Transnistrien

Der eingefrorene Konflikt

Die Hauptstraße von Tiraspols, der Hauptstadt von Transnistrien.
Die Hauptstraße von Tiraspols, der Hauptstadt von Transnistrien. © Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Von Thomas Franke  · 05.10.2015
Transnistrien ist ein Landstrich zwischen der Ukraine und der Republik Moldau. Etwa eine halbe Million Menschen leben hier. Transnistrien hat eine Währung, eine Hymne und wenig Interesse an einer Wiedervereinigung - das wirkt skurril, ist es aber nicht, sondern gefährlich.
Die Hymne von Transnistrien. Vor fast 25 Jahren hat sich der Landstrich hinter dem Dnjestr für unabhängig erklärt. Anerkannt wurde das Land bisher nicht. Der Minibus von Chisinau nach Tiraspol. Chisinau ist die Hauptstadt der Republik Moldau, Tiraspol die Hauptstadt von Transnistrien. Die Fahrt dauert eine gute Stunde. Am Rand: Grüne Wiesen, Kornfelder, Mais. Die Gegend ist dünn besiedelt und arm. Auf der Straße fahren nur wenige Autos. Der Minibus überholt ein Pferdefuhrwerk. Am Straßenrand verkaufen Menschen Wassermelonen.
Grenzposten ist völkerrechtswidrig
Mitten in der Landschaft ein Schlagbaum und eine Baracke mit Passkontrolle. Der Grenzposten ist völkerrechtswidrig. Denn Transnistrien ist von keinem Land der Welt als Staat anerkannt. PMR steht auf den Uniformen der Grenzpolizisten, Pridnestrowische Moldauische Republik. Natürlich kontrollieren moldauische Grenzpolizisten die Demarkationslinie nicht. Vor 25 Jahren hat sich Transnistrien vom Mutterland Moldau abgespalten. Und Grenzkontrollen könnten den Anschein erwecken, Transnistrien sei tatsächlich ein eigener Staat und Moldau erkenne das an.
Das muss die moldauische Regierung um jeden Preis vermeiden. Die Separatisten hingegen sehen die Kontrolle als Sicherung der Staatsgrenze. Alles andere wäre Selbstaufgabe. Eine Grenze zum ungeliebten Mutterland ist ein Grundprinzip des Separatismus. Eine kurze Kontrolle. Ein Visum gibt es nicht. Einen Stempel in den Pass auch nicht. Ich darf einreisen. Juri Kuzmenko rutscht unruhig auf dem Schreibtischstuhl hin und her.
"Ich kann heute nicht zahlen. Hörst Du? Ich kann nicht zahlen. Also, was machen wir?"
Kuzmenko lebt in Rybniza, im Norden Transnistriens, und er hat es geschafft, reich zu werden in einem Land, das es eigentlich gar nicht geben darf. Er hat es geschafft, weil er sich mit den Mächtigen arrangiert hat. Doch die guten Zeiten scheinen vorbei.
2011 gab es einen Machtwechsel. Und der neue Machthaber, Präsident Jewgeni Schewtschuk scheint etwas gegen ihn zu haben. Pech für Kuzmenko. Im Zweifel gilt in Transnistrien das Recht des Mächtigeren.
"Ich weiß auch nicht, was wir machen können, ehrlich. Mach Du einen Vorschlag, dann entscheiden wir gemeinsam ..."
"Die nächste Zahlung?"
"Nach der Ernte."
"Du, ich hab hier jemanden im Büro ... Lass uns morgen weiterreden, ok?"
Kuzmenko hat eine Käserei, eine Eisfabrik und Land gepachtet. Stolz zeigt er seinen Kuhstall.
"Das sind unsere moldauischen Kühe. Und 33 Kühe haben wir aus Holland eingeführt. Die hier ist eine aus den Niederlanden, sehen Sie? Die geben doppelt so viel Milch, klar."
Bei der Einfuhr der Kühe gab es Ärger mit dem transnistrischen Zoll.
"Ein formaler Vorwand. Die Papiere waren angeblich nicht in Ordnung. Bei mir finden die immer was. Das war im März 2013."
