Träumer, Entdecker und "großer Komödiant"

Rezensiert von Jochen R. Klicker · 19.05.2006
Die gut 190 Seiten sind ein Fest für Leser, die Geschichte gerne als eine bunte Auswahl von Geschichten erzählt bekommen möchten. An denen mangelt es nicht im Leben des irrenden Entdeckers; und also auch nicht in den zwölf Kapiteln seines Biographen. Und der fügt noch ein paar sehr persönliche Ingredienzien hinzu: Da betreibt Paul Barz wackeres Legenden-Killing; zerreißt er immer mal wieder sehr entschieden die Netze aus Lüge, Phantasie und Hoffnung.
Kolumbus: "Gott machte mich zum Verkünder eines neuen Himmels und einer neuen Welt und wies mir den Ort, wo sie zu finden sind."

Das schreibt Kolumbus im Jahre 1500 an Dona Juana, Schwester seines Gefährten Antonio de Torres und als Amme des Kronprinzen enge Vertraute des königlichen Elternpaares. Die klatscht gern und trägt alles weiter. In diesem Fall eine wortgewaltige Verteidigungsschrift des Admirals und Vizekönigs, der eigentlich einer peinlichen Gerichtsverhandlung entgegen sieht - wegen Sklavenhandels, Korruption, Untreue, betrügerischer Bereicherung, Anstiftung zum Aufruhr, ungerechtfertigten Todesurteilen gegen spanische Granden in der neuen spanisch-"westindischen" Kolonie Hispaniola. Kolumbus, der von seinem Biographen Paul Barz nicht nur als Träumer, Entdecker und Visionär, sondern auch als "großer Komödiant" beschrieben wird, weiß, was er zu tun hat: Rechtzeitig vor Eintreffen der Anklageschrift am Hof in Córdoba der Königin und dem König eine Rolle vorzuspielen - auf der Grenze zwischen Schein und Sein, Spiel und Wirklichkeit, Besessenheit und perfektem Komödiantentum:

Kolumbus: "Seht auf mich, den Märtyrer einer guten Sache, der immer nur anderen, nie sich selbst gedient hat! Was nur ist aus ihm geworden? Was habt Ihr aus mir gemacht? Was für Unrecht ist Eurem Admiral widerfahren! Und von was für abscheulichen Menschen. ... Kein betrügerischer Kaufmann, jawohl, hätte schmählicher behandelt werden können als ich von missgünstigen Juristen. Wo ich es doch immer nur gut gemeint habe, runde 1.700 Inseln dem spanischen Reich zugeführt habe, ja, aus dem armen Spanien das reichste Land der Welt gemacht habe."

Paul Barz kommentiert die Zahl der Inseln als "wie immer großzügig" und das Verhalten der königlichen Adressaten des Juana-Tratsches mit "Die Majestäten geruhen, bestürzt zu sein." Königin und König wissen, dass sie auf Kolumbus gesetzt, ihre Politik an sein Schicksal gebunden hatten. Und dies mit allerhöchster, nämlich päpstlicher Zustimmung. Worauf Kolumbus in einem Brief an Papst Alexander VI. erinnert:

"Dieses Unternehmen wurde ins Werk gesetzt mit der Absicht, den ganzen Gewinn aufzuwenden, um der heiligen Kirche das heilige Grab zurückzugeben ... Unser Herr machte mir offenbar, dass ich vermutlich in diesem Jahr Ihren Hoheiten einhundertzwanzig Zentner Gold geben könnte, ebensoviel am Ende von weiteren fünf Jahren; aber Satan hat das verhindert."

Die gut 190 Seiten sind ein Fest für Leser, die Geschichte gerne als eine bunte Auswahl von Geschichten erzählt bekommen möchten. An denen mangelt es nicht im Leben des irrenden Entdeckers; und also auch nicht in den zwölf Kapiteln seines Biographen. Und der fügt noch ein paar sehr persönliche Ingredienzien hinzu: Da betreibt Paul Barz wackeres Legenden-Killing; da zerreißt er immer mal wieder sehr entschieden die Netze aus Lüge, Phantasie und Hoffnung; da formuliert er manches mal grundsätzliche Orientierung aufgrund historischer Erfahrung; und da beteiligt er sich auch "auf kleiner Flamme" an diversen Streiten der Historiker.

Zum Beispiel an der Frage, ob das gesamte Unternehmen Kolumbus ein jüdisches Projekt, ja, ein Projekt der aus Spanien ausgewiesenen Juden gewesen sei. Oder an kleinen Gedankenspielen zur Datierung des Beginns der Neuzeit: Mit Luthers Thesenanschlag? Oder mit Gutenbergs Buchdruck? Oder mit Fuggers Doppelter Buchführung. Oder eben doch mit der Entdeckung der Neuen Welt. Wobei der triumphierende wie der verzweifelte "Entdecker" tragischerweise bis an sein Lebensende glaubte, den Seeweg nach Japan und Indien gefunden zu haben. Soviel jedenfalls steht für Paul Barz fest: Dass Kolumbus die Ursachen geliefert hat für den amerikanischen Traum, für den American way of life, und für die Anmaßung der USA, Weltpolizei sein und bleiben zu müssen.

Der amerikanische Traum "Vom Tellerwäscher zum Millionär" ist inzwischen wohl ausgeträumt. So wie der Traum des Christoph Columbus, Indien entdeckt zu haben. Er fand nicht Indien und die Menschen in seinem Amerika kein Traumland. Wohl aber wuchs eine Macht heran, die unsere gesamte Welt grundlegend ändern und Europa um seine Führungsrolle bringen sollte. Und mit kleinem Schauder entdeckt man inzwischen dort Verhaltensweisen wie aus kolumbianischer Zeit, die Europa selbst, vielleicht etwas weiser geworden, überwunden haben dürfte.

Fast hätte ich vergessen zu unterstreichen, dass Christoph Columbus von Paul Barz ein heiteres Werk von feinster schriftstellerischer Qualität geworden ist: Dank einer erfrischend anschaulichen Sprache, verbunden mit einer schmunzelnden Belehrung ohne pädagogischen Zeigefinger, und versehen mit zahlreichen aussagekräftigen Bildern sowie vielen vielen bunten Kästen für Zitate und lexikalische Stichwörter. Ich habe selten ein so anschauliches Sachbuch in der Hand gehabt


Paul Barz: Christoph Columbus
Deutscher Taschenbuch Verlag (dtv), München 2006, 192 Seiten