Traumatische Erfahrungen und Albträume
29.10.2007
Der rumänische Schriftsteller Norman Manea hat in zwei Diktaturen gelebt. Als Kind war er in einem Konzentrationslager, als Erwachsener litt er unter dem Ceausescu-Regime in Rumänien. Über diese traumatischen Erfahrungen geht es in dem Band "Oktober, acht Uhr". Das Buch zieht eine lange autobiografische Linie durch sein bisheriges Leben.
Imre Kertész meinte einmal, nach den Erfahrungen der KZs habe ihm der Stalinismus dafür gebürgt, dass "von Freiheit, Befreiung, großer Katharsis und so weiter, wovon die Intellektuellen in glücklicheren Weltgegenden nicht nur redeten, sondern woran sie auch glaubten, überhaupt nicht die Rede sein könne". Ähnliches gilt auch für Norman Manea und Rumänien. Humanistische Selbsttäuschungen hatten kaum eine Chance, denn das Unheil setzte sich mit anderen Vorzeichen fort.
Davon berichten die Geschichten des Bandes "Oktober, acht Uhr", die - erzählerisch transponiert - eine lange autobiografische Linie ziehen von frühen traumatischen Erfahrungen hin zu den stabilisierten Albträumen des Lebens unter Ceausescu. Manea wurde 1936 in der Bukowina geboren; 1941 wurde er mit seinen Angehörigen in ein KZ in der Ukraine verfrachtet, wo er vier lebensprägende Jahre verbrachte. Später arbeitete er als Ingenieur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. 1986 ging er in die Emigration und lebt und lehrt seit Ende der achtziger Jahre in der Nähe von New York.
Seine Erzählungen sind im Zeichen der späten Moderne entstanden - das Misstrauen gegenüber der Erzählbarkeit der Welt macht sich geltend, wie in so vielen ambitionierten Werken nach Kafka, Proust oder Musil. Erzählbarkeit ist erst recht in Frage gestellt, wenn es um die Verarbeitung der tiefsten Traumata geht. Sie werden denn auch nur andeutend umkreist.
Gleich die erste Erzählung verschwimmt bei aller blutig-realistischen Konkretion der Details ins Vage, Unbestimmte. Archetypische Situationen eines kriegerischen Jahrhunderts stehen vor Augen: anrückende Truppen, Bombardierungen und Kampfhandlungen; bald darauf geplünderte Leichen auf den Straßen und Kinder, die sich auf einen Lastwagen mit Spielsachen stürzen, die verkappte Sprengsätze sind. Szenen, die sich als Allegorien des Schreckens lesen lassen, auch wenn Zeit und Ort nur erahnbar (oder aus kontextuellem Wissen erschließbar) sind.
Immer wieder bekommt es die kindliche Hauptfigur - meist wird sie nur "der Junge" genannt - mit dem Tod und der Todespanik zu tun, besonders beklemmend in der Geschichte "Der Tod", die in einem Lager spielt, unter Gewehrläufen. Eines Sommertages meint der Junge von der lange erwarteten tödlichen Kugel getroffen zu sein. Mit letzter Kraft schleppt er sich zu den Angehörigen in die Baracke - und wird von seinem Cousin, einem "ausgemergelten Scheusal", ausgelacht: Es war nur ein Bienenstich in die Brust…
"Das Grauen wurde allgemein, zum riesigen Sog, der uns alle mitriss", heißt es an einer Stelle. Nicht immer wird der Leser mitgerissen. Manea spielt auf der Klaviatur der Verzweiflung und führt in suggestiven Momenten die Angst als Affekt der Epoche vor, aber seine Figuren laden kaum zum Mitleiden ein. Mag sein, dass es eine Form der Diskretion ist, die ihn daran hindert, dem erlebten Grauen spannende Geschichten mit einfühlungsträchtiger Psychologie abzugewinnen. Stattdessen belässt er es bei Abbreviaturen, die oft erst bei wiederholter Lektüre zur Wirkung kommen – etwa wenn man nach der Beschreibung eines mit Menschen vollgepferchten Bahnhofswartesaales in dem verwilderten Zwerg, dem eine Rotkreuzdame heißen Tee und Kekse reicht, "den Jungen" erkennt, nun dem Konzentrationslager entronnen, an der Hand einer alten Frau, die seine gerade 30-jährige Mutter ist.
Einige Geschichten widmen sich der Übergangszeit zwischen dem soeben erlebten Vernichtungswahn und der wiedergewonnenen Normalität, an die man nicht zu glauben wagt. Zumindest nicht "der Junge", der die Versuche der Angehörigen, in einen gewöhnlichen Alltag mit gewöhnlichen Sorgen zurückzukehren, mit Argwohn und Verachtung sieht. In "Die Hochzeitsfeste" wird er von einem Vetter gedrillt, in möglichst tränentreibenden Worten von seiner verlorenen Kindheit im Lager zu erzählen, bei öffentlichen Veranstaltungen, auf Hochzeiten. Solches Hausieren mit dem Leiden, solch krassen Appell ans Mitgefühl verbieten sich die Erzählungen Maneas gerade durch ihren kühlen, beinahe abweisenden Ton.
Sie erschienen in Rumänien während der achtziger Jahre, in zensierter Form - Anspielungen auf Miseren des Ceausescu-Staates sind bei den Erzählungen der zweiten Hälfte nicht zu verkennen. Die drei längeren Erzählungen über das Leben in der sozialistischen Diktatur haben mehr erzählerische Zugkraft als die elliptischen, stark verdichteten Prosastücke der frühen Jahre: Hier gibt es Geschehen und Figuren, und man kann jedem Leser nur empfehlen, mit diesen weniger spröden Geschichten zu beginnen. Dann wird man einen Autor entdecken, der vielleicht nicht auf gleicher Höhe mit Primo Levi oder Imre Kertész schreibt, aber doch eine dringliche Lektüre zu bieten hat, in der die Schocks einer Epoche aufbewahrt sind.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Norman Manea: Oktober, acht Uhr
Erzählungen. Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka, Roland Erb, Paul Schuster und Ernest Wichner.
