Neuer Schwung für den Alltag
Eine Gesellschaft der Satten übt Verzicht: Immer mehr Deutsche fasten. Sie wollen einen Neustart für Körper und Geist. Oder einfach nur ein paar überflüssige Pfunde loswerden. Gerade jetzt, in der Zeit zwischen Karneval und Ostern.
"Bernhard, Josef, geht mal weiter vor, ich will was erklären an dem Baum."
Frieder fällt es nicht immer leicht, seine 48-köpfige Wandergruppe beieinander zu halten. Frieder heißt eigentlich Friedrich und kommt aus Franken. Mit seiner Gruppe ist er gerade 50 Kilometer nördlich von Berlin unterwegs: im Wald rund um Wandlitz.
"Wir sehen jetzt hier eine Methusalembuche. Und viel Holz rum liegen im Wald. Je mehr Totholz im Wald rum liegt, desto gesünder ist der Wald. Wenn ein Wald aufgeräumt ist, ist er krank. Jetzt sieht man natürlich hier viele Spechthöhlen. Zum Beispiel der Schwarzspecht ist der größte Specht, der baut jedes Jahr eine neue, teilweise zwei, weil die Angebetete die erste nicht mag. Aber nach sieben Jahren sagt er sich: 'Mensch, jetzt habe ich mir so viel Arbeit gemacht', da nimmt er die erste wieder und schmeißt raus, wer drin ist. Und dann geht es wieder von neuem los."
Was klingt wie ein entspannt informativer Spaziergang durch den deutschen Wald, ist Teil einer sechstägigen Fastenwanderung durch den Naturpark Barnim und die Schorfheide.
Sechs Tage wandern. 100 km lang. Ohne zu essen
Einmal im Jahr in der Karwoche geht Frieder mit seiner Gruppe fastenwandern. Bei Wind und Wetter. Das bedeutet: sechs Tage nichts essen, viel trinken, knapp einhundert Kilometer wandern und dabei Deutschland kennen lernen. Jedes Jahr eine andere Region.
"So, guten Morgen noch einmal, wir lassen uns jetzt von der Gerti ein bisschen aufwärmen, bisschen dehnen, und ich denke, wir haben heute ein wunderschönes Wetter erwischt, traumhafter Tag, genießen wir ihn, wir wissen nicht, wie es morgen wird."
Geschichten über Land und Leute gehören ebenso zum Programm wie kurze Gymnastikeinheiten.
"Die Füße machen weiter, es ist schwer, zwei Sachen zu machen. Für Männer, aber ihr macht das super."
Seit mehr als zwanzig Jahren existiert Frieders Fastenwandergruppe. Fast alle Teilnehmer gehören inzwischen zur Generation 50 Plus. Ein bisschen Fluktuation ist immer, aber der Kern der Gruppe besteht seit Beginn der 90er Jahre. Ebenso die Gründe, nicht nur zu fasten, sondern dabei auch zu wandern. Neuer Schwung für den Alltag soll her.
"Und man kommt nicht in Versuchung und denkt nicht drüber nach, was man jetzt vielleicht alles auf dem Teller haben könnte. Ganz genau, man kommt nicht die ganze Zeit am Kühlschrank vorbei, das ist schon mal ganz gut, durch dieses Gehen wird das auch unterstützt, dann ist man Abends müde und kann auch sehr gut schlafen. Insgesamt ist das eine sehr gute Möglichkeit, sich geistig, mental und körperlich zu erfrischen.
Für mich ist es einfach wichtig, mal eine Woche was ganz anderes zu sehen, zu denken. Sich zu lösen von den Verpflichtungen zu Hause, vom Stress, den so der Tagesablauf mit sich bringt. Das liegt nicht nur am Fasten, dass die Leute auf einmal einen moderaten Blutdruck messen können.
Gut. Das wars. – Wunderbar."
Fastenwandern bedeutet – immer schön weitergehen
"Wir haben durch die Fastenwanderungen eigentlich fast Deutschland kennen gelernt, waren immer in wunderschönen Regionen, das macht Spaß, die Gruppe passt, es ist einfach toll. Und unser Frieder, dieser Berg-Fex, der hat es auf eine ganz andere Art angeboten, also ganz spartanisch und hier richtig mit Power und 30 Kilometer am Tag, ‚och, dachte ich, probiere ich mal’. Und das war richtig kämpferisch am Anfang. Aber inzwischen ist auch der Frieder alt geworden, Gott sei Dank, und da ist er ein bisschen gemäßigter inzwischen."
