Traumforschung

Lassen wir uns im Schlaf manipulieren?

07:20 Minuten
Eine Frau in einem wallenden Kleid unter der Wasseroberfläche, ihre Augen sind geschlossen
Reize aus der realen Welt können unter die Oberfläche, in die Welt der Schlafenden dringen. © imago / imagebroker
Von Matthias Finger · 30.12.2021
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Können Geräusche und Bilder, die wir in der Einschlafphase wahrnehmen, unsere Träume beeinflussen? Können wir so kreativer werden, mehr lernen? Und wenn ja: Wie weit reichen solche Manipulationen? Lassen sie sich etwa für Werbung nutzen?
Bei Trauminkubation nimmt man eine Idee oder eine Frage in den Traum mit. „Das heißt: Wenn man im Bett liegt und kurz vor dem Einschlafen ist, dann denkt man ganz intensiv über eine Frage oder ein Problem nach – in der Hoffnung, dass man die Frage im Traum beantworten kann“, erklärt Schlafmedizinerin Samia Little Elk. Ich würde das auch gern ausprobieren.
Die US-Brauerei Coors hat dafür eine Anleitung ins Netz gestellt. Wer sich den Clip vor dem Schlafengehen ansieht, soll erfrischende Träume haben. „Ich habe von Wasserfällen geträumt“ oder „Ich habe Berge gesehen“, erzählen die Probanden in dem Werbevideo. Andere sind durch Schnee gelaufen oder haben friedlich von blauem Wasser geträumt.
Ich schaue mir die Berglandschaft auch an, abends im Bett: Ein tiefblauer See, verschneite Gipfel und grüne Tannen sind in dem Video zu sehen. Dann ergießt sich ein Wasserfall und Tropfen fallen in Zeitlupe. Für wenige Sekunden sind Bier- und Limo-Dosen im Bild. Ob ich wirklich davon träumen werde? Nein, ein entsprechender Traum stellt sich bei mir leider nicht ein oder zumindest kann ich mich nicht an ihn erinnern.

Traummanipulation und Werbung

In den USA wurde die Aktion im Umfeld des Mega-Fernseh-Events Super Bowl, dem Finale der Footballliga, beworben. Aber: In die Träume von Millionen mit Werbung eingreifen? Unerhört, schäumt die amerikanische Fachwelt in einem offenen Brief: “Trauminkubation im Zusammenhang mit Werbung ist kein Spaß, sondern eine abschüssige Straße mit weitreichenden Konsequenzen“, heißt es darin. „Das Missbrauchspotenzial dieser Technologien ist so ominös wie offensichtlich.”
Ein Schreckensszenario: Fremde machen sich an unserem Unterbewussten zu schaffen – und wir können nichts dagegen tun. Selbst Hollywood hat sich schon an dem Thema abgearbeitet, im Film Inception. Allerdings ist die Aufregung um die mögliche Manipulation unserer Träume für Schlafmedizinerin Samia Little Elk nicht ganz nachvollziehbar. Viele Leute würden ja auch abends vor dem Fernseher einschlafen – gerade bei Werbesendungen, weil die so beruhigend seien und langsame Bildwechsel hätten. „Da wird ihnen ja auch was suggeriert, was sie mit in den Traum nehmen.“ Trauminkubation durch Werbung als tägliches Ritual. Vielleicht funktioniert die Jahrtausende alte Technik ja doch nicht so gut?

Traumdeutung bei den alten Griechen

Schon die alten Griechen haben bei gesundheitlichen Problemen im Tempel geschlafen, ergänzt Michael Schredl. Er leitet das Schlaflabor am Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim. „Das heißt sie haben sich vorbereitet auf einen bestimmten Schlaf und sie haben Rituale gemacht, weil sie davon träumen wollten, was ihnen hilft.“ Dann hätten die dortigen Priester sich die Träume erzählen lassen und überlegt, was die beste Medizin für die Person sei.
Als Schüler habe ich vor Leistungskontrollen gern mit einem Lehrbuch „unterm Kopf“ geschlafen: Das in letzter Minute angelesene Wissen war am nächsten Tag tatsächlich präsent. An Träume kann ich mich dabei allerdings nicht erinnern.

