Traditionsoper als Häppchenkultur

Rezensiert von Elske Brault |
Die Kunqu-Oper hat in China eine 600-jährige Tradition. Die berühmteste stammt aus dem Jahr 1598 und heißt "Der Päonien-Pavillon": Eine Liebesgeschichte mit unzähligen Nebenhandlungen und 160 Rollen, die im Original 24 Stunden dauert oder an mehreren Abenden hintereinander aufgeführt wird. In <papaya:link href="http://www.fasttracking.de/" text="&quot;Fast Tracking&quot;" title="Fast Tracking" target="_blank" /> stehen drei Darsteller vor der Aufgabe, dieses Mammutwerk in drei Fünf-Minuten-Häppchen darzubieten: Bei einer großen Kulturmesse sollen sie damit Politikern und Wirtschaftsvertretern ihr Gala-Diner versüßen.
Diese Rahmenhandlung ist für Kevin Rittberger der Ausgangspunkt, um die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Verwertbarkeit von Kultur zu stellen: Wie kann ein Kulturschaffender sich seine Kreativität erhalten? Die Spannung zwischen staatlich subventionierter Hoch- und anarchischer Off-Kultur ist dabei bereits Teil dieser Produktion: Das Deutsche Schauspielhaus, die größte deutsche Sprechbühne, finanziert die Uraufführung im immer wieder von Straßenschlachten erschütterten Schanzenviertel, im Kulturwerk III&70.

Durch eine Szenekneipe gelangt der Besucher zu einem Treppenaufgang, der ihn an modrigen 70er-Jahre-Tapeten vorbei in einen verrotteten, schwarz gestrichenen Ballettsaal mit improvisierten Zuschauertribünen führt. Auf der Bühne ein Dixieklo und ein mit Plastikplanen verhängtes DJ-Pult, zu dessen "Ping" und "Pong" die drei Darsteller ihr Arsenal ironisch-übertriebener Peking-Oper-Gesten abspulen. Sie stapfen auf 20 Zentimeter hohen Blockabsätzen daher und tragen pinkfarbene oder pechschwarze Seidenkimonos mit gigantischen Schulterpolstern. Dramatische Gesichtsbemalung und absurde, bewusst künstliche Perücken vervollständigen das trashige Bild.

Die traditionellen Opernrollen - die Schöne, ihr Liebhaber und der Tod - verschränkt Rittberger mit Figuren aus dem China von heute: Einer Prostituierten, einem kanadischen Börsenmakler und einem Psychoanalytiker. Besonders die Selbstauskunft der Prostituierten, offensichtlich auf einem tatsächlichen Interview beruhend, gibt spannende Einblicke in die selbst in diesem Bereich so fremde chinesische Kultur. Oder in das, was wir im Westen von ihr verstehen und mitbekommen: Das Eigen-Artige droht genau so ein Versatzstück in einer alles verschlingenden Kulturproduktion zu werden, wie ein Wirbelsturm für den Börsenmakler einen Spekulationsgewinn bedeutet, obwohl ihm tausende Menschen zum Opfer fallen. Aber der Sturm sorgt eben zugleich für jene höheren Erdgaspreise, auf die der Spekulant gewettet hatte.

An dieser Stelle allerdings bekommt die Produktion auch ihren großen Hänger. Julia Nachtmann ist eine Schauspielerin, der man normalerweise selbst beim Rezitieren des Telefonbuchs noch gerne zuschaut. Doch selbst sie ist mit der Aufgabe überfordert, die Seelenzustände des Börsenheinis (Lukas Holzmann) aufzudröseln, der wie eine Holzpuppe stumm neben ihr sitzt. Und irgendwie ist die Geschichte der Kunqu-Oper selbst in der hier gebotenen Comic-Kurzform spannender als kulturtheoretische Überlegungen zur Krise des Finanzmarkts.

Wie in seiner vorigen Produktion "Fake for Real" gelingt es Kevin Rittberger erneut, aus philosophischen Texten und komplexen Kulturtheorien einen ziemlich unterhaltsamen Theaterabend zu gestalten. Aber das Beste daran ist dann doch, dass unten die Szenekneipe wartet, um die Diskussionen von der Bühne an den Tresen zu verlagern.

Fast Tracking oder Das Ende der Kunqu-Oper
Buch und Regie: Kevin Rittberger
Uraufführung 09.11.2008
Produktion des Deutschen Schauspielhauses Hamburg im Kulturwerk III&70
Gesehen von Elske Brault