Stefan: "Jetzt befinden wir uns hier gerade auf diesem Todesstreifen, und hier war eine Mauer."
Ortswechsel: Berlin, Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße.
"Hier, wo man noch die Pfeiler sehen kann, war der Eisendrahtzaun, und dahinter kam noch der innere Zaun, die innere Mauer, die die erste Blockade dargestellt hat."
Wanderführer Stefan zeigt seiner Gruppe den ehemaligen Mauerverlauf. Ein kurzer Blick in das 'Fenster des Gedenkens', das den Opfern der Berliner Mauer gewidmet ist, schon geht es zügigen Schrittes weiter.
"Auch wenn wir in der Berliner Innenstadt unterwegs sind, steht das Wandern im Vordergrund. Es gibt viele Stadtführungen, normalerweise bleibt man doch recht lange stehen, kriegt sehr viel Informationen, sehr tiefgehende Informationen, aber im Gesamtkonzept des Fastenwanderns möchten wir das eigentlich nicht so sehr unterbrechen: das Wandern."
Gesund unterwegs in der Großstadt – das ist der neueste Trend. Zumal eine Großstadt wie Berlin neben urbanem Trubel und reichlich Sehenswürdigkeiten auch jede Menge Natur zu bieten hat.
Zum Programm von ‚Fastenwandern in Berlin’ gehören täglich 10 bis 15 Kilometer Wandern, der Besuch eines Biomarktes und abendliche Vorträge übers Fasten und die richtige Ernährung. Stefans Partnerin Sabrina ist zertifizierte Fastenleiterin.
"Sport gehört wirklich zum Fasten, ob es jetzt Yoga ist, Wandern oder Radfahren, Sport ist unentbehrlich beim Fasten, ja. Wandern ist halt das Typischste, und das kann jeder machen, und deswegen: für viele Menschen passt es einfach: laufen. Ursprünglich war das Fastenwandern in Berlin für Touristen gedacht. Dass Touristen im Prinzip nach Berlin kommen und Berlin entdecken, deswegen ist das jetzt auch ein bisschen eine touristische Tour mit dieser Kiezwanderung, und gleichzeitig natürlich eine Fastenkur machen, so eine
Gesundheitskur machen. Aber es stellt sich heraus, dass die Berliner vor allem am meisten interessiert sind, das in Berlin zu machen."
Seit einem halben Jahr bieten die beiden das Fastenwandern in Berlin an. Von den acht Teilnehmern, die sie heute durch den Prenzlauer Berg und Friedrichshain führen, haben fast alle schon einmal gefastet. Dabei auch zu wandern, ist für die meisten allerdings Premiere.
"Man denkt nicht immer nur ans Fasten"
"Es gibt immer mal so Aufs und Abs. Am dritten Tag Nachmittag dachte ich ‚oh, ne, (lacht) warum tust du das’? Aber jetzt geht es. Heute ist ein guter Tag."
Bibiana lebt in Berlin, ist Mitte 30 und fastet zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie will endlich ihre Pollenallergie in den Griff bekommen. Ein bisschen Bewegung könnte auch nicht schaden, dachte sie, also schaute sie im Internet, was es da für Möglichkeiten gibt.
"Und dann habe ich das Fastenwandern gefunden, und dachte ‚ist doch toll, bist du ein bisschen abgelenkt’. Ein Tag ist ja auch lang. Und dass man nicht immer nur ans Fasten denkt. Sondern mal sich ein bisschen beschäftigt. Es gibt so viele Ecken, die man in Berlin noch nicht gesehen hat, die man neu entdecken kann, und es verändert sich ja auch viel, und es ist schön, wenn man mit Leuten, die manche Ecken eben kennen, mitgeht und von denen was hören kann. Und alles ohne Allergie. Meine Allergie ist weg. Normalerweise habe ich im Februar immer dieses Augen tränen, Nase jucken, niesen, ist weg.
Ich mache es eigentlich nicht fürs Abnehmen. Ich mache es eigentlich, um mich körperlich fit zu halten, ich bin jetzt 71 und versuche da, ein bisschen was zu machen, weil ich auch sportlich noch viel unterwegs bin, viel tue und mache, und was ich noch gelernt habe durch diese eine Woche, durch die Vorträge, das hat mich bestärkt, dass das Fasten was ganz tolles ist. Dieses ganze Entgiften, dieses Ausspülen von den ganzen Stoffen, das Reinigen von innen, dass die Leber okay ist, der Darm und der Magen nichts mehr zu tun haben, und dass die sich regenerieren können. Dass die Zellen eben das tun, was sie machen sollen, dass sie den Körper von innen eben reinigen."
