Transatlantische Verknüpfungen

Von Ole Schulz · 23.07.2012
Jedes Jahr findet in Berlin das Festival Wassermusik statt - 2012 steht es unter dem Titel "Süd_Süd". Die Musik Afrikas steht im Zentrum, indische und arabische Einflüsse auf Afrika werden erforscht - aber auch Wechselwirkungen mit der Karibik: im Vordergrund stehen traditionelle und moderne Musik.
Samstagabend im HKW, dem Berliner Haus der Kulturen der Welt. Zum Auftakt des "Wassermusik"-Festivals tritt die kolumbianische Sängerin Totó La Momposina auf der Dachterrasse auf.

Totó begeistert die rund 2.000 Besucher, darunter viele Kolumbianer, mit ihren Tänzen und Rhythmen von der karibischen Küste Kolumbiens: Cumbia, Gaita, Porro, Chalupa oder Champeta. Zwischendurch genehmigt sich die 63-Jährige einen Schluck Rum - natürlich nur, um den für sie ungewohnten Temperaturen standhalten zu können. In der Heimat hatte es Totó zu Beginn ihrer Karriere nicht leicht - heute ist sie nicht nur dort eine Legende:

"Als ich angefangen habe zu singen, hat diese Musik nicht existiert. Insofern nicht, als die Menschen in der Hauptstadt Bogotá nicht wussten, dass es diese Musik gibt. Darum habe ich sie dort bekannt gemacht. Es war Musik, die erst vom Land in die Stadt gebracht werden musste. Doch unser musikalisches Vermächtnis muss nicht nur bewahrt werden, sondern sich auch verändern, um kulturell akzeptiert zu werden. Das ist `Musik der Identität´: das Neue - das Alte und das Alte - das Neue ... "

Konzert Totó

"Musik der Identität": Das meint im Falle Totós die von afrikanischen und indigenen Traditionen beeinflusste Musik Kolumbiens. Das passt gut zu "Süd_Süd", dem diesjährigen Motto der "Wassermusik".

Der HKW-Musikchef Detlef Diederichsen:

"Na ja, Süd_Süd ist eigentlich ein Begriff, der viel diskutiert wird, jetzt auch in den Kulturwissenschaften, im angloamerikanischen Sprachraum auch schon sehr verbreitet, South_South natürlich dann. Hierzulande muss man das immer noch ein bisschen erklären und ich sage immer, ich meine damit Kulturaustausch unterhalb des Radars der Kolonialmächte."

Transatlantische musikalische Verknüpfungen und Transfers zwischen Afrika, Lateinamerika und der arabischen Welt jenseits der anglo-amerikanischen Hegemonie in der Popmusik - darum geht es bei der "Süd_Süd"-Ausgabe der "Wassermusik". Traditionelle Musik steht dabei im Vordergrund, es gibt aber auch Moderneres:

Detlef Diederichsen: "Wir sind bei dem Festival immer nicht so streng. Wir haben also im Prinzip auch sehr moderne Süd-Süd-Kulturaustauschfrüchte mit an Bord und wir haben auch so Sachen, die eigentlich konstruiert sind - wie Ska Cubano. Das fand ich allerdings vom Ergebnis her eigentlich überzeugend."

Nach Totós Konzert wird ein Dokumentarfilm über die "Palenque"-Musik gezeigt - entstanden im ersten "freien" Dorf Kolumbiens, das von entflohenen Sklaven im 17. Jahrhundert gegründet worden war. Die afrikanisch-indianischen Traditionen bilden den Grundstein für die bis heute lebendige Musikszene Kolumbiens:

Detlef Diederichsen: "Es ist ja nun ein Land, das eine sehr gewalttätige und irgendwie eine von allen möglichen Plagen heimgesuchte Historie hat. In den letzten Jahren ist es etwas ruhiger geworden in Kolumbien. Das Land blüht auf, und was als erstes davon profitiert, ist eben die Kultur.

Und es war immer schon eine musikalisch reichhaltige Kultur, nur jetzt gibt´s eben auch den Austausch beispielsweise mit London, und es kommen solche Leute wie Will Holland nach Bogotá und finden dort diesen Reichtum und bringen so ihre Vorstellungen mit."

Musik: Frente Cumbiero - ChucuSteady

Der nach Kolumbien emigrierte britische Plattensammler und Musiker Will Holland wird gemeinsam mit dem Kolumbianer Mario Galeano in zwei Wochen ein Gastspiel im HKW geben. Dort werden die beiden Experten der Cumbia-Musik ihre digitale Version präsentieren.

An den drei kommenden Wochenenden gibt es beim "Wassermusik"-Festival außerdem noch Bands aus Brasilien, Honduras, Costa Rica und Kuba zu sehen, aber auch Afrika ist mit Marokko, Kenia und Zanzibar vertreten.

Konzert Gnawa Diffusion

Am Sonntag zum Sonnenuntergang beim Konzert von Gnawa Diffusion im HKW. Die algerisch-französische Band hat ihre Wurzeln in der "Gnawa"-Musik. Diese brachten schwarze Sklaven einst aus den Ländern der Subsahara in den Maghreb. "Gnawa" sei Protestmusik, sagt Bandleader Amazigh Kateb:

"Die ersten Gnawi im Maghreb waren keine Musiker, sondern Sklaven. Erst später haben sie ihre musikalischen Traditionen wieder belebt - mit islamischen und animistisch-afrikanischen Einflüssen. Für mich ist es das erste Zusammentreffen der weißen afrikanischen mit der schwarzen afrikanischen Zivilisation. Das war kein Rendezvous, sondern ein Ergebnis der Sklaverei."
Mehr zum Thema