Hanser, 255 Seiten, 21,50 Euro.
Davon berichten die Geschichten des Bandes "Oktober, acht Uhr", die - erzählerisch transponiert - eine lange autobiografische Linie ziehen von frühen traumatischen Erfahrungen hin zu den stabilisierten Albträumen des Lebens unter Ceausescu. Manea wurde 1936 in der Bukowina geboren; 1941 wurde er mit seinen Angehörigen in ein KZ in der Ukraine verfrachtet, wo er vier lebensprägende Jahre verbrachte. Später arbeitete er als Ingenieur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. 1986 ging er in die Emigration und lebt und lehrt seit Ende der achtziger Jahre in der Nähe von New York.
Seine Erzählungen sind im Zeichen der späten Moderne entstanden - das Misstrauen gegenüber der Erzählbarkeit der Welt macht sich geltend, wie in so vielen ambitionierten Werken nach Kafka, Proust oder Musil. Erzählbarkeit ist erst recht in Frage gestellt, wenn es um die Verarbeitung der tiefsten Traumata geht. Sie werden denn auch nur andeutend umkreist.
Gleich die erste Erzählung verschwimmt bei aller blutig-realistischen Konkretion der Details ins Vage, Unbestimmte. Archetypische Situationen eines kriegerischen Jahrhunderts stehen vor Augen: anrückende Truppen, Bombardierungen und Kampfhandlungen; bald darauf geplünderte Leichen auf den Straßen und Kinder, die sich auf einen Lastwagen mit Spielsachen stürzen, die verkappte Sprengsätze sind. Szenen, die sich als Allegorien des Schreckens lesen lassen, auch wenn Zeit und Ort nur erahnbar (oder aus kontextuellem Wissen erschließbar) sind.
Immer wieder bekommt es die kindliche Hauptfigur - meist wird sie nur "der Junge" genannt - mit dem Tod und der Todespanik zu tun, besonders beklemmend in der Geschichte "Der Tod", die in einem Lager spielt, unter Gewehrläufen. Eines Sommertages meint der Junge von der lange erwarteten tödlichen Kugel getroffen zu sein. Mit letzter Kraft schleppt er sich zu den Angehörigen in die Baracke - und wird von seinem Cousin, einem "ausgemergelten Scheusal", ausgelacht: Es war nur ein Bienenstich in die Brust…
"Das Grauen wurde allgemein, zum riesigen Sog, der uns alle mitriss", heißt es an einer Stelle. Nicht immer wird der Leser mitgerissen. Manea spielt auf der Klaviatur der Verzweiflung und führt in suggestiven Momenten die Angst als Affekt der Epoche vor, aber seine Figuren laden kaum zum Mitleiden ein. Mag sein, dass es eine Form der Diskretion ist, die ihn daran hindert, dem erlebten Grauen spannende Geschichten mit einfühlungsträchtiger Psychologie abzugewinnen. Stattdessen belässt er es bei Abbreviaturen, die oft erst bei wiederholter Lektüre zur Wirkung kommen – etwa wenn man nach der Beschreibung eines mit Menschen vollgepferchten Bahnhofswartesaales in dem verwilderten Zwerg, dem eine Rotkreuzdame heißen Tee und Kekse reicht, "den Jungen" erkennt, nun dem Konzentrationslager entronnen, an der Hand einer alten Frau, die seine gerade 30-jährige Mutter ist.
Einige Geschichten widmen sich der Übergangszeit zwischen dem soeben erlebten Vernichtungswahn und der wiedergewonnenen Normalität, an die man nicht zu glauben wagt. Zumindest nicht "der Junge", der die Versuche der Angehörigen, in einen gewöhnlichen Alltag mit gewöhnlichen Sorgen zurückzukehren, mit Argwohn und Verachtung sieht. In "Die Hochzeitsfeste" wird er von einem Vetter gedrillt, in möglichst tränentreibenden Worten von seiner verlorenen Kindheit im Lager zu erzählen, bei öffentlichen Veranstaltungen, auf Hochzeiten. Solches Hausieren mit dem Leiden, solch krassen Appell ans Mitgefühl verbieten sich die Erzählungen Maneas gerade durch ihren kühlen, beinahe abweisenden Ton.
Sie erschienen in Rumänien während der achtziger Jahre, in zensierter Form - Anspielungen auf Miseren des Ceausescu-Staates sind bei den Erzählungen der zweiten Hälfte nicht zu verkennen. Die drei längeren Erzählungen über das Leben in der sozialistischen Diktatur haben mehr erzählerische Zugkraft als die elliptischen, stark verdichteten Prosastücke der frühen Jahre: Hier gibt es Geschehen und Figuren, und man kann jedem Leser nur empfehlen, mit diesen weniger spröden Geschichten zu beginnen. Dann wird man einen Autor entdecken, der vielleicht nicht auf gleicher Höhe mit Primo Levi oder Imre Kertész schreibt, aber doch eine dringliche Lektüre zu bieten hat, in der die Schocks einer Epoche aufbewahrt sind.
Rezensiert von Wolfgang Schneider
Norman Manea: Oktober, acht Uhr
Erzählungen. Aus dem Rumänischen von Gerhardt Csejka, Roland Erb, Paul Schuster und Ernest Wichner.
Hanser, 255 Seiten, 21,50 Euro.