Trash und Melancholie

19.01.2007
Dieser Roman rührt Altersgeilheit und Feminismus zusammen, Zickenkrieg und Busenwunder, Stalinismus und Heiratsschwindelei. So eine Mischung muss einem um die Ohren fliegen. Und das tut sie gründlich.
Alles beginnt mit einem Anruf. Nadeschdas 84 Jahre alter Vater Nikolai meldet sich und stottert die Information heraus, dass er Valentina zu heiraten gedenkt. Valentina ist 50 Jahre jünger als er, sie sieht aus wie die "aus den Fluten steigende Venus, du weißt schon, die Venus von Botticelli." Sie trägt gerne sehr kurze Röcke und sehr enge Pullover, und sie kommt aus der Ukraine, dem Land, aus dem auch Nikolai vor 60 Jahren nach England eingewandert ist.

Die Tochter Nadeschda reibt ihrem liebestollen Vater die offensichtliche Wahrheit unter die Nase, dass seine Valentina ihn keineswegs aus Liebesgründen begehrt, sondern um an die britische Staatsbürgerschaft und an sein Geld zu kommen. Der alte Herr will davon nichts wissen, zu sehr träumt er von einem Lebensabend zwischen den Botticelli-Brüsten seiner üppigen, weizenblonden Hübschen. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf.

"Wie eine flauschige rosarote Granate schoss Valentina in unser Leben und wirbelte allerlei trübes Wasser auf, brachte den ganzen Morast längst versunkener Erinnerungen wieder an die Oberfläche und trat unseren Familiengespenstern gehörig in den Hintern."

Alle eingespielten Beziehungen in dieser ukrainisch-britischen Familie kommen durcheinander. Der Vater wird für seine beiden Töchter zum Kindskopf, den sie immer wieder vor seinen bizarren Fehlentscheidungen retten müssen. Die Schwestern, Nadeschda und Vera, die sich seit zehn Jahren eisern angeschwiegen haben, müssen sich zusammentun, um immer wieder das Schlimmste zu verhindern.

Nadeschda wird ihr Ehemann verdächtig, weil der die Neigung des alten Herrn zum ukrainischen Busenwunder gar nicht so unverständlich findet. Ein Mehrfrontenkrieg bricht über diese Provinzfamilie herein: Valentina gegen Nikolai, denn natürlich kracht es sofort bei diesem ungleichen Paar. Nikolai gegen seine Töchter, die die ukrainische Schlampe davonjagen wollen. Die Töchter gegen Valentina, Valentina gegen das "flachbrüstige Monster", wie sie die Universitätsprofessorin Nadeschda gerne nennt. Auf dieser Ebene spurtet der Roman hoch unterhaltsam von einem Slapstick zum nächsten.

Aber der Roman hat entschieden mehr zu bieten als diesen krachigen Familienkrieg. Da ist einmal die "Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch", die Nikolai hormonell beflügelt verfasst. In der sozialistischen Ukraine hat er selbst in Traktorenfabriken gearbeitet, deshalb gerät ihm seine Technikgeschichte auch zu einer Geschichte der industrialisierten Landwirtschaft, der Ukraine und des Stalinismus.

In diesen Teil ihrer Familiengeschichte geraten auch die Schwestern immer tiefer hinein. Vera ist noch als Kriegskind auf die Welt gekommen, sie hat mit ihrer Mutter ein deutsches Arbeitslager knapp überlebt. Sie hat dort allem zu misstrauen gelernt, ein ständiger Konfliktpunkt mit ihrer naiven Gutmenschen-Schwester Nadeschda. Die, als Friedenskind schon in England geboren, lernt bei den Verwerfungen der aktuellen Familienkrise allmählich, welchen Katastrophen ihre Eltern und ihre Schwester schon entkommen sind.

Es ist ein Kunststück, wie dieser Roman Geschichte und Gegenwart ineinander fügt, Witz und Bitterkeit, Trash und Melancholie. Er lässt allen Figuren ihre eigene Würde, selbst die gierige Valentina wird am Ende fast sympathisch, trotz ihrer Leidenschaft für Fertiggericht, dicke Autos und prollige Klamotten. Marina Lewycka hat ein kluges Buch über die Relativität von Moral geschrieben, und eine lehrreiche Unterweisung über Immigration und Halbkettentraktoren noch dazu.

Rezensiert von Frank Meyer


Marina Lewycka: Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch
Aus dem Englischen von Elfi Hartenstein.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2006
360 Seiten, 14 Euro