Die Zahl der Menschen, die jährlich in Deutschland fasten, wird auf zwei bis drei Millionen geschätzt. Wie viele ihr Verzichtserlebnis durch angepasste körperliche Bewegung unterstützen, indem sie beispielsweise wandern, ist unbekannt.
Nur so viel ist klar: wer in der Internet-Suchmaschine den Begriff ‚Fastenwandern’ eingibt, findet in den ersten Treffern gleich Hunderte von Veranstaltungsangeboten. Fastenwandern liegt im Trend. Und das nicht nur in der enthaltsamen Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern.
"Der gesunde Mensch, der ist prädestiniert dafür, auch mal längere Phasen nichts zu essen und auch auf seine eigenen Depots zurückzugreifen."
Zum Beispiel auf die Fettdepots, sagt Professor Kuno Hottenrott, Leiter des Arbeitsbereichs Trainingswissenschaft und Sportmedizin an der Universität Halle-Wittenberg. Schon nach wenigen Tagen des Fastens dienen die Fettdepots als hauptsächlicher Energielieferant für den Organismus.
Bewegung und fasten zu kombinieren ist gesund
Kritiker behaupten, durch den Nahrungsverzicht komme es zum Proteinmangel, und den gleiche der Organismus in erster Linie nicht durch den Abbau von Fett, sondern von Muskeln aus.
"Zunächst ist das richtig. Würde man fasten, und man bleibt inaktiv, man würde keine körperliche Aktivität zusätzlich durchführen, kein Krafttraining, kein Wandern, kein Laufen oder Radfahren, dann in der Tat würde man Muskelmasse abbauen. Und deshalb bevorzugen wir ja gerade die Kombination 'Fasten plus körperliche Aktivität', und das ist für viele erstmal schwer vorstellbar, ich habe eigentlich wenig Energie in meinem Körper und zusätzlich soll ich noch körperlich aktiv sein. Nein, und wir stellen genau fest: es funktioniert hervorragend."
Ging man vor nicht allzu langer Zeit davon aus, Fasten ist gefährlich und bedeutet Raubbau am eigenen Körper, so weiß man heute: Fasten ist gesund und viel mehr als nur einfach nichts zu essen. Etliche medizinische Studien belegen inzwischen, dass Fastenkuren unbestreitbar heilsame Wirkungen haben, die über das reine Abnehmen weit hinausgehen. Kombiniert mit körperlicher Bewegung, sind die positiven Effekte für den Organismus besonders groß.
"Wir haben eine Studie zum Fastenwandern in Kombination mit einem Heilfasten, fünf Tage lang, Heilfasten nach Buchinger gemacht, die Teilnehmer haben dann nur Säfte getrunken und Wasser, und zusätzlich täglich anderthalb bis drei Stunden gewandert, zusätzlich physiotherapeutische Übungen, Entspannungsübungen, und diese Studien haben eindeutig gezeigt, dass keine Muskelmasse abgebaut worden ist während dieser Phase, die Menschen haben natürlich etwa fünf Prozent ihres Körpergewichts verloren, das ist auch klar, wenn man fünf Tage fastet, und sie haben einen verbesserten Blutdruck und auch Kreislaufstabilität komplett gehabt, also nicht, was man oft sagt, dass hier ein Problem entsteht, Kreislaufinstabilität, auch das konnten wir nicht feststellen, und wir konnten feststellen: ein großes Wohlbefinden."
Kraft und Ausdauer lassen sich während des Fastens sogar noch steigern. Das ist das Ergebnis mehrerer Studien, die der Sportwissenschaftler zum Intervallfasten durchführte.
Zwölf Wochen lang fastete eine Gruppe von Probanden ein bis zwei Tage die Woche, die Kontrollgruppe fastete nicht. Alle absolvierten in der Zeit das gleiche Trainingsprogramm.
"Dort konnten wir feststellen, dass die Gruppe, die das Fastenprogramm mit entsprechend dem Ausdauer- und Krafttraining durchgeführt hat, deutlich besser leistungsmäßig entwickelt hat als die Gruppe, die nur das Ausdauer- und Krafttraining durchgeführt hat, also auch noch einmal ein Beleg dafür, dass diese Kombination tatsächlich wissenschaftlich begründet ist."
