Tragische Helden einer unbedingten Liebe

24.04.2008
Der Drehbuchautor Gilles soll ein Skript über die "Affaire Cantat-Trintignant" schreiben. 2003 hatte der Rocksänger Bertrand Cantat seine Freundin, die Schauspielerin Marie Trintignant, im Affekt erschlagen. Wie es dazu kommen konnte, spielt Albert Ostermeier anhand seiner Figur Gilles durch, der bald nicht mehr zwischen der Realität und der Fiktion seines Drehbuchs unterscheiden kann.
Der erfolgreiche Dramatiker und Lyriker Albert Ostermaier (Jg. 1967) nennt seinen Romanerstling "Zephyr". In der griechischen Mythologie verkörpert Zephyr (auch Zephyros) den Gott des Westwindes. Er gilt als Vater des Eros, der, von Schönheit angelockt, den Frühling, das Liebesbegehren, aber auch den Tod bringt.

Der Geschichte, die Ostermaier erzählt, liegt ein konkretes Verbrechen zu Grunde, das sich im Sommer 2003 zwischen zwei Liebenden ereignete und - wie die Verhandlungen ergaben - aus krankhafter Eifersucht geschah. In Frankreich sprach man von der sogenannten "Affaire Cantat-Trintignant". Die 41-jährige Schauspielerin Marie Trintignant, Tochter des berühmten Filmpaares Jean-Louis und Nadine Trintignant, wurde bei Filmaufnahmen in Vilnius von ihrem Geliebten Bertrand Cantat bewusstlos geschlagen. Die Pop-Ikone Cantat, Mitbegründer und Sänger der legendären Rockband "Noir Désir", hatte sich nach der Tat neben die Geliebte gelegt, da er glaubte, sie würde nur schlafen. So kam jede Hilfe zu spät und Marie starb an einem Schädel-Hirn-Trauma.

Ostermaier sieht in dieser Tragödie einen jener kalten Augenblicke, wo das Schicksal wie im Mythos mit ganzer Wucht zuschlägt. Ihn interessiert vor allem die todbringende Seite des Mythos, die das brutale Vergehen an der Liebe und die schmerzvolle Erinnerung widerspiegelt. Durch Cantats Verhalten nach der Tat wird der Schlaf - als Bruder des Todes - für ihn zum zentralen Motiv. Doch Ostermaier rekonstruiert den Fall nicht, um daraus einen spektakulären Krimi zu machen.

Im Mittelpunkt steht der Drehbuchautor Gilles, dem so ziemlich alles misslingt. Verzweifelt schreibt er an einem Skript zum Fall Trintignant-Cantat. Um arbeiten zu können, mietet er eine Villa an der Côte d'Azur. Dort aber wurde "La Piscine" ("Der Swimmingpool") mit Romy Schneider und Alain Delon gedreht, so dass er sich an einem anderen legendären Mordschauplatz befindet.

Als schließlich noch ein Kommissar ins Geschehen tritt, der ihn des Mordes verdächtigt, hat Gilles im Buch fast verloren, als Kunstfigur aber enorm an Substanz gewonnen. Er rettet sich in einen Zustand, der zwischen Traum und Wachsein, Fiktionalität und Faktizität schwankt und nur noch in "Kamerafahrten" und "Close-ups" verläuft. Alle Wahrnehmungen sind fortan surreal anmutende Zerrbilder, die grell überblendet werden. Doch in diesem Tagtraum vermag er plötzlich sein Drehbuch zu vollenden.

Bereits mit der Gedichtsammlung "Polar" (2006) hat Ostermaier vorgeführt, wie das große französische Kino der 60er und 70er Jahre die Eiseskälte der Nachkriegszeit in ein Traumkapitel des Films verwandelt. Am kalten Blau der Augen von Alain Delon übte er sich in einem Sprachschliff, der dem Leser Angstschweiß auf die Stirn treibt.

Mit "Zephyr" ist ihm ein Prosatext voller Lyrismen gelungen, dessen sprachliche Souveränität und schillernde Textpräsenz ein literarisches Fest auf hohem Niveau ist.

Rezensiert von Carola Wiemers

Albert Ostermaier: Zephyr
Roman, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008
222 Seiten, EUR 17,80