200 Kilometer lang, teils nur zwei Kilometer breit
Für den Oligarchen Kuzmenko sind solche Schikanen neu. Vor Kurzem wurde er sogar festgenommen. Ein Irrtum, sagt Kuzmenko. Es gibt Dinge in Transnistrien über die man besser nicht spricht. Transnistrien, das Land hinter dem Dnjestr: 200 Kilometer lang, teils nur zwei Kilometer breit. Ein schmaler Landstrich zwischen der Ukraine und der Republik Moldau. Etwa eine halbe Million Menschen leben hier. Viele sind gegangen.
Der Konflikt begann, als die Sowjetunion endete. Im August 1991 erklärte sich die Republik Moldau für unabhängig und trat aus der Sowjetunion aus. Die Menschen auf der Ostseite des Dnejstr wollten in der Sowjetunion bleiben, nach deren Ende unabhängig sein. Das hatte auch wirtschaftliche Gründe, denn östlich des Dnjestr, in Transnistrien, war die Industrie der Republik Moldau mit Stahl-, Textil-, Möbel- und Schuhfabriken, dazu Kraftwerke und eine Schnapsbrennerei.
Als die nationalistische Führung in der Republik Moldau Russisch als zweite Amtssprache abschaffte und nur noch Rumänisch zuließ, begannen beide Seiten, aufeinander zu schießen. Das war im März 1992. Fünf Monate dauerten die Kämpfe. Auch der Unternehmer Juri Kuzmenko nahm teil. Mehr als 1.000 Menschen starben auf beiden Seiten des Flusses. Der Krieg wurde schließlich von der 14ten Russischen Armee beendet, sie brachte einen Waffenstillstand. Die russischen Soldaten blieben. Seitdem ist der Konflikt eingefroren. Als Staat anerkannt wurde Transnistrien von keinem anderen Staat der Welt, und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Vom Krieg profitierte der gelernte Zerspanungsmechaniker und ehemaligen Fabrikdirektor Igor Smirnow. Er wurde der erste Präsident Transnistriens und blieb es bis 2011. Ein Diplomat der Europäischen Union bezeichnet Smirnow gar als "Paten", der mit seinen beiden Söhnen sämtliche politischen und wirtschaftlichen Schritte Transnistriens kontrolliere.
Juri Kuzmenko zeigt auf eine neue Melkanlage:
"200.000 Euro hat das gekostet. Die Anlage entspricht den Standards der EU. So eine gibt es in ganz Moldau nicht. Um die zu kaufen, habe ich übrigens einen Kredit aufgenommen zu 24 Prozent Zinsen."
Fünf Jahre ist das her. Kuzmenko nimmt einen Lappen aus einer Wanne und riecht daran. Er ist zufrieden, der Lappen ist sauber. Mit ihm werden die Euter der Kühe abgewischt.
"Wir halten die Kühe nach den Regeln der EU, damit die Qualität der Milch deren Normen entspricht. So können wir die Milch auf jedem beliebigen Markt verkaufen. In Russland genauso wie in der EU und innerhalb Transnistriens."
Kuzmenko hat 200 Kühe. Er hätte gern 500. Wegen des Kriegs in der Ukraine wurde die Grenze geschlossen. Der Transit von Transnistrien durch die Ukraine nach Russland ist unterbrochen.
Kuzmenko macht sich auf den Weg zu seinen Getreidefeldern. An der Straße Weinfelder.
"Das gehört alles Sheriff. 2,5 Tausend Hektar Neuanpflanzungen für die Schnapsfabrik Kvint. Die haben rund 100 Millionen Euro investiert."
Sheriff ist in Transnistrien ein Imperium. Neben der Schnapsbrennerei, gehören zu Sheriff eine Supermarktkette, Tankstellen, ein Fußballclub mit einem modernen Stadion und Spielern unter anderem aus Südamerika und integriertem Luxushotel, ein Fernsehsender, ein Verlag und der Mobiltelefonkonzern. Außerdem hat Sheriff die Finger im Bankensektor und im Glücksspiel. Es heißt, der Konzern Sheriff gehöre in Wirklichkeit dem ersten Präsidenten Igor Smirnow und diene vor allem der Geldwäsche.