Doch wenn es so gesund ist – warum ist Fastenwandern dann nicht noch viel populärer? Die Antwort ist einfach: weil man in den menschlichen Organismus und die Psyche nicht hineingucken kann und jeder auf das Fasten anders reagiert.
"Ja, es gibt anfangs auch nach ein, zwei Tagen negative Reaktionen, dass man Kopfschmerzen bekommt, und Unwohlsein, dass man dann abbricht und dieses Negativ- Erlebnis dann projiziert auf: ‚es ist doch vielleicht gefährlich’. Für mich gibt es keine klaren Begründungen, wenn man gesund ist und es unter bestimmter Anleitung auch durchführt, sehe ich da kein Risiko."
Und plötzlich ist sie da – die Fastenkrise
"Wer jetzt möchte und eine Pause braucht, könnten wir das so machen, ich meine: ihr seid scheinbar alle fit, Angelina heute bisschen weniger, …"
Bei den Fastenwanderern in Berlin hat eine Teilnehmerin Probleme. Angelina fühlt sich erschöpft und hat Kopfschmerzen. Alles deutet auf eine so genannte Fastenkrise hin. Angelina hat schon häufiger gefastet, aber noch nie in Kombination mit so viel körperlicher Bewegung.
"Mir fehlt das Eiweiß, wenn ich gefastet habe, habe ich immer mit Eiweiß gefastet, also Eiweißdrinks, und da ich das jetzt nicht mehr mache, da ich jetzt nur ein Mal Saft und ein Mal so eine ausgepresste Brühe bekomme, denke ich, wehrt sich da der Körper so ein bisschen gegen, plus drei Stunden Wandern, ist ihm wahrscheinlich zu viel. Gestern bin ich zum Beispiel aus der U-Bahn auf der falschen Seite ausgestiegen, ich habe mich im Kreis gedreht, ich wusste überhaupt nicht, wo ich bin. Ich bin nicht mal auf die Idee gekommen, hier mein Handy anzuschmeißen. Es fällt mir unheimlich schwer, die Treppen zu steigen. Jetzt wie hier gerade, oder ich bin momentan auch der Langsamste in der Gruppe, ich bin abends nur noch tot und liege nur noch auf der Couch."
Während des Fastens geht es dem Körper gut, aber die Seele hungert’, erkannte schon der Begründer des Heilfastens, Otto Buchinger, im Jahr 1935. Wer in einem solchen Stimmungstief steckt, für den ist es tatsächlich gesünder abzubrechen. Oder auf kleine Stimmungsaufheller zu vertrauen, die zwischendurch gereicht werden.
"Es sind jetzt hier ätherische Öle, und wenn man mal dran riecht, wollen Sie mal dran riechen, also Rosmarin und Kampfer regt einfach den ganzen Kreislauf an. Also man wird wacher im Kopf, und Pfefferminze und Eukalyptus ist in dem anderen drin, was das Hirn ein bisschen wach macht, ein bisschen gegen Kopfschmerzen ist, Konzentration steigert und so. Das sind so die typischen Fastenöle, würde ich sagen. Kommt sehr gut an bei den Leuten."
Also: wir gehen dann mal weiter, nicht?
Frieders Fastenwandergruppe ist inzwischen nördlich von Berlin im Niemandsland zwischen Biesenthaler Becken und Finowtal-Pregnitzfließ angekommen. Es ist Tag 5 der Fastenwanderung. Laufen. Einfach nur laufen. Geradeaus und meist durch den Wald. Es heißt: beim Wandern ist man näher dran, 'sieht im Durchschnitt anthropologisch und kosmisch mehr', wie es der Dichter Johann Gottfried Seume einmal formulierte, ein begeisterter Wanderer. Klappt leider nicht immer.
Denn plötzlich steht die Gruppe vor einem riesigen rostigen Gittertor. Es ist verschlossen, keine Chance, auf das Gelände dahinter zu kommen. Interessant wäre es ja: denn hier befindet sich das ‚Sonderbauwerk 17/5001’ aus dem Jahr 1983: Erich Honeckers Regierungsbunker – Deckname ‚Perle’.
"Ja, hallo, hier ist noch mal die Wandergruppe, also wir wären in einer halben Stunde an der Kirche. Wenn da vielleicht jemand sein könnte? Dankeschön, tschüss."
