Trend in der Musikproduktion

Mit kaputtem Sound in die Charts

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Ein Musiker steht am beleuchteten Mischpult.
Streamingdienste haben den Klang von Musik verändert - inzwischen scheint Perfektion auch bei vielen Hochglanz-Pop-Musikern aus der Mode gekommen zu sein. © Unsplash/ James Coleman
Von Ina Plodroch · 14.11.2019
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Mainstream-Pop strebte bislang oft nach dem perfekten Sound. Doch Streamingdienste und Smartphone-Lautsprecher verändern die Klanggewohnheiten. Darauf reagiert auch die Musikindustrie: Kaputter Sound ist inzwischen salonfähig geworden.
Post Malone ist ein sehr erfolgreicher gesichtstätowierter Rapper und Sänger. Mit seinen Songs und Alben bricht er immer wieder Rekorde, manchmal sogar seine eigenen. Auf Platz eins der Charts schaffte er es zum Beispiel mit dem Song "Circles".
Das Besondere daran sind die Gitarren - die "eben nicht Hi-Fi klingen, sondern irgendwie verwaschen sind", wie der Musikwissenschaftler Ralf von Appen meint. Sie klängen so, als seien sie mit einfachen Mitteln aufgenommen. Gitarren, die leiern, Lo-Fi-Sound, der knarzt und nicht perfekt, sondern kaputt klingt. All das: ein Rückgriff auf vergangene Tage?
Diesen Sound hat der Punk rauf und runter produziert. Von Appen meint, man habe sich bemüht, "gegen die vorherrschenden Klangideale an zu produzieren, um dadurch deutlich zu machen: Ich bin nicht Mainstream, ich teile nicht das Schönheitsideal oder den Zwang zum Perfektionismus."
Im Underground sei das eine sehr verbreitete Strategie, so von Appen. Aber Post Malone sehe er dort nicht, so von Appen. Weil Post Malone selbst der Mainstream ist. Der kaputte Sound ist also im großen Pop angekommen. Brockhampton, Kummer, DaBaby und allen voran: Kanye West.
Der Song "Follow God" dröhnt ohne Ende und klingt, als hätte jemand den Bass bei der Produktion viel zu laut gezogen. "Also Kanye West macht es natürlich einfach deswegen, weil er das kann", sagt Numinos, Produzent und Dozent am Institut für Populäre Musik an der Folkwang Uni in Essen. "Der spielt ja sehr damit - und es ist immer noch geil."

Kanye West gibt den authentischen Bedroom-Producer

Auch die Charts klingen immer mal wieder kaputt, es dröhnt und leiert; der Sound klingt nicht brillant, sondern selbstgemacht und schrammelig. Das hat für Numinos unterschiedliche Gründe. Zum einen helfe es dabei, sich ein cooles Underground-Image, etwas sehr Authentisches zu geben. "Ich vermittele damit ja schon als Producer: Hey, ich hab' das Zuhause gemacht, ich hab' das rausgehauen." Man könne den Eindruck vermitteln, man gebe etwas direkt an die Hörer. "Wenn es ein bisschen zerrt – Hey, ich bin nicht korrumpiert von irgendwelchen Leuten, die darauf achten, dass meine Qualität perfekt ist", erklärt Numinos die Strategie von Produzenten.
Kanye West, Post Malone und andere täten also so, als seien sie authentische Bedroom-Producer, die in Eigenregie und ohne professionelles Studioequipment Tracks produzieren, meint Numinos. "Durch die Demokratisierung dieses Produktionsprozesses ist jeder, der Musik macht, direkt am Hörer angeschlossen. Es gibt keine Zwischeninstanz mehr." Wer einfach vor sich hin produziert, hat selten einen Tontechniker, Mastering Engineer, oder jemanden, der am Ende nochmal drüber hört. "Dadurch kommen tatsächlich viele Titel ins Netz, wo der klassische Engineer sagen würde: Das ist übersteuert", meint Numinos.
Ein anderer Grund, warum im Jahr 2019 so viele Songs auch im erfolgreichen Pop so kaputt klingen, sei, "dass dem Sub Bass in der aktuellen Popmusik soviel Bedeutung zukommt", so Numinos.
Durch Trap und Dub Step hat sich ein Bass etabliert, der besonders tief wummert. Das Problem ist nur, sagt Numinos: "Wenn man so in den Bereich unter 150 Hertz kommt, können unsere mittlerweile meist genutzten Abspielgeräte - Laptop, Lautsprecher, Handylautsprecher - dass nicht wiedergeben." Ein nicht übersteuerter Sub Bass ist auf einer großen Anlage gut hörbar - am Laptop aber kaum wahrnehmbar. "Durch Verzerrung, durch Clippen kann ich Obertöne generieren, sodass er auf Handys wieder hörbar wird", erklärt Numinos. Nur eben etwas verzerrt - oder sogar: kaputt.
Der dritte Grund für kaputten Pop: künstlerischer Ausdruck. Bei der Musikerin FKA Twigs brechen die Songs hörbar in sich zusammen. Das vermittelt ein Gefühl von Verletzung, Schmerz und Dystopie. Produzent und Dozent Numinos sagt: "Die macht das natürlich ganz bewusst, um auch etwas Kaputtes, Wütendes zu kommunizieren, das war ja schon immer das Wesen der Verzerrung." Das hat nun eben auch den Weg in den großen Pop gefunden.

Lauter, dreckiger Pop: Provokation für die Elterngeneration

In Zeiten, in denen es so leicht geworden ist, perfekt zu klingen und einen cleanen Sound zu produzieren, scheint eben genau die Perfektion gar nicht mehr das Maß aller Dinge zu sein. Auch, weil es die Hi-Fi-Fans der 80er, also die Elterngeneration, provoziert, dass aktueller Pop viel zu komprimiert, laut, dreckig und kaputt klingt.
Aber: Nur weil Kim Petras, Post Malone, Kanye West und Co. auf einen kaputten Sound setzen und damit regelmäßig auf Platz 1 der Charts landen, heißt das heute nicht mehr, dass dieser Trend jeden Song im Pop betrifft. "Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit von allem", so Numinos. Einem Zeitalter, in dem zig Mikrotrends die Musikwelt gleichzeitig prägen und alte Gewissheiten –beispielsweise der Underground, der sich gegen den Mainstream stellt – nicht mehr zutreffen.

Underground klingt wie einst brillanter Hochglanz-Pop

Weil es diesen Mainstream wie vor 20 oder 30 Jahren, in dem Hits durch das Radio und Samstagabend-Shows geprägt wurden, gar nicht mehr zu geben scheint, sagt Ralf von Appen. Das habe enorm abgenommen durch das Internet und die Diversifizierung; durch die Art, wie Musik heute konsumiert werde. "Da kriegt jeder seine auf die eigene Bubble zugeschnittene Playlist und guckt sich die Blogs an, die ihn interessieren." Er glaube, dass dadurch die Bedeutung von Mainstream stark abgenommen hat.
Und das führt dazu, dass auch Künstler wie Post Malone ihre Songs leiern lassen als wären sie im Underground. Und der klingt dann manchmal selbst wie einst der brillante Hochglanz-Pop. Oder gleichzeitig so kaputt, dass ein Song fast in sich zusammenfällt wie beim Internetpunk vom amerikanischen Duo 100gecs.
(abr)
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