Trennung von Religion und Politik

Über das Seligmachende des evangelischen Pfarrhauses

Das Festjahr zum 500 Reformationsjubilaeum: Bundespraesident Joachim Gauck begruesst den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx.
Bundespräsident Joachim Gauck in der Kirche © imago stock&people
Von Mathias Buth · 08.02.2017
Theologen bereichern die Politik. Im Zweifelsfall scheinen sie sogar moralisch legitimiert, sich über Verfahrensregeln des Staats hinwegzusetzen. Aber bietet das Modell "evangelisches Pfarrhaus" wirklich einen besseren Orientierungsrahmen als der weltliche Rechtsstaat?
Gauck gilt als Glückfall, da er wie ein Pfarrer bundesdeutsch spricht, einer der weiß, wie`s in der Bibel steht. Rau wollte auch immer Apostel sein, Margot Käßmann sprach als EKD-Bischöfin über deutsche Geschichte und Außenpolitik von der Kanzel der Bergpredigt. Angela Merkel regelt die Flüchtlingskrise wie eine Pfarrerin. Das Pfarrhaus prägt eben den moralischen Impetus ebenso wie eine erstaunliche Weltsicht.
Mit Martin Luther, dem katholischen Ordensmann, und mit der Nonne Katharina von Bora, die von den Zisterziensern Reißaus nahm, kamen zwei Klösterliche zusammen, gingen 1525 die Ehe ein und begründeten damit das evangelische Pfarrhaus. Ein deutsches Modell und integraler Bestandteil der Reformation. Das Paar bewohnte ein Augustinerkloster, das der Wittenberger Kurfürst Johann der Beständige dem Orden wegnahm und dem Reformatoren-Ehepaar in Teilen zur Verfügung stellte.
Katharina verwaltete von dort Ländereien, betrieb Viehzucht und eine Bierbrauerei. Das erste Pfarrhaus war also ein Wirtschaftsunternehmen. Das Haus des evangelischen Pfarrers und dessen Ehefrau emanzipierte sich aber rasch zu einer eigenständigen Größe als Geschwistergebäude zur Kirche. Dort wurde verkündigt, wie es in der Bibel steht, aber ohne Zölibat.

Ohne evangelisches Pfarrhaus gäbe es kein Bürgertum

Der Begriff der Bürgerlichkeit ist aus dem Pfarrhaus entwickelt worden – gegen die Papisten, gegen das universal-katholische Weltverständnis. Das Konzept der Landeskirche, im Augsburger Religionsfrieden von 1555 zum ersten Mal erfasst und die Idee der Priesterschaft eines jeden evangelischen Christen bilden die Basis zur bürgerschaftlichen Selbstemanzipation, um damit das Gottesgnadentum der katholischen Fürsten zu brechen. Die Perspektive war der säkulare Staat.
Wer sich dem Begriff des Deutschen nähern will, wird an dem weltweit singulären Phänomen des Pfarrhauses nicht vorbeikommen und so auch nicht an dem moralischen Anspruch, den die männlichen und weiblichen Pfarrer an sich und an andere stellen. Es gründet sich auf ein Sendungsbewusstsein aus besserem Verständnis der Bibel.
Die Unterwerfung unter die Obrigkeit eines lutherisch gewordenen Landfürsten entwickelte eine evangelische Weltsicht, die viele Deutsche geprägt hat. Obrigkeitliches Denken und das Sichfügen hat Luther in die Bürgerseele hineinbegründet mit Hinweis auf das 13. Kapitel der Römerbriefe, wo es heißt: "Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes, die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu."

Eine Pfarrerstochter folgt als Kanzlerin der evangelischen Ethik

In der Flüchtlingskrise seit 2015 wurde das Agieren der Pfarrerstochter Angela Merkel mit dem Mitmenschlichkeitsappell der Bibel, besonders aus der Bergpredigt, begründet. Das Axiom "Wir schaffen das" war für viele Ausdruck einer Staatsdoktrin, die das Religiöse über das Rechtliche setzte und setzen durfte. Und da sich die Bundeskanzlerin als Staatslenkerin sah - nobilitiert mit dem wärmenden Mantel der Barmherzigkeit eines Samariters - folgten ihr zeitweise fast alle. Sie meinte, fast wie Luther, nicht anders zu können, mit einer Seligpreisung im Blick.
Das evangelische Pfarrhaus muss sich nun lutherisch klären, ob es sich im Reich des Religiösen verortet - so den Wesensfragen des Göttlichen zugewandt -, oder mehr im Politischen. Damit ist dann die Erkenntnis verbunden, dass nur Recht und Gesetz die Handlungen der Staatsbürger vorschreiben dürfen. Und so kann das Asyl- und Aufenthaltsrecht auch nicht durch ein Kirchenasyl unterlaufen werden. Das Grundgesetz steht für den Verfassungsstaat. Danach hat das Recht immer Vorrang. Und so gilt: Politiker und Pfarrer stehen für zwei verschiedene Welten.

Matthias Buth, geboren 1951 in Wuppertal, veröffentlicht er seit 1973 Gedichte,Feuilletons und Rezensionen, soeben den Gedichtband "Paris regnet". Seine Lyrik wurde ins Arabische, Englische, Französische, Polnische, Rumänische und Tschechische übersetzt sowie vertont in Kammermusik- und Chorwerken. Zudem ist er Rechtsanwalt. Er ist Mitglied des VS und des PEN.

Der Jurist und Schriftsteller Matthias Buth
© Quelle: privat
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