Trend zum Selbernähen

Von Susanne Burkhardt |
In der Kleidungsbranche steht Selbstgemachtes wieder hoch im Kurs - ob Häkelblume, Strickschal oder Mantel. Silke Denecke sorgt dafür, dass diese Mode nicht hausbacken oder peinlich wirkt. Die Münchnerin bietet online Schnittmuster zum Selbernähen an.
Hobbyschneiderin. Schnittmusterbogen oder Häkelnadel. Lange Zeit hatten solche Begriffe etwas Rückständiges, Anachronistisches. Denn hinter diesen Wörtern verbarg sich vor allem eins - etwas Hausbackenes, Piefiges. Auch Silke Denecke ist mal eine dieser anachronistischen Hobbyschneiderinen gewesen. Als Kind schon. Das Problem für sie - damals war Nähen vor allem etwas für BURDA-Leserinnen.

Denecke: "Irgendwie bin ich dann zu Stoffhändlern gegangen und hab immer wieder nach Schnittmustern gefragt, weil hier in Deutschland es eigentlich nur Burda gibt - dieses Magazin und Einzelschnittmuster in den Kaufhäusern – dann noch neue Mode – ansonsten gibt es einfach nichts..."

Und weil neue Ideen meistens dann entstehen, wenn etwas fehlt, erfand Silke Denecke mit "Schnitt und Stoff" einen Online-Versand für trendige Schnittmuster samt passender Stoffe. Und setzt so etwas fort, was sie schon immer gemacht hat: Entwerfen, verkleiden, kreativ gestalten. Aufgewachsen in einer Münchner Vorortidylle, verbrachte Silke Denecke einen Teil ihrer Kindheit damit, die kleinere Schwester zu verkleiden und zu frisieren. Von ihrer Mutter schaute sie sich ab, wie man näht und strickt - und als die Schwester keine Lust mehr auf immer neue Kostüme hatte, begann Silke Denecke eben für sich selbst zu nähen.

Denecke: "Ich hab' schon als kleines Kind meine Sachen selbst zusammengenäht - als meine Mutter mir in den 80er Jahren verboten hat, ein Netz-Shirt zu kaufen - hab' ich eine alte Gardine in so ein Netz-Shirt umgewandelt."

Dass Silke Denecke mit einem zerrissenen Gardinen-T-Shirt-rumgelaufen ist, muss länger her sein - die zierliche 34-Jährige trägt gerade nichts Selbstgenähtes, obwohl der rote Wollrock und der schwarze schmal geschnittene Mantel klassisch und originell sind – und damit auch aus ihrer Schnittsammlung stammen könnten. Sie studierte Kunstgeschichte in München, Tübingen und Havanna. Volontierte in der Düsseldorfer Kunsthalle, zog nach Berlin und wieder zurück nach München.

Als ein Ausstellungprojekt auslief, sprang sie ins kalte Wasser des Existenzgründertums: Sie beantragte Zuschüsse, lieh sich Geld. Ein Jahr lang bastelte sie an den Seiten, lernte Programmieren und wie man einen Online-Shop technisch betreut, dann verkaufte sie die ersten Schnittmuster.

Denecke: "Die Modelle entwickle ich selber - ich mach die Zeichnungen, grobe, und geb den Schnitttechnikerinnen, genaue Angaben, wo die Tasche zu sitzen hat, wo der Reißverschluss sitzt - was in etwa für ein Stoff verwendet wird und die Schnitttechnikerinnen, die geben das in einen Computer - es gibt so CAD Schnitttechnikprogramme - die geben das ein und dann wird das Schnittmuster erstellt."

Silke Deneckes Modelle heißen sachlich schlicht: Sporthose, rückenfreies Kleid oder Bluse mit gerafften Ärmeln.

Klingt einfach – sieht aber wirklich großartig aus. Immer mit raffinierten Details.

Denecke: "Ich geh' auch mit offenen Augen durch die Welt. Ich glaub Mode hat auch viel damit zu tun, dass man Dinge sieht, es ist ein Austausch - aber so dieses irgendwo hingehen, eine Klamotte auseinander zu nehmen und dann ins Netz zu stellen - das ist nicht meine Welt."

Ihren elektronischen Schnittmustershop präsentiert sie mit moderner, eleganter Grafik. Das Schöne an den Schnitten: man muss nicht mehr, wie bei Burda, aus einem Liniengewirr das gewünschte Model heraussuchen, sondern bestellt praktischerweise einfach genau die Größe, die einem passt und bekommt dann den Schnitt in Original-Größe ins Haus geschickt.

Inzwischen verkauft Silke Denecke ihre Schnittmuster nicht mehr nur über das Internet, sondern auch in den Szene-Stoffläden diverser Großstädte - in Berlin-Mitte zum Beispiel, in Tanja Gehrmanns-Laden "Frau Tulpe".

Gehrmann: "Hier im Laden sind die Kunden relativ jung - zwischen 20 und 30, hauptsächlich Frauen - das sind auch die Leute, die die Schnittmuster kaufen von Silke."

Ausschneiden - Drauflegen - Nähen - so soll es gehen - und damit das klappt gibt es unterschiedliche Schwierigkeitsgrade von einfach bis kompliziert. Zwischen 30 Modellen kann gewählt werden - Mode für Frauen, für Kinder, für Schwangere und für Frauen mit Übergrößen – in Zukunft auch für Männer. Dazu eine für Laien verständliche Nähanleitung. 10 bis 45 Euro zahlt man je nach Schnitt.

Vier Euro Gewinn macht Silke Denecke mit jedem verkauften Modell. Doch mit durchschnittlich 30 verkauften Schnittmustern im Monat kann sie weder ihren Kredit abzahlen, geschweige denn davon leben. Also näht sie als Zusatzjob in der Münchner Max-Vorstadt zusammen mit anderen jungen Designern - lebt vom Kredit und einzelnen verkauften Kleidern.

Und gibt nicht auf - sondern setzt auf Kunden, die individueller gekleidet sein wollen als im üblichen Zara-Mango-H&M-Look.

Denecke: "Für mich ist es fast wie eine Therapie. Nähen oder Handarbeiten an sich hat was unglaublich Meditatives - man zieht sich zurück, man muss die Zeit aufbringen, man muss Geduld aufbringen. Und wenn man das schafft, sich ein, zwei Stunden zurückzuziehen und sich dem voll hinzugeben - dann ist das eine wunderbare Sache. Und ich glaube, das entdecken die Leute einfach ein bisschen.... dass man sich rausreißt aus diesem schnellen Alltag."

Gerade hat Silke Denecke ihre Seiten komplett erneuert, ihr Programm erweitert. Aus Fehlern der Anfangszeit hat sie gelernt. Die Fotos sind jetzt größer und Stoffe bietet sie gar nicht mehr an - das sei zu kompliziert und zu teuer. Ihre Seite hat sie umbenannt: Von "Schnitt und Stoff" in "Silkes Schnittmuster". Das klingt fast wieder ein wenig hausbacken und seltsam tiefgestapelt und hat vielleicht auch damit zu tun, dass Silke Denecke sich weder als Unternehmerin - noch als Modedesignerin sieht. Dazu hat sie zuviel Respekt vor dem Know-how der Kollegen. Man könnte das auch bescheiden nennen. Auf die Frage nach ihrer Berufsbezeichnung antwortet sie:

"Ich betreibe einen Schnittmusterversand."