Transparency: Bahn muss "Gesetz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen"
Transparency Deutschland hat die Überprüfung von über 170.000 Mitarbeitern durch die Deutsche Bahn kritisiert. Zwar habe das Unternehmen das Recht, gegen Korruption vorzugehen, aber "wir halten es für denkbar, dass hier die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten worden sind", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Organisation, Peter von Blomberg.
Hanns Ostermann: Es gibt Tage, da würde man am liebsten im Bett bleiben – nicht wegen des Wetters, sondern wegen der anstehenden Aufgaben. Heute tagt der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn und für Hartmut Mehdorn wird das ein schwerer Gang, denn nicht alle dürften mit der Politik des Unternehmens zufrieden sein. Zumindest sind Fragen zum Datenschutz zu beantworten. Dürfen mehr als 170.000 Mitarbeiter stillschweigend überprüft werden? – Die Bahn sagt, ja. Ihr Anti-Korruptionsbeauftragter, der frühere Frankfurter Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner:
O-Ton Wolfgang Schaupensteiner: Es geht darum, dass die Daten von Mitarbeitern und Lieferanten gegenübergestellt werden, geprüft werden also, ob Mitarbeiter, ohne dass sie dies offengelegt haben, als Auftragnehmer der Bahn in Erscheinung treten, sich selbst also Aufträge geben, und um diese Kontrollen geht es.
Ostermann: Völlig klar: gegen Korruption ist vorzugehen. Aber wie weit darf man gehen? – Darüber möchte ich mit Dr. Peter von Blomberg sprechen. Er ist stellvertretender Vorsitzender von Transparency International Deutschland. Er war früher Vorstandsmitglied der Allianz, dort außerdem Personalchef. Guten Morgen, Herr von Blomberg!
Peter von Blomberg: Guten Morgen!
Ostermann: Ist die Bahn hier über das Ziel hinausgeschossen?
von Blomberg: Das kann man nicht ausschließen. Man muss zwar im Moment noch ein paar Fragezeichen dahinter setzen, weil die Informationspolitik noch nicht so durchgängig und abschließend leider gewesen ist, dass nicht noch Fragen offen bleiben. Also wir halten es für denkbar, dass hier die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten worden sind, weil wir uns nicht vorstellen können, dass tatsächlich eine so große Anzahl von Mitarbeitern in korruptionsgefährdeten Funktionen tätig war, und damit eben es notwendig war zu überprüfen, ob sie die übernommenen Verpflichtungen, durch Vertrag oder anderweitig übernommenen Verpflichtungen tatsächlich einhalten. Diejenigen, die tatsächlich in solchen Funktionen tätig sind, bei denen hätte man das auf jeden Fall überprüfen dürfen.
Ostermann: Aus guten Gründen rüstet die Bahn gegen Korruption, denn sie kauft pro Jahr für neun Milliarden Euro ein und da ist Korruption Fakt, sagt Hartmut Mehdorn. Da werden Sie ihm doch wahrscheinlich nicht widersprechen?
von Blomberg: Gar keine Frage. Die Deutsche Bahn ist wahrscheinlich das Unternehmen, was am stärksten unter allen in der deutschen Wirtschaft von Korruptionsgefahr geplagt wird, und das hängt in der Tat eben mit diesem enormen Auftragsvolumen zusammen, das jedes Jahr abzuwickeln ist. Insofern muss das Unternehmen ganz ohne Frage – und das tut es auch – konsequent und sehr intensiv Korruptionsbekämpfung betreiben. Darüber besteht überhaupt gar kein Zweifel. Aber dennoch ist die Bahn natürlich an Gesetz und Recht gebunden und sie muss das Gesetz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen, und daran muss man an dieser Stelle zweifeln.