Die Straße des 25. Oktobers in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens
Die Straße des 25. Oktobers in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens© picture alliance / dpa / Robert B. Fishman
Ankunft in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens. Beladen mit Plastiktüten und karierten Taschen steigen die Passagiere des Minibusses aus. Die Fassaden sind grau, Putz bröckelt von zwei und drei-stöckigen Häusern. Tiraspol habe 150.000 Einwohner, sagen die Behörden.
An der Hauptstraße Blumenbeete. Es ist die Straße des 25. Oktobers, benannt nach dem Tag der Oktoberrevolution 1917 im julianischen Kalender.
Auf einem Sockel steht haushoch in Stein gehauen deren Anführer, Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Überall Sowjetsterne, ewige Flammen, Ehrenhaine für die gefallenen Helden des Konflikts Anfang der 90er-Jahre, ein Panzer, eine Kapelle. Bauarbeiterinnen verputzen die Grabplatten.
Der Verkehr ist spärlich. Ein paar sowjetische Kleinwagen. Dazwischen schwarze Jeeps mit verdunkelten Scheiben. Auf einem Bus die Parole "Mit Russland in eine gemeinsame Zukunft!" Eine Einheit mit Russland oder gar ein Beitritt Transnistriens zur Russischen Föderation ist nicht in Sicht.
Transnistrien wirkt skurril, ist aber teilweise gefährlich
Transnistrien hat eine eigene Währung, die niemand umtauscht, Pässe, mit denen man nicht reisen kann, eine Regierung, die keinerlei diplomatische Beziehungen unterhält, eine Flagge, eine Hymne, und so weiter. Transnistrien wirkt skurril, ist es aber nicht, sondern teilweise gefährlich: Genau wie in Russland werden Nichtregierungsorganisationen neuerdings wegen Spionage angeklagt. Einem Bericht der Deutschen Welle zufolge wird in transnistrischen Gefängnissen gefoltert und werden Moldauer entführt, um Lösegelder zu erpressen.
Leicht zieht der Traktor Furchen in den Boden. Am Steuer sitzt Juri. Überall leuchten Displays, der Traktor ist computergestützt. Juri ist verheiratet, hat vier Kinder. Sie kommen so durch. Im Winter repariert er die Maschinen, im Sommer arbeitet er auf dem Feld. Zwölf Stunden dauert seine Schicht.
"Wir haben schweren Boden. Das ist hier eigentlich wie ein Landschaftsschutzgebiet. Hier gibt es viele Vögel. Wenn ich nachts arbeite, laufen Wildschweine über die Felder."
Wie die meisten in Transnistrien hat auch Juri, der Traktorist, Verwandte auf der Westseite des Flusses, im Mutterland Moldau. Von einer Wiedervereinigung will er trotzdem nichts wissen.
"Es ist hier okay. Ich habe Arbeit. Natürlich wäre es schön, wenn Transnistrien anerkannt würde. So ist es wie eine Insel. Eingeklemmt zwischen der Ukraine, und der Republik Moldau. Wir können nirgendwo hin fahren, unsere Waren nicht verkaufen. Schauen Sie, jetzt hat gerade die Ukraine unsere Grenze zugemacht. Jetzt haben sie sogar unsere Renten gesenkt um 40 Prozent. Weil wir die Waren nicht verkaufen können. Die größte Fabrik steht still."
Die Menschen in der Region sind an Armut gewöhnt, in Transnistrien wie im Mutterland Moldau.
"Was soll denn dort besser sein? Die haben da ja gar nichts, wir wenigstens etwas. Die arbeiten alle in Italien. Niemand arbeitet dort."
