Trauerspiel Afghanistan

20.02.2013
In Linus Reichlins drittem Roman steht ein Kriegsberichterstatter im Mittelpunkt, den eine Story nach Afghanistan zieht. Leider hält der Krimi des Schweizers nicht, was er verspricht: Der Plot ist unwahrscheinlich, krude und stellenweise lachhaft. Eine literarische Niederlage.
Jenes "Trauerspiel von Afghanistan", das Theodor Fontane 1859 in Gedichtform brachte, war zwar ein anderes als das heutige am Hindukusch. Und doch stand schon damals eine militärische Niederlage im Mittelpunkt. Über den deutschen Afghanistan-Einsatz hat 2011 der preisgekrönte "Spiegel"-Reporter Dirk Kurbjuweit einen viel gerühmten Roman geschrieben: "Kriegsbraut". Darin flog die Titelfigur von Berlin ins Feldlager Kunduz.

Ganz ähnlich macht das nun in Linus Reichlins neuem Roman "Das Leuchten in der Ferne" der in Berlin lebende Journalist Moritz Martens, 53: Reist von der deutschen Hauptstadt über Mazar-i-Sharif mit der Transall ins Camp Feyzabad. Dreimal war er bereits in Afghanistan, hat über Hundekämpfe in Kabul und den Alltag deutscher Soldaten dort berichtet. Diesmal will er eine Bacha Posh treffen: So nennt man Mädchen, die als Jungs verkleidet aufwachsen. Angeblich soll eine 14-Jährige unerkannt unter lauter Taliban in der karstigen Bergwelt der Provinz Badakhshan leben.

Auf deren Fährte gesetzt hat Martens eine Berliner Zufallsbekanntschaft: Miriam Khalili, die Tochter eines Afghanen. Sie gibt vor, den Kontakt herstellen sowie als Fotografin die Bilder zur Magazin-Reportage beisteuern zu können. Wie sich bald herausstellt, hat Miriam Martens belogen. Weder führt sie eine Kamera mit sich, noch will sie ihn zur Bacha Posh bringen. Vielmehr sucht sie, auch mittels erotischer Avancen, ihren von Taliban entführten und in den Bergen Afghanistans versteckt gehaltenen türkischen Ex-Mann mit Martens’ Hilfe freizubekommen.

So weit, so unglaubwürdig. Martens wird als ein mit allen Wassern gewaschener Reporter eingeführt, der dem Tod schon in Bosnien, Ruanda und Liberia ins Auge geblickt hat. Dem Rilke-Leser und Bach-Liebhaber aber scheint die Attraktivität seiner Informantin und Begleiterin alles professionelle Misstrauen geraubt zu haben. So fällt dem Genarrten, der längst ahnt, dass er nur instrumentalisiert wird, nichts Besseres ein, als die ihn Narrende zu vernaschen - auf der Ladefläche des Pick-ups, der sie über schlaglöchrige Pisten in die Bergwelt bringt. Prima Pritschen-Sex - nichts ist unmöglich, Toyota!

Martens ist ein Feinschmecker ("Der Fisch war überwürzt, der Estragon schmeckte vor"), der, einmal angekommen im Bergnest der Taliban, mit diesen über die Frage fachsimpelt, "ob das Hähnchen besser wird, wenn man es erst am Schluss salzt". Irgendwie wundert es dann keinen mehr, dass der Kommandant des Entführungskommandos, der gefürchtete Mudschahed, der vor Steinigungen nicht zurückschreckt, sich urplötzlich als Halbbruder Miriams entpuppt. Wenigstens die Bacha Posh gibt es wirklich.

Leider ist Reichlins Roman eine sich zu gewaltigen Bergmassiven türmende Anhäufung von Unwahrscheinlichkeiten, die einem die anfangs durchaus angenehme Lektüre zunehmend vergällen. Dieser Autor kann zwar poetisch die Textur und das je nach Lichteinfall wechselnde Farbenspiel des afghanischen Gebirges beschreiben (darauf spielt auch der Titel an), der Plot seiner Geschichte aber ist krude und ungefüge, stellenweise lachhaft. Erkenntnisgewinn des Protagonisten nach mehrmonatigem Aufenthalt unter den Taliban: "Er hatte gelernt, im Gehen zu onanieren, ohne dass die anderen es merkten." Keine militärische, eine literarische Niederlage – Trauerspiel Afghanistan.

Besprochen von Knut Cordsen

Linus Reichlin: Das Leuchten in der Ferne
Roman
Galiani, Berlin 2013
300 Seiten, 19.99 Euro
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