Ostermann: Aber wo ist grundsätzlich die Grenze? Dürfen Telefone abgehört, Konten eingesehen werden?
von Blomberg: Das ist nicht grundsätzlich verboten, je nachdem wie die Sachlage ist. Hier ging es ja nicht darum, dass man einen konkreten Tatverdacht gegen einzelne Personen verifizieren wollte. Hier ging es ja darum – und das muss man noch einmal klarstellen -, es ging ja nicht primär um quasi Strafverfolgung, sondern es ging darum, das Hauptziel einer effizienten Korruptionsbekämpfung, nicht die Prävention zu überprüfen. Korruptionsbekämpfung heißt in erster Linie immer, wie kann ich verhindern, dass korruptives Verhalten überhaupt entsteht. Dazu muss ich gewisse Richtlinien erlassen, dazu muss ich aber auch mit meinen Mitarbeitern ganz offen kommunizieren, denn wenn sie nicht wissen, dass in diesem Unternehmen diese und jene Kontrolle stattfindet, dann hilft diese Kontrolle auch nicht, sozusagen die Hürde des subjektiven entdeckt werdens zu erhöhen. Eine Kontrolle, die ich nicht kenne, um die kümmere ich mich nicht. Deshalb wie gesagt kein Tatverdacht, aber sehr wohl das Ziel, ein vernünftiges Ziel wäre es, zunächst einmal die Mitarbeiter zu sortieren, besser gesagt die Stellen zu sortieren nach ihrer unterschiedlichen Korruptionsanfälligkeit, und dann daraufhin abgestimmte Kontrollmechanismen zu etablieren, aber über die auch ganz offen zu reden und natürlich erst recht darüber zu reden, wenn sie tatsächlich wahrgenommen worden sind.
Ostermann: Das ist natürlich mühseliger, als einen ehemaligen Staatsanwalt einzustellen. Ich kann das nachvollziehen, was Sie da gerade sagen. Das erinnert mich an ein kommunikatives Unternehmen, in dem ausschließlich angeordnet wird. Diese Mitarbeiterbetreuung, von der Sie gesprochen haben - da werden Sie mir Recht geben und Sie haben die Erfahrung bei einer großen Versicherung gemacht -, die kostet natürlich auch Zeit und ist aufwendig.
von Blomberg: Das ist völlig richtig, aber es gehört nach unserer Wahrnehmung eben doch zur Wirksamkeit eines Korruptionskonzeptes, dass man auch eine Kommunikationsstruktur, eine Führungskultur, wenn Sie so wollen, dahinter steht, die letztlich zum Ziel hat, möglichst viele Mitarbeiter dafür zu gewinnen, dass sie erstens diese Maßnahmen akzeptieren und dass sie zweitens auch bereit sind, Mitverantwortung zu übernehmen. Es hat wenig Sinn, etwas zu tun, womit man die Mitarbeiter gegen sich aufbringt und ihnen das Gefühl vermittelt, sie seien letztlich Opfer. Infolgedessen kommt es eben nicht nur darauf an, was ist zulässig, was ist verhältnismäßig; es muss auch vernünftig sein, es darf nicht unklug sein, wie man etwas tut. Zumindest in dieser Hinsicht, meine ich, hat die Bahn seinerzeit – das liegt ja nun ein paar Jahre zurück; inzwischen ist man ja auch klüger geworden, ganz generell in der deutschen Wirtschaft - man muss das respektieren, dass das eben zu einer Zeit war, wo auch die Erfahrung mit diesem System noch nicht so groß war. Heute, glaube ich, ist es die ganz herrschende Meinung, dass es nicht allein auf Richtlinien und Kontrollen ankommt, sondern entscheidend darauf ankommt, wie bringe ich diese veränderte Kultur unter die Menschen, die damit umgehen sollen.
Ostermann: Sie haben ja die Vergangenheit angesprochen. Hat mittlerweile in Deutschland bei den großen Unternehmen ein Umdenken stattgefunden?
von Blomberg: Ganz auffällig, ja. Vor allen Dingen natürlich durch den großen Siemens-Skandal hat in den letzten zwei Jahren wirklich ein Kulturwechsel stattgefunden. Sehr, sehr viel mehr Unternehmen als früher haben dieses Thema überhaupt als einen Handlungsbedarf erkannt. Sie machen jetzt einen offenen Erfahrungsaustausch, der eine schaut, was der andere macht. Man nutzt Erfahrungen des anderen, man geht viel offener damit um, nach innen und nach außen. Die Zeit, über die wir jetzt bei der Deutschen Bahn sprechen, lag halt vorher. Ich denke, dass man heute bei der Bahn damit auch anders umgehen würde.
