Traum und Alptraum in Bulgarien

Von Stephan Ozsváth · 27.05.2013
Etwa 1,2 Millionen Bulgaren haben seit der politischen Wende ihr Heimatland verlassen - auf der Suche einem besseren Leben. Und obwohl Bulgarien immer noch das ärmste EU-Mitglied ist, kommen immer mehr gut ausgebildete Menschen zurück. Seit dem EU-Beitritt 2007 fast eine halbe Million. Andere sehen ihre Zukunft weiterhin nur im Ausland.
Szenen aus einem Video der bulgarischen Theatergruppe "36 Monkeys" - eine sehr moderne Mischung aus Videokunst, Installation und Sprechtheater. Regisseurin ist Gergana Dimitrova, vor 38 Jahren ist sie in der Schwarzmeer-Stadt Burgas geboren.

"Ich kann diese Überlebenskunst und deswegen ist es leichter, aber sonst ist es verdammt hart als Künstlerin in Bulgarien zu leben. Es ist eigentlich unmöglich. Ich übersetze auch gleichzeitig. Ich lebe sehr bescheiden, aber dafür ziemlich frei. Jetzt habe ich entschieden weiterzumachen, weil ich einen Sinn sehe und wenn ich Sinn sehe, dann ist meine Arbeit hier sinnvoll."

Die junge Künstlerin pendelt zwischen den Welten. Sie hat in Sofia und Berlin studiert, in Dresden gearbeitet. Seit sechs Jahren ist sie zurück in Bulgarien - so wie 450.000 andere Bulgaren, die seit dem EU-Beitritt einer bulgarischen Studie zufolge zurück gekehrt sind.

"Unsere Gruppe kann schwer mehr als ein bis zwei Projekte pro Jahr machen. Und dadurch, dass wir auch keinen Ort haben, wo wir arbeiten und präsentieren können, das heißt keine Bühne und kein Theaterhaus oder überhaupt ein Haus. Aber deswegen haben wir angefangen Sachen in öffentlichen Räumen zu machen oder Galerien oder in irgendwelchen verlassenen Bars und das hat auch einen Charme. So haben wir aus diesem Defekt einen Effekt gemacht."

Gergana vergleicht: Der aktuelle Abhörskandal, in den Wahlgewinner Borisov verwickelt ist, in Deutschland wäre er politisch erledigt, sagt sie. In Bulgarien schwimmt Borisov obenauf, anderen geht es schlecht: Der Durchschnittslohn in Bulgarien liegt bei 400 Euro, viele müssen mit 50, 60 Euro im Monat klarkommen. Ein Thema auch für die Theater-Gruppe.

"Unsere Themen sind die Leute hier und die Zeit jetzt. Wie kann man ohne Geld leben oder wie kann man aus dem System raus. Das ist momentan sehr aktuell für die Leute."

Szenen-Wechsel - Filipovci - ein Roma-Ghetto im Westen der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Aus einer Kneipe dringt Chalga - bulgarischer Pop. Straßen im eigentlichen Sinn gibt es hier nicht. Zwischen protzigen Neubauten stehen windschiefe Hütten, dazwischen liegt Müll. Mehr als 3000 Roma leben hier. Auch der 25-jährige Fidam Jankov.

"Ich arbeite nicht, und das schon seit Jahren nicht. Er hat nur acht Schulklassen besucht, sagt er. Jede Arbeit würde er annehmen, jede, die der Staat anbietet."

Auch ins Ausland würde er gehen, beteuert Fidam. Sein Freund Dinciu Metodiev hat die Erfahrung schon gemacht. Der tätowierte 28-Jährige erzählt.

"Ich habe keine Arbeit, hier ist Krise, sagt er. Ich war auch schon mal drei Monate in Zypern, aber das war nicht einfach. Und jetzt? Vielleicht nach Deutschland. Das ist der Motor Europas. Und ich habe da Bekannte - die erzählen nur Gutes, da gibt es Arbeit."
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