Trend oder Transformation?

Schwarzes Theater erobert den Broadway

Von Barbara Behrendt · 25.09.2021
Audio herunterladen
Sieben Stücke schwarzer Autorinnen und Autoren haben in dieser Saison am New Yorker Broadway Premiere. Ist dies das Zeichen eines großen Umbruchs? Unter anderem die Theatermacherinnen Nia Farrell und Talia Oliveras erklären, was dahintersteckt.
Wenn man mit Nia Farrell und Talia Oliveras in Talias kleinem, begrünten Hinterhof in Brooklyn sitzt, das Kätzchen miaut und die jungen Theatermacherinnen sich mit leuchtenden Augen ins Wort fallen, beim Sprechen über ihre neue Arbeit, dann ist dabei nichts vom harten Verteilungskampf der Kulturszene in New York zu spüren.
Sie schwärmen vom Theater als geschütztem Raum, als Ort der Utopie, an dem Zukunftsvisionen entwickelt werden und das Gemeinschaftserlebnis innere Prozesse in Gang setzt. Fragen, die sie sich in ihrer neuen Inszenierung stellen, sind: "Etwa, wie man als schwarzer Mensch frei sein kann in einer Welt, die einen nicht liebt. Wie kann man Frieden finden? Wie die eigenen Träume verfolgen", erzählen die beiden.
Das klingt deutlich versöhnlicher als die Arbeit "Dreams in Blk Major", mit der sie im Mai den Werkauftrag des Stückemarkts beim Theatertreffen gewonnen haben. Das weiße Publikum wäre, hätte die Aufführung analog stattgefunden, auf die hintersten Plätze verbannt worden, um Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe spürbar zu machen.

Kulturelle "Gatekeeper" sind vor allem weiß

Zumindest in New York scheint eine Veränderung im Gang zu sein, von der Konfrontation der weißen Zuschauerinnen und Zuschauer hin zu deren Umarmung. Denn auch das Stück der schwarzen Autorin, mit dem gerade die Broadway-Saison eröffnet wurde, zeigt ein Ende, bei dem Schwarze und Weiße gemeinsam im Paradies entschwinden.
Dass in dieser Saison gleich sieben Dramen schwarzer Autorinnen und Autoren zu sehen sind, halten Nia und Talia für eine großartige Nachricht. Allerdings hofft Nia, dass es sich dabei nicht nur um einen Trend handelt, sondern um eine echte Transformation. Die kulturellen "Gatekeeper", ergänzt Talia, die Produzenten mit dem Geld, sind nämlich nach wie vor: weiß.
Nia und Talia kennen die Mutmaßungen: Die schwarzen Autorinnen würden in der Pandemie-Saison an den Start geschickt, weil jederzeit alles im Lockdown verschwinden kann. Bei Startschwierigkeiten, die Corona geschuldet sind, könne man alles auf sie schieben.
Beide wissen, wie viel Druck auf den Teams dieser Produktionen lastet. "Sie müssen aber auch scheitern können dürfen – ohne, dass man dafür ihr Schwarzsein verantwortlich macht", sagt Nia Farrell.

Der Broadway – nicht das dringendste Problem für Schwarze

Der afroamerikanische Puppenspieler Brad Brewer sieht das aus einer anderen Perspektive. Er ist inzwischen 70, war einige Jahre Mitglied bei den Black Panthers und der einzige schwarze Puppenspieler, der es je an den Broadway geschafft hat. Er hat schon so viele Kämpfe gegen Rassismus geführt, dass er die Frage nach Diversität am Broadway eher achselzuckend kommentiert.
Schwarze, sagt er, müssen in den USA wieder um ihr Wahlrecht bangen, wie in den 60ern. Sie werden von Polizisten erschossen. Weiße Nationalisten fühlten sich bedroht, weil Weiße in Nordamerika bald in der Minderheit sind. Da gebe es ein paar dringendere Probleme als die Frage, ob man am Broadway spielt.
Und dann gibt es noch all jene weißen Menschen, die zwar nichts gegen schwarzes Theater haben, sich davon aber ausgeschlossen und nicht gemeint fühlen. Wenn Nia und Talia das hören, rollen die eigentlich so herzlichen Frauen genervt die Augen. Wie oft, sagen sie, haben sie sich selbst nicht gemeint gefühlt? Ist es nicht möglich, 90 Minuten an etwas teilzunehmen, bei dem man nicht das Zentrum aller Aufmerksamkeit ist?

Deutschland hat Nachholbedarf

Will Arbery, ein junger, weißer Erfolgsdramatiker, der mit seinem Stück "Heroes of the Fourth Turning" über vier junge konservative Katholiken, die Trump unterstützen, beinahe den Pulitzerpreis gewonnen hätte, kann die Forderung nach mehr Zugänglichkeit gut verstehen, wird den eigenen Platz dafür aber nicht räumen:
Als Künstler sieht er sich außerstande, nicht zu schreiben. Was gefragt ist, sei die eigene weiße Perspektive nicht als neutral zu betrachten. Er sei als Weißer in einem Land der Sklaverei geboren. Das mache ihn krank, aber er möchte darüber schreiben dürfen. Wahrheit sei gefragt, Wahrheit könne er liefern.
Dass er seine Perspektive als weißer Mann dabei selbstverständlich hinterfragt, vielleicht ist das eine der wichtigsten Veränderungen. Talia Oliveras hat übrigens ein paar Monate in Berlin Theater studiert und war erstaunt, wie wenig man hier im Vergleich über Rassismus spreche. In Deutschland müssten die Stimmen, sagt sie, noch viel lauter werden.
Mehr zum Thema