Tragödie zweier Leben

12.12.2012
In seinem neuen Roman erzählt Patrick Findeis von einer Vater-Sohn-Beziehung, die an der Unfähigkeit zu lieben zugrunde geht. Von der romantischen Prophezeiung "Wo wir uns finden" bleibt am Ende nicht mehr viel übrig.
Nach "Kein schöner Land", seinem erfolgreichen Debüt, wählt der 1975 in Heidenheim an der Brenz geborene Patrick Findeis auch für seinen zweiten Roman als Romantitel ein populäres Volkslied von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio. Von der romantischen Prophezeiung: "Wo wir uns finden", ("wohl unter Linden") ist, so will Findeis sagen, im 21. Jahrhundert nichts außer dem physischen und psychischen Schrott der Zivilisation übrig geblieben.

Mit "Null", "Eins", "Zwei", "Drei" sind die Kapitel des kurzen Romans überschrieben. In einer komplizierten Konstruktion aus Vor- und Rückblenden erzählt Findeis die Geschichte vom verlorenen Sohn. Der alt gewordene Josef hat nach dem Tod seiner Frau bei der Geburt des Sohnes alles für sein Kind getan. Er hat mit ihm Lego gespielt und die Einsamkeit ertragen. Er hat Siggis Studium finanziert und für sein Start-up-Unternehmen eine Bürgschaft gegeben.

Wir lernen Josef als kranken, bankrotten Mann kennen, dessen Häuschen für den Kredit des wortlos verschwundenen Sohnes verpfändet wird, der bei einem kinderlosen Ehepaar Gartenarbeit verrichtetet und längst in eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit und Tatenlosigkeit abgetaucht ist. Patrick Findeis schildert, wie der neue Schicksalsschlag den Mann abstumpft, ihn gefühllos gegen sich selbst macht. Nur die junge Frau, deren Beete er umgräbt, weckt in ihm die Erinnerung an die Begierde.

In einer langen Frequenz schildert Findeis die Schulfreundschaft zwischen dem Arbeiterkind Klobbe und Grams, dem Jungen aus bürgerlichen Verhältnissen. Klobbe ist der gutmütige Mitläufer, Grams der bedenkenlose Tunichtgut. Ausführlich wird die Pubertät mit ihren oft beschriebenen typischen Qualen dargelegt. Das spielt sich zwischen den Seiten der Pornohefte in einem feuchten Kellerloch ab und findet ein Ventil in Grams' sehnsüchtigen Blicken auf das Hausmädchen Anna, das bei seinen Eltern ihren Dienst tut und eines Tages auszieht, weil sie schwanger geworden ist . Sie heiratet Dix, den Vater des Kindes, und bezieht mit ihm ein Häuschen. Weil Patrick Findeis das Verwirrspiel liebt, wird erst langsam klar, dass jenes Hausmädchen die verstorbene Mutter von Siggi und der alte Josef der Dix von damals ist. Außerdem hat der Autor eine Vorliebe für unterbrochene Sätze, für eine schwer lesbare, forcierte Rhythmik und mutwillig komponierte grammatikalische Fehlstellungen.

Um der Tragödie zweier Leben noch eine weitere hinzuzufügen, wird der nach Los Angeles getürmte Siggi seine schwangere Freundin im Stich lassen und dahin zurückkehren, woher er gekommen ist. Findeis Roman verhöhnt jede romantische Geste und will beweisen, dass Menschen verdammt sind, als Wiederholungstäter in gleiche Fallen zu laufen, und dass sie alles, was schön sein könnte, auch die sie umgebende Natur und sich selbst, zerstören. Eine Vater-Sohn-Beziehung, die an der Unfähigkeit zu lieben, zugrunde geht.

Besprochen von Verena Auffermann

Patrick Findeis: Wo wir uns finden
DVA, München 2012
208 Seiten, 18,99 Euro
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