Training für die grauen Zellen
In vielen Bereichen sind wir einer wahren Datenflut ausgesetzt - die Folge: Stress und Konzentrationsstörungen. Wie man der permanenten Belastung begegnen und die Leistungsfähigkeit erhalten kann, beschreibt der schwedische Wissenschaftler Torkel Klingberg in seinem Buch "Multitasking".
Man will eine Besorgung machen. Dann klingelt das Handy - und schließlich weiß man nicht mehr, was man kaufen wollte. Wer solche Momente öfter erlebt, zweifelt nicht selten an sich selbst, vermutet zunehmenden Gedächtnisverlust oder sieht sich vielleicht bereits als Demenzkandidaten im Altenheim.
Auf derlei Ängste spielt der Untertitel von Torkel Klingbergs Buch an: "Wie man die Informationsflut bewältigt, ohne den Verstand zu verlieren". Klingberg leugnet weder die steigende Datenflut in vielen Arbeitsbereichen noch damit verbundene temporäre Aufmerksamkeitsstörungen. Man muss deshalb aber nicht gleich den Arzt aufsuchen.
Der schwedische Professor für Kognitive Neurowissenschaft am renommierten Karolinska-Institut in Stockholm rät zur Gelassenheit. Menschen des 21. Jahrhunderts kommen mit dem gleichen Gehirn zur Welt wie Steinzeitmenschen vor 40.000 Jahren. Daher kann das Mängelwesen Mensch der heutigen Flut von Aufgaben, Informationen und Ablenkungen nicht immer Herr werden.
Mit dem Titel "Multitasking" greift Klingberg die Hoffnung und Strategie vieler Menschen auf, durch Simultanleistungen die gestiegenen Anforderungen zu bewerkstelligen. Alltägliches Beispiel: Telefonieren beim Autofahren gelingt bei einfachem Verkehr, bei einfachen Gesprächsthemen. Keine Überforderung für das Gehirn, die Schaltzentrale der Aufmerksamkeit.
Führt man hingegen Diskussionen am Telefon im Auto, so wissenschaftliche Studien, übersieht man doppelt so häufig Verkehrszeichen als bei normaler Fahrt. Drastisch ist es gar bei über Sechzigjährigen: Steht deren Arbeitsgedächtnis unter Belastung, verlangsamt sich die Reaktionszeit um etwa eineinhalb Sekunden. Da ist so mancher Unfall vorprogrammiert.
Was geht da vor? Das Arbeitsgedächtnis ist "die Werkbank im Kopf" – und Dreh- und Angelpunkt in Klingbergs Buch. Es stellt nicht nur die Fähigkeit dar, "Informationen für einen kurzen Zeitraum ... im Kopf zu behalten" – und ist so von entscheidender Bedeutung etwa beim Kopfrechnen. Das Arbeitsgedächtnis entscheidet zudem auch darüber, wie viele und wie sehr Umgebungsreize ausgeblendet werden können.
Das Arbeitsgedächtnis lässt sich trainieren. Das ist die gute Nachricht in Klingbergs Buch. Mit einem Stündchen Kreuzworträtsel ist es allerdings nicht getan. Erfolg verspricht nur konsequentes Arbeiten – täglich eine halbe Stunde an fünf Wochentagen, fünf Wochen lang.
Die verblüffende Nachricht: Bei der neurokognitiven Optimierung helfen neben klassischen Konzentrations- und Meditationsübungen auch Computerspiele. Nicht genug: Action-Videospiele steigern neben dem räumlichen Vorstellungsvermögen auch die Aufmerksamkeit. Es findet sich, so Klingbergs Fazit, "kein Beleg dafür, dass das Spielen am Computer die Konzentration negativ beeinflussen würde".
Hilfreich und entlastend könnte für geplagte Eltern die Lektüre von Klingbergs Kapitel über das Krankheitsbild "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung" sein, kurz: ADHS. Bei den Betroffenen sind – statistisch gesehen – die Stirnlappenareale des Gehirns weniger entwickelt. Zudem scheinen bei ihnen chemische Prozesse im Gehirn, das Dopaminsystem, "etwas anders zu funktionieren".
Neben Pillen wie etwa Ritalin, so der Hirnforscher, sind pädagogische Maßnahmen unerlässlich: Wer Ablenkungen verhindert, äußere Strukturen setzt und Anforderungen vermindert, "die dadurch entstehen, dass man Pläne und Absichten andauernd im Kopf behalten muss", senkt die Belastung des Arbeitsgedächtnisses.
Nicht nur für ADHS-Betroffene gilt die Devise: Das Arbeitsgedächtnis fordern, aber nicht überfordern. Wer das rechte Maß gewinnt beim Training und bei der Arbeit, vermeidet Langeweile sowie Stress und erreicht den angenehmen Zustand des Flow. Dann liegen Anforderungen und subjektive Kompetenz genau im Gleichgewicht.
In seinem gut lesbaren Buch bietet der schwedische Forscher keine schnellen Rezepte, vielmehr grundsätzliche, mitunter durchaus praxisrelevante Informationen. Er erklärt, wie das Gehirn funktioniert, und erläutert wichtige Ergebnisse der aktuellen Hirnforschung, die für den gelingenden Umgang mit der begrenzten Kapazität des Gehirns hilfreich sind.
