Tragischer Abriss

Von Almuth Knigge |
Das Haus und der Garten, ein Refugium der Tänzerin Gret Palucca, waren nach ihrem Tod 1993 heruntergekommen. 1996 verkaufte die Erbengemeinschaft das Idyll auf der Insel Hiddensee an einen Berliner Professor, der dort Ferienwohnungen bauen will. Dass das Haus schnell noch unter Denkmalschutz gestellt wurde, konnte den Abriss nicht verhindern.
Die Denkmalliste von Rügen hat 884 Positionen – Pfarrhäuser, Lokschuppen, Wohnhäuser, Kirchen, alte Ställe, Villen, auch das Krankenhaus in Bergen, der Inselhauptstadt, steht unter Denkmalschutz. Auch die Insel Hiddensee, die sich westlich von Deutschlands größter Insel wie ein Seepferdchen streckt, sind viele der tiefgeduckten, romantischen Reethäuser geschützt, das Sommerhaus von Asta Nielsen, das von Gerhard Hauptmann, nur das Haus von Gret Palucca steht bzw. stand nicht auf dieser Liste – warum – das ist die Frage, auf die bislang niemand so recht eine Antwort hat - auch nicht Konrad Hirsch, Vereinsvorsitzender der Freunde und Förderer der Palucca-Schule Dresden:

"Es ist schade, dass wir erst die Ämter in Mecklenburg überhaupt auf dieses Denkmal hinweisen mussten. Das ist durch unsere Initiative zum Denkmal erklärt worden, aber eben leider zu spät, das hätte schon in den letzten Jahren passieren können, warum das nicht passiert ist, warum man an das Palucca-Haus nicht gedacht hat, weiß ich nicht."

Das kleine Haus war, wie der Garten ringsherum. Seit dem Tod von Gret Palucca 1993 heruntergekommen, im Reetdach klafften große Löcher. 1996 verkaufte die Erbengemeinschaft das Insel-Idyll der Tänzerin an einen Berliner Professor für Chemie, bereits Besitzer eines weiteren Häuschens auf Hiddensee. Der plant Ferienwohnungen auf dem Filetgrundstück, doch wegen der prekären Trinkwassersituation durfte lange Zeit niemand auf der Insel bauen. Der Besitzer klagte die Baugenehmigung ein – die er 2006 auch bekam. Inklusive der Abrissgenehmigung. Warum – keiner kann sich erinnern.

Aber auch da kümmerte sich noch keiner ernsthaft um einen Denkmalstatus für das Haus, mit dem die Bau- und Abrissgenehmigung hätte zurückgenommen werden können. Auch die Dresdner nicht – sie wollten eine gemeinsame Lösung mit dem Eigentümer finden, scheiterten aber immer wieder an dessen finanziellen Vorstellungen. Das Haus, so die teils verbitterte Diskussion im Internet, wurde dadurch unversehens zu einer eindrucksvollen Gedenkstätte des modernen Tanzes, des Tanzes um das goldene Kalb. Dem Besitzer, einem ehemaligen Vorstandsmitglied der Schering AG, scheint es, so Konrad Hirsch, in der Tat um den höchstmöglichen Profit zu gehen. Zuletzt lehnte er es ab, den Palucca-Freunden schriftlich eine Kaufoption zu geben, wollte sich auch auf keine großzügigen Zahlungsfristen einlassen.

Konrad Hirsch: "Direktoren der Palucca-Schule sind seit vielen Jahren im Gespräch mit den derzeitigen Eignern, haben immer wieder versucht, Gespräche zu führen, ich hab das vor zwei Jahren übernommen, hab mich mit den Leuten in Verbindung gesetzt, habe mich mit den Leuten getroffen, habe den auch viele Vorschläge gemacht, was man gemeinsam tun könnte aber leider ist es nun zu diesem sehr unglücklichen Abriss gekommen."

Beinahe tragisch dabei ist: erst am Montag hatte die sächsische Wissenschafts- und Kulturministerin Eva-Maria Stange ihren Kollegen in Mecklenburg-Vorpommern, Henry Tesch darum gebeten, sich für den Schutz der Immobilie einzusetzen. Der versprach es – räumte allerdings ein:

"Ich sehe natürlich, dass schon über einen langen Zeitraum Abriss- und Baugenehmigung vorliegen, und frag mich jetzt natürlich auch, auf den letzten Metern kommt hier jetzt eine Geschwindigkeit rein. Wir wollen alles unterstützen, was die Denkmalwürdigkeit betrifft, aber wir dürfen auch nicht den Eindruck erwecken, ist das jetzt innerhalb von 24 Stunden zu klären?"

Immerhin – es dauerte nur vier Tage, da hatten das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege und das Kultusministerium die Denkmalwürdigkeit des Palucca-Hauses festgestellt – und dem zuständigen Landratsamt auf Rügen mitgeteilt. Hier wiederum ist bislang noch nichts Schriftliches über den Denkmalstatus des Hauses eingegangen. Allerdings kann, so die Auffassung auf Rügen, der Denkmalstatus nur mit Genehmigung der Eigentümer erteilt werden – oder aber von der obersten Aufsichtsbehörde – das ist die Auffassung im Ministerium.

Seit Freitag ist dies aber nur eine theoretische Diskussion: Am Vormittag haben die Besitzer vollendete Tatsachen geschaffen und das Haus - allerdings ordnungswidrig - abreißen lassen. Am kommenden Samstag steht, die feuchte Wiese, wie Konrad Hirsch das Grundstück nun bezeichnet, für knapp 400.000 Euro Mindestgebot zu Versteigerung an. Die Palucca-Freunde sind nicht mehr interessiert.