Ostermann: Der stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Peter von Blomberg. Herr Blomberg, vielen Dank für das Gespräch.
von Blomberg: Ich danke Ihnen.
Das Gespräch mit Peter von Blomberg können Sie bis zum 30. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio
O-Ton Wolfgang Schaupensteiner: Es geht darum, dass die Daten von Mitarbeitern und Lieferanten gegenübergestellt werden, geprüft werden also, ob Mitarbeiter, ohne dass sie dies offengelegt haben, als Auftragnehmer der Bahn in Erscheinung treten, sich selbst also Aufträge geben, und um diese Kontrollen geht es.
Ostermann: Völlig klar: gegen Korruption ist vorzugehen. Aber wie weit darf man gehen? – Darüber möchte ich mit Dr. Peter von Blomberg sprechen. Er ist stellvertretender Vorsitzender von Transparency International Deutschland. Er war früher Vorstandsmitglied der Allianz, dort außerdem Personalchef. Guten Morgen, Herr von Blomberg!
Peter von Blomberg: Guten Morgen!
Ostermann: Ist die Bahn hier über das Ziel hinausgeschossen?
von Blomberg: Das kann man nicht ausschließen. Man muss zwar im Moment noch ein paar Fragezeichen dahinter setzen, weil die Informationspolitik noch nicht so durchgängig und abschließend leider gewesen ist, dass nicht noch Fragen offen bleiben. Also wir halten es für denkbar, dass hier die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten worden sind, weil wir uns nicht vorstellen können, dass tatsächlich eine so große Anzahl von Mitarbeitern in korruptionsgefährdeten Funktionen tätig war, und damit eben es notwendig war zu überprüfen, ob sie die übernommenen Verpflichtungen, durch Vertrag oder anderweitig übernommenen Verpflichtungen tatsächlich einhalten. Diejenigen, die tatsächlich in solchen Funktionen tätig sind, bei denen hätte man das auf jeden Fall überprüfen dürfen.
Ostermann: Aus guten Gründen rüstet die Bahn gegen Korruption, denn sie kauft pro Jahr für neun Milliarden Euro ein und da ist Korruption Fakt, sagt Hartmut Mehdorn. Da werden Sie ihm doch wahrscheinlich nicht widersprechen?
von Blomberg: Gar keine Frage. Die Deutsche Bahn ist wahrscheinlich das Unternehmen, was am stärksten unter allen in der deutschen Wirtschaft von Korruptionsgefahr geplagt wird, und das hängt in der Tat eben mit diesem enormen Auftragsvolumen zusammen, das jedes Jahr abzuwickeln ist. Insofern muss das Unternehmen ganz ohne Frage – und das tut es auch – konsequent und sehr intensiv Korruptionsbekämpfung betreiben. Darüber besteht überhaupt gar kein Zweifel. Aber dennoch ist die Bahn natürlich an Gesetz und Recht gebunden und sie muss das Gesetz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen, und daran muss man an dieser Stelle zweifeln.
Ostermann: Aber wo ist grundsätzlich die Grenze? Dürfen Telefone abgehört, Konten eingesehen werden?