Über Essen wird oft gesprochen beim Fastenwandern
Stattdessen geht es weiter zur 400 Jahre alten Dorfkirche in Prenden.
Ortschronist Klaus Storde präsentiert die so genannte Einzeigeruhr – original erhalten aus dem Jahr 1704. Aber so ganz einzigartig scheint sie ihm nicht zu sein.
"Einzeigeruhren, laut einem Zeitungsbeitrag, gäbe es nur sechs in Deutschland, aber ähem, pardon, der Nachbarort hat allein schon drei. (großes Lachen) Man darf das auch nicht so heiß essen, die Einzeiger-Uhr ist ganz einfach: jeder wird wissen: wenn der kleine Zeiger sich zwischen zwei Zahlen befindet, ist es halb, und wenn er ein Stück weiter vorrückt, ist es drei Viertel, und ist er auf der Zahl, dann ist es ‚um’, so hat man die Zeit nicht so digital genau gebraucht wie heute, sondern es reichte auch völlig aus."
Eines der beliebtesten Gesprächsthemen beim Fastenwandern: das Essen. Gerade in Frieders Gruppe, in der sich alle schon so lange kennen, lässt jeder vom ersten Tag an seiner Phantasie freien Lauf, was denn nach der entbehrungsreichen Zeit des Fastens auf den Teller kommt.
"Ich werde einen schönen Steinbeißer kaufen. Einen schönen Steinbeißer mit Spargel. – A Rollmops aus’m Glas. Nur einen ganz normalen, einfachen Rollmops. Dann hörst du, wie er runter rutscht. In die Teebrühe, wie er in dich hinein schwimmt. (Lachen) – Ach herrlich, die Vorstellung, mal wieder was zu essen, ist ja herrlich.
Die erste Anfangszeit, da hat es nur Kochrezepte gegeben, nur, konntest du schon gar nicht mehr anhören. Das waren meistens die Frauen, wo gar nicht kochen konnten, wo uns Männern beim Wandern erzählen, wie Schweinebraten geht oder a Haxen. Oder e Schäufele oder sonst was. – Das war echt die Show. Und dann hat irgendwann mal einer gesagt: 'oh, wir machen Fastenkochbuch'. Und dann haben wir gesagt: 'sollen da Fastenspeisen rein'? 'Nein, alles, was ihr so gern mögt'."
Der Wegbereiter der Fastenwanderbewegung in Europa ist ein Schwede: Lennart Edrén, ein Arzt, der 1954 die 520 Kilometer von Göteborg nach Stockholm in zehn Tagen zu Fuß bewältigte. Ohne etwas zu sich zu nehmen außer Quellwasser. Der Fastenmarsch sorgte für reichlich Aufsehen. Denn damals hieß es noch: wer einen zu geringen Blutzuckerspiegel hat, fällt ins Koma. 30 Jahre später griff ein Deutscher die Idee auf: Christoph Michl.
Michl: "Ich selber, als ich mit den Fastenwanderungen anfing, wollte auch wie er jeden Tag 50 Kilometer mit den Leuten laufen, aber merkte sofort, dass sie das nicht schaffen, dass das eine zu große Zumutung ist, und habe das dann auf 20, 25 Kilometer am nächsten Tag gleich reduziert, und das habe ich dann bis heute durchgehalten, denn ich möchte mit den Leuten möglichst den ganzen Tag draußen an der frischen Luft sein, denn mir liegt ja daran, für ihre Gesundheit etwas zu tun."
So wie er auch für die eigene Gesundheit schon etwas getan hatte. Er hatte seine Ernährung umgestellt, fastete regelmäßig. Die Erschöpfungszustände, die er bis dahin gespürt hatte, waren weg.
22-tägiger Fastenmarsch von der Nordsee nach Bayern
Dann begann er dabei zu wandern. Zunächst politisch motiviert, in so genannten Hungermärschen als Protest gegen die Umweltzerstörung. Später weil er die Idee populär machen wollte, die Idee, dass Fastenwandern gesund ist.
