Trendwende in der deutschen Erinnerungspolitik

31.08.2006
Eine Akzentverschiebung in der deutschen Erinnerungspolitik gibt es nach Ansicht des Historikers Peter Jahn nicht erst seit der umstrittenen "Vertriebenen-Rede" des stellvertretenden Kulturstaatsministers Hermann Schäfer vor Überlebenden des Konzentrationslagers Buchenwald. Ein derartiger Trend lasse sich bereits seit Jahren feststellen, sagte Jahn im Deutschlandradio Kultur.
Erkennbar sei dieser etwa an dem "Slogan der Geschichte der beiden Diktaturen", der eine Gleichstellung von DDR und Drittem Reich impliziere und außer Acht lasse, dass es sich um "zwei Herrschaftsformen, die extrem weit auseinanderklafften" handele. Ebenfalls seit Jahren gebe es eine deutliche Tendenz "die deutschen Opfer sehr dicht an die Opfer der Deutschen heranzurücken". Als Beispiele nannte der Historiker die Darstellung des Bombenkrieges in Deutschland.

Den Eklat um die Schäfer-Rede zum Auftakt des Weimarer Kunstfestes hat es laut Jahn zu Recht gegeben. Man könne nur hoffen, "dass Schäfer die Sache beim nächsten Mal nicht noch tiefer hineinreitet." Diese Chance solle man ihm allerdings geben.

Gleichzeitig erneute der Historiker seine Kritik an der Ausstellung "Erzwungene Wege, Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts" im Berliner Zentrum gegen Vertreibung. Jahn zufolge klaffen darin "Riesen-Leerstellen". So spielten die Massenvertreibungen des 20. Jahrhunderts, die nach sozialen oder biologistischen Kriterien organisiert worden seien, keine Rolle in der Schau. "Es fällt auf, dass die Russen als Opfer der Vertreibung völlig unter den Tisch fallen." Der Vorwurf des Revanchismus treffe auf die Ausstellung zwar nicht zu, es müsse jedoch in Zweifel gezogen werden, ob sie tatsächlich zu einer Erklärung von Vertreibung beitrage: "Sie ist bemüht, aber ein gutes Stück hilflos."

Das Gespräch mit Peter Jahn können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
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