Treffender Strich und knautschige Reime

Als doppelter Ziegelstein erscheint dieses von Rolf Hochhuth herausgegebene gewichtige Hausbuch mit einem Vorwort von Theodor Heuss neu. Wilhelm Busch, der Meister der deutschen Bildergeschichte, hat mit scharfen Augen und Ohren Volksmund gesammelt. Er liefert gemeine Detailstudien zur deutschen Typologie von A wie Amtsinhaber bis W wie Witwe.
Irgendwas ist immer! Denn irgendwas geht immer schief. So grausam wie komisch schief. Je größer die Fallhöhe - Eitelkeit, Amtsdünkel -, desto komischer der Fall - ein Fehltritt, die "Tücke des Objekts". Und manchmal, oft in Gestalt kleiner Jungs wie Max & Moritz, ist es schiere Boshaftigkeit, die geradewegs in den Kladderadatsch führt.

Wilhelm Busch sei, hat Theodor Heuss 1956 in einem Essay notiert, über "die ‘Soziologie’ in die Unsterblichkeit gestolpert". In der Tat. Dieser Meister der deutschen Bildergeschichte hat Volksmund gesammelt, mit scharfen Augen und Ohren für all seine herben, bösen, grausamen, traurigen Geschichten. Was er zeichnet und erzählt, sind Szenen häuslicher Desaster, dörflicher Disharmonie, Bildungsgrotesken und immer wieder gemeine Detailstudien zur deutschen Typologie von A wie Amtsinhaber bis W wie Witwe, dazwischen, Lehrer, Maler, Dichter, Kaufmann, Pastor sowie Pastors Vieh.

Slapstick avant la lettre - in Reimen, die so herzerfrischend knautschen wie beim frühen Bob Dylan und in so antipathetische Brechungen münden wie bei Dorothy Parker, und mit einem so atemberaubend knappen, treffenden Strich und so hinterhältig angebrachten "Kollateralschäden", dass man sich stundenlang allein in die Bilder vertiefen kann. Nur um freudig zu entdecken, von wem Busch und wer umgekehrt von ihm wohl so alles gelernt hat.

Auch freudiges Wieder entdecken verschafft einem dieser doppelte Ziegelstein: Nämlich wie viel von all den bits & bytes, die einem durchs Hirn wuseln, von Busch ist. Nicht nur die als störend empfundene, weil mit Geräusch verbundene Musik, die Witwe Klicko oder der Likör von altersher. Busch ist inzwischen selbst Volksmund geworden. Ja, doch, es gibt eine deutsche Tradition des Komischen - nur eben, anders als im Angelsächsischen und Französischen, unterhalb bildungsbürgerlicher Nobilitierung.

Und noch etwas überrascht beim Wiederlesen: In Buschs Welt wimmelt es von drastischen Gräueln wie bei Grimmelshausen. Da werden Gliedmaßen malträtiert, Torturen exerziert, da wird geröstet und geschrotet - Kindergeschichten, als die die meisten von uns sie vermutlich kennen gelernt haben, sind das nicht.

Ein Hausbuch sind diese "Sämtlichen Werke", die der Verlag jetzt wieder herausgebracht hat, dagegen sehr. So waren sie schon 1959 angelegt, als der Bertelsmann-Lesering sie von seinem damaligen Lektor Rolf Hochhuth zusammenstellen ließ: schmökerfreundlich ohne Anmerkungsapparat, gut komponiert, ohne der Chronologie zu folgen. Diese angesichts der über 2200 Seiten fast handliche und wohlfeile Ausgabe hat nur einen (wohl unvermeidlichen) Makel - auf den dünnen Druckseiten schimmern die Zeichnungen auf den Rückseiten durch.

Rezensiert von Pieke Biermann

Wilhelm Busch, Sämtliche Werke,
hg. von Rolf Hochhuth, mit einem Vorwort von Theodor Heuss, 2 Bände im Schuber, C.Bertelsmann Verlag, München, 2.250 Seiten, 34 Euro