"Der größte Fastenmarsch, den ich durchführte, war der von der Nordsee in Cuxhaven bis in die Alpen am Tegernsee, da bin ich in 22 Tagen 1.050 Kilometer gelaufen, aber da musste ich vorher immer rein horchen in mich: 'schaffst du das, kannst du das schaffen oder wirst du unterwegs abbrechen müssen'? Und als ich endlich das Gefühl hatte ‚du schaffst es, das packst du’, da bin ich dann die Strecke gelaufen, ohne irgendjemandem vorher was zu sagen. Denn ich hatte keine Lust, dass die Leute mich bremsen wollten und sagen ‚nein, lass das lieber sein, das ist zu gefährlich’."
Bei anderen Märschen waren Kamerateam oder Zeitungsreporter dabei. Zum Beispiel 1984, als Christoph Michl erstmals mit einer Gruppe fastenwanderte. Von seinem Heimatort Horneburg bei Hamburg zur Buchinger-Klinik nach Bad Pyrmont, der Top-Adresse fürs Heilfasten. 270 Kilometer in sieben Tagen.
"Da musste ich dann, wir liefen durch die Lüneburger Heide, sehen, dass ich die Leute auch unterbringe, und in der Lüneburger Heide sind die Unterkünfte und Hotels nicht so reichlich, und da passierte es dann, dass wir auch auf Heuböden schlafen mussten oder in Pensionen, wo die gerade mal sieben Betten hatten, und wir waren knapp 30 Personen, die anderen mussten dann im Stroh bei dem Bauern schlafen, und das ging alles, das wurde akzeptiert. Heute, denke ich, können wir das nicht mehr anbieten."
Christoph Michl wurde zum deutschen Fastenwanderpapst. Aus seiner Berufung machte er ein Geschäft. Er führte Gruppen mit mehr als 100 Teilnehmern, die Resonanz war enorm. Fastenwandern wurde immer beliebter, 1994 gab es in Deutschland mehr als 40 Anbieter. – Christoph Michl hat es geschafft, nun ist seine Mission zu Ende.
"Inzwischen bin ich ja auch 69, in den 30 Jahren, die ich Wanderungen durchgeführt habe, draußen im Freien, in den schönsten Landschaften Europas und der Welt, hatte ich Zeit nachzudenken und viele Ideen entwickelt, und jetzt seit etwa zwei Jahren habe ich gesagt: 'Schluss mit den Betreuungen der Gruppen, ich will, solange ich noch lebe, diese Ideen zu Papier bringen'."
Mit der Lederweste überm Wollpullover wirkt er zwar immer noch so, als ob er gleich loswandern wolle. Aber das überlässt er jetzt den anderen. Acht Betreuer gehören zu seinem Team, 30 Veranstaltungen im Jahr bieten sie an.
"Überangebot von Ernährung, Unterangebot an Bewegung"
Zudem verantwortet er eine Website, auf der bis zu 700 Fastenwanderungen jährlich angeboten werden. Und wenn sich der aktuelle Trend des Gesundheitswanderns fortsetzt, werden es bald noch mehr sein. Der Sportwissenschaftler Kuno Hottenrott.
"Ja, wir leben ja in einer Überflussgesellschaft, wir haben Überangebot von Ernährung, wir haben ein Unterangebot an Bewegung. Und ich glaube, das ist schon eine gute Möglichkeit, das als Lebenskonzept zu haben, dass man Phasen auch am Wochenende mal nutzt, längere Strecken mal zu wandern, vorher nicht groß einen Brunch durchzuführen, sondern sich erstmal körperlich aktiv mit einem leicht hungernden Zustand zu bewegen in der Natur und mal zu erfahren und zu fühlen, was man dort wahrnimmt. Und die Sinne schärft man tatsächlich mehr im Hungerzustand als im gefüllten Zustand mit Ernährung."
Frieders Fastenwandergruppe ist an ihrem letzten Tag in der Schorfheide unterwegs, einem der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands. Es geht vorbei an offenen Feld- und Wiesenlandschaften, dann auf sandigen Pfaden Kilometerlang geradeaus durch den Wald. Am Nachmittag verschwindet endlich der Dunst, und die tief stehende Sonne leuchtet die Landschaft an.
Etwas versteckt am Rande einer kleinen Schonung steht eine riesige Rotbuche. Über zwanzig Meter hoch, sechs Meter fünfzig Stammumfang, ungefähr 300 Jahre alt: ein einmaliges Naturdenkmal.
Sechs Personen braucht es, um sie zu umarmen. Fotos werden geknipst, man berichtet einander, wie gut es einem geht, wie viele Kilos in der vergangenen Woche dran glauben mussten. Und alle freuen sich aufs Fastenbrechen.