Treffen von Merkel und Putin

Ruhe in Syrien als gemeinsames Interesse

Russlands Präsident Wladimir Putin begrüßt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sotschi.
Bereits in Sotschi schlug Präsident Putin gegenüber Kanzlerin Merkel wieder freundlichere Töne an. © Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa
Bente Scheller im Gespräch mit Katrin Heise  · 18.08.2018
Beim Arbeitstreffen von Bundeskanzlerin Merkel und Russlands Präsident Putin soll die Nachkriegsordnung für Syrien ein wichtiges Thema sein. Die Leiterin der Böll-Stiftung in Beirut, Bente Scheller, kritisiert, dass eigene Interessen die Suche nach Lösungen dominieren.
Neben vielen anderen Themen wird die Lage in Syrien ein wichtiges Thema bei der Begegnung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin spielen. Die Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut, Bente Scheller, sieht da einige Gemeinsamkeiten: "Im Prinzip haben beide schon das gleiche Interesse, dass in Syrien eine gewisse Ruhe einkehrt", sagte Scheller im Deutschlandfunk Kultur.
In Syrien gibt es seit einigen Tagen wieder Luftangriffe der syrischen und russischen Luftwaffe.
In Syrien gibt es immer noch Luftangriffe der syrischen und russischen Luftwaffe.© dpa/picture-alliance/Nabaa Media
Allerdings seien die Parameter dennoch unterschiedlich. "Für Russland ist alles damit getan, dass eine Friedhofsruhe einkehrt." Dagegen würde Europa sich eine andere Situation wünschen, die genügend Sicherheit und mehr Stabilität biete, damit Geflüchtete auch zurückkehren könnten. Deshalb handele es sich eher um ein punktuelles gemeinsames Interesse.
"Im Wesentlichen ist für Russland Syrien interessant als Druckmittel gegenüber dem Westen, und es wird sicherlich versuchen, Syrien einzusetzen, um hier bestimmte eigene Interessen auch in anderen Gebieten durchzusetzen", sagte die Syrien-Kennerin. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Katrin Heise: Angela Merkel erwartet schwierige Gespräche heute Abend mit Wladimir Putin. Es ist das erste bilaterale Treffen der beiden nach der Annexion der Krim. Internationale Streitfragen erfordern aber dieses Thema, betont die Kanzlerin im Vorfeld, auch wenn sie, das hat sie auch gesagt, keine direkten Ergebnisse erwartet. Eine der Streitfragen, um die es heute Abend gehen wird, ist die Situation in Syrien. Dort kennt sich Bente Scheller bestens aus. Sie war jahrelang dort, leitet inzwischen das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Ich grüße Sie, Frau Scheller, guten Tag!
Bente Scheller: Guten Morgen!
Heise: Ein Thema der Begegnung heute Abend soll eine Nachkriegsordnung für Syrien sein. Die syrische Regierung erobert ja derzeit tatsächlich mit russischer Hilfe einen Großteil des Landes von den Rebellen zurück. Merkel zeigt sich offen für ein Syrientreffen in einer Viererrunde, das heißt Türkei, Russland, Frankreich und Syrien. Diesen Vorschlag hat Ministerpräsident Erdogan gemacht. Wie zielführend, finden Sie, ist so ein Format?
Scheller: Nun, allein, wenn wir uns anschauen, wer dabei sein soll, fällt natürlich auf, der Iran als einer der wesentlichen Unterstützer Assads ist nicht dabei. Das ist natürlich etwas, was uns schon darauf hinweist, es geht hier nicht um Gesamtsyrien, es geht um Themen, die speziell Europa interessieren und bei denen die Türkei, die eben dazu eingeladen hat, jetzt den Drang verspürt, über eventuelle Dinge gemeinsamen Interesses zu reden. Deswegen ist es kein Gipfel, um Gesamt-Syrien zu lösen, sondern ich denke, es geht hier um sehr spezifische Interessen, die auf dem Tisch liegen werden.