Eigentlich hatte Jurij Kuzmenko gehofft, dass es mit dem neuen Präsidenten auf der transnistrischen Seite besser würde. Jewgeni Schewtschuk war 2011 als Reformer gestartet. Völlig überraschend konnte er sich gegen Dauerpotentat Igor Smirnow durchsetzen. Schewtschuk, Jahrgang 1968 und von Beruf Rechtsanwalt, hat im Machtkonzern Sheriff Karriere gemacht. Doch sind weder die Beziehungen zum Westen besser geworden, noch ist eine Anerkennung durch Russland oder ein Beitritt zur Russischen Föderation in Sicht. (Auch ist eine Lösung des Konflikts in weiter Ferne, denn die Mächtigen profitieren von der Situation. Die Menschenrechtslage hat sich auch nicht verändert.)Trotzdem scheinen sich alle mit der Lage arrangiert zu haben. Der Moldauer Politologe Oazu Nantoi nennt Transnistrien nur noch ein "Phänomen, das Konflikt genannt wird."
"Wir sprechen vom Transnistrien-Konflikt. Aber wer streitet da mit wem? Was ist das für ein Konflikt, wenn Präsident Jewgeni Schewtschuk in Tiraspol sitzt und seine Schwester in Chisinau verheiratet ist. Was ist es für ein Konflikt, wenn Schewtschuks Eltern in einen Autounfall gerieten und er sie in einem Krankenhaus in Chisinau untergebracht hat 2011. Was ist das für ein Konflikt, wenn er über Strohmänner viel Eigentum in Moldau besitzt?"
Oazu Nantoi redet sich in Rage.
"Was ist es für ein Konflikt, wenn eine Reihe Beamter aus der sog. Tiraspol-Verwaltung biometrische moldauische Pässe haben und mit ihnen durch die Welt reisen?"
Nur bei einer Sache gibt es Einigkeit, beim Sport. Moldau und Transnistrien haben eine gemeinsame Fußballmannschaft. Ähnlich ist es bei Sportmeisterschaften.
Aber je länger der Konflikt dauert, umso deutlicher wird, dass er allein den kriminellen Machenschaften mächtiger Menschen dient. Das Gebiet eignet sich hervorragend zum Schmuggeln: Waffen, Menschen, Lebensmittel.
Russland nutzt Transnistrien
Dass die beiden Seiten nicht zusammenkommen können, liegt auch an Russland. Es gibt internationale Verhandlungsgremien zum Transnistrien-Konflikt, in denen Russland mit am Tisch sitzt. Das Format nennt sich 5+2. Die Zwei sind Moldau und Transnistrien, die Fünf sind die Ukraine, Russland und die OSZE, die EU und die USA als Beobachter. Experten konstatieren jedoch, dass das Gremium Russland lediglich der Kontrolle dient und es auch deshalb nie einen echten Fortschritt gegeben hat. Russland nutzt Transnistrien, um Moldaus EU-Ambitionen zu unterlaufen.
Zwar hat sich Moldau in der Verfassung längst zur Neutralität verpflichtet, doch seit Russland die Krim annektiert hat und in Teilen der Ukraine Krieg führt, russische Soldaten sterben. Deshalb fordern einzelne Parteien in der Republik Moldau einen NATO-Beitritt. Laut NATO-Vertrag können Staaten nur dann aufgenommen werden, wenn sie ihrerseits zur Sicherheit des Bündnisses beitragen. Länder mit einem eingefrorenen Konflikt scheiden damit aus. Es scheint, dass auch im Mutterland Moldau niemand mehr Interesse an einer Lösung des Konflikts hat. Der Politologe Ouzu Nantoi formuliert es recht drastisch:
"Die Parteien nennen sich zwar proeuropäisch, es gibt aber ausreichend beunruhigende Signale, dass die führenden Köpfe unserer Regierung eine Annäherung an die EU fürchten und gar nicht wollen, weil ihre Besitztümer dann in Gefahr wären und sie selbst zur Verantwortung gezogen werden könnten. Ernsthaft wird bei uns nur gestohlen. Alles andere ist nicht ernsthaft."
Der Unternehmer Juri Kuzmenko hat 20 Jahre versucht, einigermaßen sauber Geschäfte zu machen. Doch für ihn wird es eng.
"Ich hatte das Land für 99 Jahre gepachtet. Die neue Führung hat mir das Recht genommen und die Pacht auf ein Jahr gekürzt. Ich denke, da läuft einfache eine Umverteilung von Eigentum. Sie haben es mir weggenommen, um es sich in die Tasche zu stecken."
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