Trauma einer Kindesentführung

17.11.2010
Hakan Nesser, einer der Großmeister des schwedischen Krimis, hat einen Roman über ein verschwundenes Kind geschrieben, das allmähliche Irrewerden der zurückbleibenden Eltern - und einen Vertrauensmissbrauch.
Am meisten ärgert ihn, hat Hakan Nesser einmal bekannt, dass die Deutschen so sehr auf den Geschmack an Schwedenkrimis gekommen seien. Denn wegen ihres Erfolgs im Deutschen würden nun jede Menge schwacher und unbedeutender schwedischer Krimiautoren ermutigt, weiter zu schreiben.

Hakan Nesser, Jahrgang 1950 und neben Henning Mankell der Großmeister des schwedischen Krimis, muss sich keine Sorgen machen, zu diesen Trittbrettfahrern gerechnet zu werden. Auch nicht mit seinem neuen Roman "Die Perspektive des Gärtners", wie die deutsche Übersetzung von Christel Hildebrandt im btb Verlag heißt. Es ist ein ungewöhnliches Buch, ohne Inspektor Barbarotti oder Kommissar van Veeteren, dafür mit jeder Menge Spannung. Es ist ein Roman über ein verschwundenes Kind, das allmähliche Irrewerden der zurückbleibenden Eltern - und einen Vertrauensmissbrauch. Aber ist es auch ein Krimi? Das wird jeder Leser für sich entscheiden müssen.

Vor 17 Monaten ist die viereinhalbjährige Sarah in Europa entführt worden. Während Erik Steinbach, ihr Vater und der Erzähler des Romans, die Wahrscheinlichkeit ihres Todes längst akzeptiert hat, hält die Mutter an dem Glauben fest, dass ihre Tochter noch am Leben ist. In Manhattan, wohin die Eltern vor dem Trauma der unaufgeklärten Kindesentführung geflohen sind, wird Erik Steinbach nach und nach klar, dass er vieles aus dem Vorleben seiner Frau nicht weiß. Auf literaturhistorisch bedeutendem Boden – am Handlungsort hat Edgar Allan Poe gelebt – inszeniert Hakan Nesser seine eigene "tale of mystery and imagination".

Besprochen von Denis Scheck

Hakan Nesser, Die Perspektive des Gärtners,
btb Verlag, München 2010, 320 Seiten, 19.90 Euro