Tragische Liebe mit Happy End

19.08.2009
Man hat diesen Roman immer für einen Schlüsselroman über die Beziehung Romain Garys mit Jean Seberg gehalten. Denn so schwärmerisch, wie er die Liebe beschwört, ihre Fortdauer über alle Trennung hinaus, meint man ihn lesen zu können als ein intimes Lebensdokument, das schmerzhaft einen unwiederbringlichen Verlust beklagt.
Doch Gary verwischt die Spuren geschickt. Sein Roman ist weit mehr als die Enthüllungsstory über ein Scheitern, feiert er doch im Kern den Zauber eines Neuanfangs. Die Konstellation, die Gary für seine Hommage an das Glück zu zweit entwirft, wirkt zunächst wie ein typisches Großstadt-Szenario.

Da taumeln und stolpern zwei aufeinander zu, als wären sie füreinander bestimmt. Es ist ein Zufall, der die beiden zusammenführt: Er steigt aus dem Taxi, sie läuft in die geöffnete Wagentür. Ein Mann und eine Frau, beide nicht mehr jung, beide an einem existenziellen Wendepunkt. Michel, der Ich-Erzähler, trauert um seine über alles geliebte Frau, die er an eine tödliche Krankheit verloren hat.

Auch Lydia hat das Schicksal hart getroffen: Ihr Mann kann seit einem selbstverschuldeten Autounfall, bei dem ihr gemeinsames Kind umkam, nur noch Unsinniges stammeln. Er leidet unheilbar an Aphasie. Das ist viel Dramatik für einen schmalen, knapp 200-seitigen Roman. Zumal der Ich-Erzähler beschließt, die überraschende Begegnung für einen Akt der Vorsehung zu halten, dem er nachhilft, indem er Lydia zu einer gemeinsamen Nacht, zu einem gemeinsamen Leben auffordert.

Die von verschiedenen Rückblenden durchwirkte Handlung umspannt diese eine Nacht, in der sie immer wieder flüchtet, während er sich ihr umso hartnäckiger anzunähern versucht. Es sind nur zwölf Stunden, in denen Gary die beiden wie zwei Schiffbrüchige einander suchen, verlieren und immer wieder festhalten lässt. Wie auf einer Achterbahn der Gefühle schickt er sie durch das Pariser Vergnügungsleben. Bizarre Szenen tun sich auf, in denen ein Schimpanse mit einem rosafarbenen Pudel Paso doble tanzt, ein Hundedompteur lieber selbst gestorben wäre, als den Tod seines Lieblingstieres zu ertragen, und die Upper Class eine mondäne Geburtstagsparty feiert, während der Jubilar, ein stotterndes Wrack, im Nebenzimmer ein nicht mehr gesellschaftsfähiges Dasein fristet.

Was Gary mit ausgeprägtem Sinn für groteske Effekte entwirft, ist ein urbanes Pandämonium - ganz so, als hätte ein zeitgenössischer Dante Stationen seiner Reise durch die Unterwelt in die Gegenwart übertragen. So werden die dazwischen gestreuten Reflexionen über die Unvergänglichkeit der Liebe, die Hymnen an das Glück von Mann und Frau - deren Pathos zuweilen die Grenze des Erträglichen erreicht - aufs Raffinierteste konterkariert. Auch die Einreden der sich immer wieder entziehenden Frau schaffen ein wohltuendes Gegengewicht zu dem hohen Verzweiflungston des Mannes, wenn er das Wesen der Liebe mit geradezu religiöser Inbrunst in mystischen Formeln überhöht.

Sie wolle nicht zum Echo seiner Erinnerungen werden, denn sein Schwärmen - so erkennt sie klar - gelte nicht ihr, sondern der Trauer um das verlorene Paradies. Erst "wenn wir wirklich wieder wir selbst sind", erklärt sie am Ende, "dann werden wir uns kennen lernen." Nach soviel Verzweiflung, nach soviel Skepsis – ein schöneres Versprechen kann es nicht geben. Selten hat man in einem unglücklichen Liebesroman ein solch tröstliches, ein solch verheißungsvolles Ende gelesen.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Romain Gary: Die Liebe einer Frau
Aus dem Französischen von Leon Scholsky
Verlag Schirmer Graf, München 2009
192 Seiten, 18,80 Euro