Rezensiert von Thomas Kroll
Torkel Klingberg: Multitasking. Wie man die Informationsflut bewältigt, ohne den Verstand zu verlieren
Aus dem Schwedischen von Björn Wirtjes
Verlag C.H. Beck, München 2008
192 Seiten, 18,90 Euro
Auf derlei Ängste spielt der Untertitel von Torkel Klingbergs Buch an: "Wie man die Informationsflut bewältigt, ohne den Verstand zu verlieren". Klingberg leugnet weder die steigende Datenflut in vielen Arbeitsbereichen noch damit verbundene temporäre Aufmerksamkeitsstörungen. Man muss deshalb aber nicht gleich den Arzt aufsuchen.
Der schwedische Professor für Kognitive Neurowissenschaft am renommierten Karolinska-Institut in Stockholm rät zur Gelassenheit. Menschen des 21. Jahrhunderts kommen mit dem gleichen Gehirn zur Welt wie Steinzeitmenschen vor 40.000 Jahren. Daher kann das Mängelwesen Mensch der heutigen Flut von Aufgaben, Informationen und Ablenkungen nicht immer Herr werden.
Mit dem Titel "Multitasking" greift Klingberg die Hoffnung und Strategie vieler Menschen auf, durch Simultanleistungen die gestiegenen Anforderungen zu bewerkstelligen. Alltägliches Beispiel: Telefonieren beim Autofahren gelingt bei einfachem Verkehr, bei einfachen Gesprächsthemen. Keine Überforderung für das Gehirn, die Schaltzentrale der Aufmerksamkeit.
Führt man hingegen Diskussionen am Telefon im Auto, so wissenschaftliche Studien, übersieht man doppelt so häufig Verkehrszeichen als bei normaler Fahrt. Drastisch ist es gar bei über Sechzigjährigen: Steht deren Arbeitsgedächtnis unter Belastung, verlangsamt sich die Reaktionszeit um etwa eineinhalb Sekunden. Da ist so mancher Unfall vorprogrammiert.
Was geht da vor? Das Arbeitsgedächtnis ist "die Werkbank im Kopf" – und Dreh- und Angelpunkt in Klingbergs Buch. Es stellt nicht nur die Fähigkeit dar, "Informationen für einen kurzen Zeitraum ... im Kopf zu behalten" – und ist so von entscheidender Bedeutung etwa beim Kopfrechnen. Das Arbeitsgedächtnis entscheidet zudem auch darüber, wie viele und wie sehr Umgebungsreize ausgeblendet werden können.
Das Arbeitsgedächtnis lässt sich trainieren. Das ist die gute Nachricht in Klingbergs Buch. Mit einem Stündchen Kreuzworträtsel ist es allerdings nicht getan. Erfolg verspricht nur konsequentes Arbeiten – täglich eine halbe Stunde an fünf Wochentagen, fünf Wochen lang.
Die verblüffende Nachricht: Bei der neurokognitiven Optimierung helfen neben klassischen Konzentrations- und Meditationsübungen auch Computerspiele. Nicht genug: Action-Videospiele steigern neben dem räumlichen Vorstellungsvermögen auch die Aufmerksamkeit. Es findet sich, so Klingbergs Fazit, "kein Beleg dafür, dass das Spielen am Computer die Konzentration negativ beeinflussen würde".
Hilfreich und entlastend könnte für geplagte Eltern die Lektüre von Klingbergs Kapitel über das Krankheitsbild "Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätstörung" sein, kurz: ADHS. Bei den Betroffenen sind – statistisch gesehen – die Stirnlappenareale des Gehirns weniger entwickelt. Zudem scheinen bei ihnen chemische Prozesse im Gehirn, das Dopaminsystem, "etwas anders zu funktionieren".
Neben Pillen wie etwa Ritalin, so der Hirnforscher, sind pädagogische Maßnahmen unerlässlich: Wer Ablenkungen verhindert, äußere Strukturen setzt und Anforderungen vermindert, "die dadurch entstehen, dass man Pläne und Absichten andauernd im Kopf behalten muss", senkt die Belastung des Arbeitsgedächtnisses.
Nicht nur für ADHS-Betroffene gilt die Devise: Das Arbeitsgedächtnis fordern, aber nicht überfordern. Wer das rechte Maß gewinnt beim Training und bei der Arbeit, vermeidet Langeweile sowie Stress und erreicht den angenehmen Zustand des Flow. Dann liegen Anforderungen und subjektive Kompetenz genau im Gleichgewicht.
In seinem gut lesbaren Buch bietet der schwedische Forscher keine schnellen Rezepte, vielmehr grundsätzliche, mitunter durchaus praxisrelevante Informationen. Er erklärt, wie das Gehirn funktioniert, und erläutert wichtige Ergebnisse der aktuellen Hirnforschung, die für den gelingenden Umgang mit der begrenzten Kapazität des Gehirns hilfreich sind.
Rezensiert von Thomas Kroll
Torkel Klingberg: Multitasking. Wie man die Informationsflut bewältigt, ohne den Verstand zu verlieren
Aus dem Schwedischen von Björn Wirtjes
Verlag C.H. Beck, München 2008
192 Seiten, 18,90 Euro