Tränen über Stalins Tod

Jörg Baberowski im Gespräch mit Joachim Scholl · 05.03.2013
30 Jahre lang hat Stalin die Sowjetunion regiert. Millionen starben auf seinen Befehl. Trotzdem brachen am 5. März 1953 überall im Sowjetreich Menschen in Tränen aus, als sie von Stalins Tod hörten. Warum weinten sie? Der Historiker Jörg Baberowski versucht, Antworten zu geben.
Baberowski ist Professor für europäische Geschichte an der Berliner Humboldt Uni und hat im vergangenen Jahr ein Buch über Stalins Gewaltherrschaft veröffentlicht, in dem nachzulesen ist, dass es in der Sowjetunion vor 1945 so gut wie keine Familie gegeben habe, die nicht unter Stalins Terror gelitten hat und mittel- oder unmittelbar davon betroffen war. Millionen sind deportiert, liquidiert, in Lagern umgebracht worden, verhungerten. Dass dennoch so viele geweint haben an diesem 5. März, erklärt Baberowski so:

"Vielleicht muss man erst einmal mit dem Missverständnis aufräumen, dass die meisten Menschen geweint hätten, als Stalin starb. Es haben sicher sehr viele geweint, aber sehr viele Menschen waren auch glücklich, nur darüber ist wenig geschrieben worden, weil diese Menschen keine Stimme hatte. Die Lagerhäftlinge, für die war das ein Freudentag, das kann man bei Solschenizyn nachlesen, die Menschen im Baltikum, in der Ukraine, in den Dörfern waren sicherlich nicht traurig, als der Diktator starb.

Gleichwohl haben natürlich viele geweint. Man weiß nicht so recht, wie viel davon Inszenierung war, in der Öffentlichkeit musste natürlich auch geweint werden, auf der anderen Seite ist natürlich klar, dass diese Menschen gar keine Alternative kannten. Sie kannten nichts anderes als diese Stalinzeit, und der strenge Vater war gestorben, und für viele war das eine Zeit ganz großer Verunsicherung, sie wussten einfach nicht, was jetzt geschehen würde, ein Gott war gestorben. Und das hatte man ihnen eingeimpft, dass das ein Gott war, und der war nun tot. Und diese große Verunsicherung hat dazu geführt, dass viele Menschen einfach zusammenbrachen."

Die vollständige Fassung des Interviews finden Sie in unserer Sendung "Radiofeuilleton".
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