Eigene Interessen im Spiel

Heise: Und die dann letztendlich nicht zielführend sein werden, wenn ich Sie richtig verstehe?
Scheller: Zumindest nicht, was jetzt eine Befriedung Syriens betrifft. Denn diejenigen, die hier am Tisch sitzen werden, haben ihre eigenen Interessen. Ich denke, für Europa ist sehr klar, dass die Flüchtlingssituation im Vordergrund steht, und vor allen Dingen das Interesse, dass nicht noch mehr Flüchtlinge aus Syrien Richtung Europa kommen.
Da sieht Erdogan sich natürlich an einer Schaltstelle, denn es steht zu erwarten, dass, wenn es noch mal eine Großoffensive in Syrien gibt, die Millionen von Menschen in die Flucht treiben könnte, dass dies im Norden Syriens stattfindet, Idlib, also dass damit Geflüchtete in Richtung Türkei gedrängt würden. Und das ist eben so die Motivation Erdogans, zu diesem Treffen zu laden.
Hassan Rouhani, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin beim Syrien-Gipfel am 4.4.2018 in Ankara
Neben Russland und derTürkei spielt auch der Iran im Syrien-Konflikt eine zentrale Rolle. Hier Staatsoberhäupter Hassan Rouhani (l), Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin beim Syrien-Gipfel im April in Ankara.© imago/Mikhail Metzel/TASS
Heise: Im Westen, aber auch in vielen arabischen Staaten, ist man sich ja einig, dass der Iran, Sie haben ihn ja angesprochen, dass der Iran aus Syrien zurückgedrängt werden soll. Kann und will Russland hier vermitteln?
Scheller: Ich denke, Russland und Iran haben gewisse Differenzen in Syrien, das ist ganz klar. Aber im Prinzip schauen sie in die gleiche Richtung. Es geht beiden um einen Machterhalt Assads, und hier spielen sie beide eine unterschiedliche Rolle. Russland hat die Sicherung aus der Luft sozusagen übernommen mit der eigenen Luftwaffe.
Aber am Boden sind Assads Siege dem Umstand geschuldet, dass sehr viele iranische und iranisch finanzierte Milizen hier viel aktiv sind. Und das sind natürlich auch diejenigen, die im Prinzip die Stabilität, wenn man davon sprechen will, herstellen sollen. Also, Russland kann im Prinzip nicht auf den Iran verzichten, hat aber sehr wohl ein Interesse, genau wie Europa, die Rolle Irans klein zu halten.

Russland wünscht Friedhofsruhe in Syrien

Heise: Da haben Sie jetzt mal ein gemeinsames Interesse von Russland und Europa betont. Wenn ich mir das so angucke, Russland, wie es im Moment agiert und beispielsweise Assad unterstützt – Deutschland steht auf einer ganz anderen Seite –, wo gibt es Ihrer Meinung nach eigentlich zwischen Russland und Deutschland gemeinsame Interessen in diesem ganzen Konflikt?
Scheller: Im Prinzip haben beide schon das gleiche Interesse, dass in Syrien eine gewisse Ruhe einkehrt. Aber die Parameter sind dann natürlich unterschiedlich. Für Russland ist alles damit getan, dass eine Friedhofsruhe einkehrt. Europa würde sich da natürlich eine andere Situation wünschen, eben eine, die genügend Sicherheit bietet, dass Geflüchtete auch zurückkehren können, und die tatsächlich Stabilität verheißt. Und deswegen ist es ein sehr punktuelles Interesse, was sie hier gemeinsam haben. Im Wesentlichen ist für Russland Syrien interessant als Druckmittel gegenüber dem Westen, und es wird sicherlich versuchen, Syrien einzusetzen, um hier bestimmte eigene Interessen auch in anderen Gebieten durchzusetzen.
Eine russische Antonov An-124 Ruslan wird am französischen Flughafen Chateauroux mit Hilfsgütern für Syrien beladen.
Ein Beispiel für eine punktuelle Zusammenarbeit waren im Juli gemeinsame Hilfstransporte von Frankreich und Russland nach Syrien.© AFP / Alain JOCARD
Heise: Wie verlässlich ist eigentlich das, was man da überhaupt ausmachen kann, wenn man daran denkt, dass Assad ja beispielsweise mit einem vereinbarten Deeskalationsgebiet nach dem anderen ja aufräumt, er sie also angreift. Dorthin hatten sich die Rebellen ja unter Schutz zurückgezogen, und das war auch eine Vereinbarung, die die Astana-Gruppe damals getroffen hatte, also Russland, Türkei, Iran.
Scheller: Ja, ganz ehrlich, es dürfte schwerfallen, irgendeine Vereinbarung zu finden, an die das syrische Regime oder die Unterstützer sich gehalten haben. Die Deeskalationszonen waren ja mit Russland vereinbart worden, und man war auch Garantiemacht für ganz viele lokale Waffenstillstände. Ich kenne keinen einzigen, der nicht sofort wieder gebrochen wurde. Auch die Sicherheiten, die Russland angeboten hat, in der Stadt Duma zum Beispiel für die zurückgebliebenen Bewohner nach der Vertreibung der Rebellen sind nicht eingehalten worden. Dort finden Razzien statt, dort wird verhaftet, wen man jetzt finden kann, auch wenn es Leute sind, die vorher nicht gesucht waren. Es gibt keinerlei Verlässlichkeit, dass durch eine Vereinbarung tatsächlich etwas erreicht wird, worauf man sich dann als syrischer Bürger oder eben als Europa berufen könnte.

Gefahren der Rückkehr

Heise: Und in der Situation soll irgendjemand dorthin zurückkehren als Flüchtling? Wie – wir haben die Flüchtlinge auch vorhin schon mal angesprochen, ja eigentlich unter der Überschrift "neue Flüchtlinge". Jetzt reden wir doch mal von der Rückkehr der Flüchtlinge. Ist das überhaupt ein realistisches Unterfangen in absehbarer Zeit?
Scheller: Es gibt durchaus Leute, die zurückkehren, aber da muss man sich genau anschauen, wer ist denn das? Das sind normalerweise Leute, die überhaupt keine Perspektive dort haben, wo sie sind, die denken, sie haben wirklich nichts mehr zu verlieren, die auch hilflos ausgeliefert sind dem Druck anderer Staaten, zurückzugehen. Also von Sicherheit kann man in Syrien insofern nicht sprechen, als die Unsicherheit nicht allein durch den Krieg bestimmt ist, sondern durch die politische Situation. Wir haben eine Liste von 2015 im Internet von 1,5 Millionen gesuchten syrischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern. Das muss man sich mal vorstellen.
Zwei Frauen mit Kind neben zertrümmertem Panzer
Viele syrische Flüchtlinge können unter dem Assad-Regime nicht nach Syrien zurückkehren, weil ihnen politische Verfolgung droht. © Marc Thörner
Heise: 1,5 Millionen…
Scheller: 1,5 Millionen, und das bei einer geschätzten Bevölkerung von vielleicht 21 Millionen. Und es handelt sich wie gesagt um eine Liste von 2015, die über die vergangenen Jahre sicherlich noch gewachsen sein dürfte. Deswegen gibt es für all diejenigen, die potenziell auf so einer Liste stehen, natürlich keine Sicherheit. Wir wissen, was in syrischen Gefängnissen passiert. Wir haben alle die Cäsar-Fotos gesehen, auf denen es Tausende zu Tode Gefolterter aus syrischen Gefängnissen zu sehen gibt. Deswegen finde ich es wirklich verfrüht, von Sicherheit zu sprechen, solange dieses Regime noch im Sattel sitzt.

Rückkehr zur Genf-Konferenz gewünscht

Heise: Was würden Sie sich denn wünschen, was Angela Merkel heute bespricht? Was kann sie erreichen?
Scheller: Über die letzten Jahre ist sehr wenig erreicht worden. Aber ich denke, dass immer wichtig ist, zurückzugehen auf den Beginn der internationalen Bemühungen, einen Frieden in Syrien zu etablieren. Das Format der Genf-Konferenzen unter der Ägide der Vereinten Nationen müsste es eigentlich sein, das hier den Rahmen bildet für eine Friedensordnung.
Und da ist ja sehr klar festgehalten, es muss eine Transition der Macht geben, weg von Baschar al-Assad zu einer integrativen, inklusiven Regierung. Auch, wenn es lange her ist, dass das vereinbart wurde und sehr fern scheint, das ist das, worauf wir eigentlich hinauswollen müssten, wenn wir tatsächlich Sicherheit in Syrien und Frieden haben wollen, der ermöglicht, dass Geflüchtete zurückkehren.
Heise: Das würde sich Bente Scheller von der Hans-Böckler-Stiftung wünschen, dass Angela Merkel und Wladimir Putin das heute Abend besprechen. Frau Scheller, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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