie war schon am Abgrund, aber dann rutschte sie drüber. Die Treuhand hat denen ja Liquiditätskredite gegeben, den Betrieben, damit sie Material einkaufen konnten produzieren konnten und Löhne zahlen konnten."
Sogar Vorzeigebetriebe, denen man den Wechsel in die Marktwirtschaft zutraute, wurden abgewickelt. Der Hersteller Pentacon mit seinen Spiegelreflexkameras machte den Anfang. Dazu Scheunert: "Jeder kannte diese Kameras, man kaufte sie, legte sie sich in den Schrank. Das war ein Wert."
Plötzlich war das alles nichts mehr. "Da kamen die Bilder, dass diese Kameragestelle alle auf einem großen Haufen Schrott lagen. Für viele Ostdeutsche war das das Synonym: Das sind wir. Das hat richtig wehgetan. Obwohl das rational völlig logisch war." Die japanischen Kameras hätten bereits den Weltmarkt erobert und damals jeden europäischen Hersteller plattgemacht.
Der Schriftzug "Die Treuhand informiert" prangt auf einem alten Pavillon am 12.04.2012 in Leipzig (Sachsen). Die Treuhandanstalt war für die Privatisierung der DDR-Betriebe nach der Wende zuständig.
Es klingt für viele nach wie Hohn: Der Schriftzug "Die Treuhand informiert" prangte lange auf einem alten Pavillon in Leipzig und ist längst verschwunden. © Jan Woitas/dpa/picture-alliance
Wie alle von der Behörde wurde auch Scheunert beschimpft. Der Hass galt mitunter weniger den Treuhändern als vielmehr der Politik, die schließlich die Linie vorgab. CDU-Kanzler Helmut Kohl wurde die Einheit zu teuer, das Finanz- nicht das Wirtschaftsministerium hatte das Sagen. Aber es gab auch genug Fehler im eigenen Haus, in der Treuhandanstalt selbst.
"Unsere Pressearbeit war schlecht", blickt Scheunert zurück. "Es wurde immerzu versucht, irgendwas zu verheimlichen oder zu verdrehen. Das hat natürlich das Misstrauen noch verstärkt und die Legendenbildung. Und dass die Willkür, die empfunden wurde, sich aus den Auflagen, aus dem Regelwerk ergeben hat, und teilweise aber auch aus der Masse der Entscheidungen, dass Dinge passiert sind wie in der Niederlassung Halle, diese Korruptionsfälle, dafür schämt man sich heute noch als Treuhänder. Das war unmöglich."

Es wurde einsam um Scheunert

Während der Sachse als Treuhand-Manager durchstartete, verloren Freunde und Verwandte ringsherum ihre Arbeit, endeten Karrieren abrupt. Scheunert dagegen schrubbte 80-Stunden-Wochen, sah seine Kinder kaum noch und erntete nichts als Anfeindungen.
"Ich war bei einem Klassentreffen und habe erzählt, ich arbeite bei der Treuhand, dann ging es immer: Buuuhhh! Es wurde einsam um einen herum." Selbst die eigene Frau habe geklagt, dass er ihr nichts erzähle. "Sie wurde ja auch damit konfrontiert", sagt Scheunert. "Sie konnte überhaupt nicht Stellung nehmen und ich dachte immer, ich schütze sie am besten dadurch, wenn sie gar nichts weiß. Wenn wir aber in Berlin zu Freunden gingen, dann konnte ich mich dem nicht entziehen. Die konfrontierten mich natürlich sofort."
Er habe sich zurückgezogen und Freunde eher in Westberlin oder in Westdeutschland gesucht: "Zum Beispiel ein englisches Paar, mit dem wir heute noch befreundet sind. Gerade die Ausländer, habe ich dann festgestellt, Engländer, Amerikaner, die hatten einen ganz anderen Blick auf diese deutsch-deutsche Einheit." Sie hätten das historisch gesehen und gesagt: "Mann, habt ihr ein Glück, ohne einen Schuss. Hier an dieser Linie, wo die höchste Militarisierung der Welt war. Ihr habt das geschafft. Das ist so eine Leistung."
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