Luzide Träume als Trainingsmethode

Kein Wunder: Nur luzide oder Klarträume lassen sich effektiv beeinflussen. In ihnen wissen wir jedoch, dass wir träumen. Dafür stellt man sich über den Tag verteilt fünf bis zehn Mal die Frage: Träume ich oder bin ich wach? „Das dient dazu, dass man sich die Frage auch im Traum stellt. Wenn man weiß, dass man Träume beeinflussen kann, kann man aktiv handeln und den Traum gestalten“, erklärt Schredl. Er kenne das aus eigenen Träumen. "Da kann man dann hochspringen und wegfliegen und alles machen, was einem Spaß macht.“ Das schaffe ich leider nicht: Luzides Träumen muss häufig über Monate erlernt werden und hilft beispielsweise Sportlern beim erfolgreichen Trainieren von Bewegungsabfolgen im Schlaf.
Auch bei Alpträumen bietet sich die Trauminkubation an: Denn das Problem bei dem Alptraum sei, dass er nie fertig geträumt werde, so Schredl. „Das ist praktisch eine unvollendete Geschichte, die sich immer wiederholt. Wenn man sich dann im Wachzustand vorstellt: Heute laufe ich dann nicht mehr weg, sondern stelle mir starke Helfer vor, die hinter mir stehen und gucke erst einmal, wer da hinter mir ist. Wenn man das tagsüber übt, dann verändern sich die Alpträume.“

Traumarbeit im Mainstream angekommen

Lange wurden Trauminhalte von der Wissenschaft ignoriert. Mittlerweile ist ihr Potenzial unbestritten, sagt Psychologin Brigitte Holzinger vom Wiener Institut für Bewusstseins- und Traumforschung. „Was wir jetzt so sehen, basiert alles auf den Ideen von Sigmund Freud“, betont sie. Er habe Träume und Traumarbeit gesellschaftsfähig gemacht und dadurch Türen geöffnet, „dass jetzt der Mainstream Träume und Traumarbeit mehr und mehr akzeptieren kann“.
Freuds Leistung wird geschätzt. Seine Theorien vom Traum als Wunscherfüllung hingegen nimmt keiner mehr ernst. Heute gehe man an Träume anders heran, sagt Holzinger. „In der Traumforschung gibt es fast niemanden mehr, der Träume deutet in dem Sinn.“
Raucher paffen angeblich weniger, wenn sie im Schlaf mit einer Mischung aus Zigaretten- und Fischgeruch bedampft werden – im Schlaflabor. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass es äußere Reize in den Traum schaffen, gilt als gering – dazu noch im häuslichen Umfeld nach dem Betrachten einer Werbung der amerikanischen Brauerei Coors.

Clevere Reklame

Denn was im Werbeclip zu sehen ist, werde größtenteils nicht in den Traum aufgenommen, so Schredl vom Schlaflabor Mannheim. „Vielleicht mal ab und zu ein Wort.“ Das aber sei vollkommen aus dem Kontext gerissen und habe dann gar nichts mit der Werbung zu tun. „Da geht es um Bier, man ist auf einer Party und hat Spaß und trinkt ein ganz anderes Bier. Das heißt: Für Werbezwecke gibt es aktuell keinen Weg, das zu nutzen.“
Die Coors-Kampagne war vor allem eins: clevere Reklame. Durch die Verknüpfung mit dem Thema Trauminkubation hat sie Aufmerksamkeit generiert. Warum aber hatten viele Teilnehmer „erfrischende“ Träume? Vielleicht hat ja der 50-prozentige Rabatt auf Coors-Beer, mit dem Probanden gelockt wurden, etwas mit dem positiven Ergebnis zu tun.

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