von Blomberg: Das ist nicht grundsätzlich verboten, je nachdem wie die Sachlage ist. Hier ging es ja nicht darum, dass man einen konkreten Tatverdacht gegen einzelne Personen verifizieren wollte. Hier ging es ja darum – und das muss man noch einmal klarstellen -, es ging ja nicht primär um quasi Strafverfolgung, sondern es ging darum, das Hauptziel einer effizienten Korruptionsbekämpfung, nicht die Prävention zu überprüfen. Korruptionsbekämpfung heißt in erster Linie immer, wie kann ich verhindern, dass korruptives Verhalten überhaupt entsteht. Dazu muss ich gewisse Richtlinien erlassen, dazu muss ich aber auch mit meinen Mitarbeitern ganz offen kommunizieren, denn wenn sie nicht wissen, dass in diesem Unternehmen diese und jene Kontrolle stattfindet, dann hilft diese Kontrolle auch nicht, sozusagen die Hürde des subjektiven entdeckt werdens zu erhöhen. Eine Kontrolle, die ich nicht kenne, um die kümmere ich mich nicht. Deshalb wie gesagt kein Tatverdacht, aber sehr wohl das Ziel, ein vernünftiges Ziel wäre es, zunächst einmal die Mitarbeiter zu sortieren, besser gesagt die Stellen zu sortieren nach ihrer unterschiedlichen Korruptionsanfälligkeit, und dann daraufhin abgestimmte Kontrollmechanismen zu etablieren, aber über die auch ganz offen zu reden und natürlich erst recht darüber zu reden, wenn sie tatsächlich wahrgenommen worden sind.
Ostermann: Das ist natürlich mühseliger, als einen ehemaligen Staatsanwalt einzustellen. Ich kann das nachvollziehen, was Sie da gerade sagen. Das erinnert mich an ein kommunikatives Unternehmen, in dem ausschließlich angeordnet wird. Diese Mitarbeiterbetreuung, von der Sie gesprochen haben - da werden Sie mir Recht geben und Sie haben die Erfahrung bei einer großen Versicherung gemacht -, die kostet natürlich auch Zeit und ist aufwendig.
von Blomberg: Das ist völlig richtig, aber es gehört nach unserer Wahrnehmung eben doch zur Wirksamkeit eines Korruptionskonzeptes, dass man auch eine Kommunikationsstruktur, eine Führungskultur, wenn Sie so wollen, dahinter steht, die letztlich zum Ziel hat, möglichst viele Mitarbeiter dafür zu gewinnen, dass sie erstens diese Maßnahmen akzeptieren und dass sie zweitens auch bereit sind, Mitverantwortung zu übernehmen. Es hat wenig Sinn, etwas zu tun, womit man die Mitarbeiter gegen sich aufbringt und ihnen das Gefühl vermittelt, sie seien letztlich Opfer. Infolgedessen kommt es eben nicht nur darauf an, was ist zulässig, was ist verhältnismäßig; es muss auch vernünftig sein, es darf nicht unklug sein, wie man etwas tut. Zumindest in dieser Hinsicht, meine ich, hat die Bahn seinerzeit – das liegt ja nun ein paar Jahre zurück; inzwischen ist man ja auch klüger geworden, ganz generell in der deutschen Wirtschaft - man muss das respektieren, dass das eben zu einer Zeit war, wo auch die Erfahrung mit diesem System noch nicht so groß war. Heute, glaube ich, ist es die ganz herrschende Meinung, dass es nicht allein auf Richtlinien und Kontrollen ankommt, sondern entscheidend darauf ankommt, wie bringe ich diese veränderte Kultur unter die Menschen, die damit umgehen sollen.
Ostermann: Sie haben ja die Vergangenheit angesprochen. Hat mittlerweile in Deutschland bei den großen Unternehmen ein Umdenken stattgefunden?
von Blomberg: Ganz auffällig, ja. Vor allen Dingen natürlich durch den großen Siemens-Skandal hat in den letzten zwei Jahren wirklich ein Kulturwechsel stattgefunden. Sehr, sehr viel mehr Unternehmen als früher haben dieses Thema überhaupt als einen Handlungsbedarf erkannt. Sie machen jetzt einen offenen Erfahrungsaustausch, der eine schaut, was der andere macht. Man nutzt Erfahrungen des anderen, man geht viel offener damit um, nach innen und nach außen. Die Zeit, über die wir jetzt bei der Deutschen Bahn sprechen, lag halt vorher. Ich denke, dass man heute bei der Bahn damit auch anders umgehen würde.
Ostermann: Der stellvertretende Vorsitzende von Transparency International Deutschland, Peter von Blomberg. Herr Blomberg, vielen Dank für das Gespräch.
von Blomberg: Ich danke Ihnen.
Das Gespräch mit Peter von Blomberg können Sie bis zum 30. Juni 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio