Träume und Ängste der Mittelklasse

Von Stefan Keim · 09.01.2009
Die erfolgreiche schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy hat mit ihrem ersten Bühnenwerk "Altweibersommer" ein böses Stück über den Alltag einer schottischen Mittelklassefamilie geschrieben. Das Bühnenbild am Theater Oberhausen besteht aus einer umgekippten Kaufhaustüte. Leider mangelt es der Aufführung an Überraschungen und Boshaftigkeit.
"Oh lieber Gott, lass ihn beschneiden, mit rostigem Skalpell ausweiden, lass ihn ohne Betäubung leiden. Doch ich will dabei sein." Gerade nett klingt es nicht, wie Pat Reith über ihren Mann singt, wenn der gerade nicht zu Hause ist. Sie fühlt sich leer, angeödet und betrogen. Dabei verbringt Gatte Maurice kein nettes Schäferstündchen mit einer Brünetten. Der Versicherungsmann trifft sich mit einem korrupten Bauunternehmer, dem er Aufträge zuschanzt. Wofür Maurice Sessel und Sofas geschenkt bekommt, die größtenteils unausgespackt zu Hause rum stehen.
"Altweibersommer" – im Original "Indian Summer" – ist ein böses Stück über den miesen Alltag einer schottischen Mittelklassefamilie, ihre Träume und Ängste, Verklemmungen und Missverständnisse. Kein neues Thema, aber A. L. Kennedy, deren Romane wie "Paradies" und "Day" sich gut verkaufen, findet eine ungewöhnliche Form. "Ein häusliches Musical" nennt sie das Stück im Untertitel. In jeder Szene gibt es einen Song, die Handlung hält an, ein paar Minuten lang geht es nur ums Gefühl. Otto Beautus, Oberhausens Theatermusiker, hat nostalgische, oft tänzerisch-leichte Songs komponiert und sitzt selbst im Schottenrock am Klavier.

Einige hinreißende Momente entstehen. Da besingen Maurice (sehr authentisch Torsten Bauer) und ein alkoholisierter Arbeitskollege und Verehrer seiner Frau (Michael Witte) einen "Scheißtag" mit schwebenden Koloraturen wie in barocken Opernarien. Kaspar Zwimpfers Bühne ist sehr witzig, eine riesige, umgekippte Kaufhaustüte, in der all die Sessel und Sofas und eine geschwungene Treppe Platz finden. Ein pointiertes Bild für den Konsumwahn, in dem keiner Erfüllung findet. Maurice verstrickt sich völlig umsonst in seinen kleinen, kriminellen Mauscheleien. Als echter Mann kann der das aber nicht zugeben, weder vor anderen noch vor sich selbst.

Die Tochter will schwanger, der Sohn Priester werden. Und es laufen noch weitere durchgeknallte Gestalten durch den Abend. A. L. Kennedys Stück müsste mit Tempo und zynischem Witz inszeniert werden und dann plötzlich Brüche kriegen, weil die Charaktere plötzlich doch Verständnis füreinander entwickeln. Oberhausens Intendant Peter Carp, dessen erste Spielzeit bisher sehr anregend ist, scheint in seiner ersten Regiearbeit nach Amtsantritt allerdings beweisen zu wollen, dass in A. L. Kennedy ein Tschechow steckt. Er setzt nicht auf Gags, sondern auf Menschlichkeit. Dadurch rutschen einige Szenen ins Sentimentale, und die Musicals und Schlager zitierenden Songs sind kein Widerpart zum Stück mehr, sondern Illustrierungen.

Der Aufführung fehlt es an Überraschungen. Wenn am Schluss die Großmutter als Oma ex machina auftritt und die emotionalen Knoten durchschlägt, müsste sich vorher alles bis zur Ausweglosigkeit verwickelt haben. Aber so richtig böse und gefährlich wird die Inszenierung nie, obwohl die guten Schauspieler das Potenzial dazu hätten. Peter Carp hat zu viel Abgründe in dem Stück gesehen und das Naheliegende aus den Augen verloren, die schillernde, boshafte Oberfläche einer galligen Komödie. Ein Missverständnis aus Liebe.

Service:
Theater Oberhausen: "Altweibersommer", Termine: 17., 25., 29. Januar, 12., 13., 20., 25., 27. Februar
www.theater-oberhausen.de