Tradition mit Zuckerguss

Von Kristin Helberg |
Enge Gassen mit den traditionellen Märkten, Wohnhäuser mit begrünten Innenhöfen, in denen Orangenbäume wachsen und Brunnen sprudeln, Szeneviertel mit schicken Cafés und Restaurants. In den vergangenen Jahren hat sich die Altstadt von Damaskus zu einem beliebten Treffpunkt junger Leute entwickelt.
Immer mehr Investoren kaufen die traditionellen arabischen Hofhäuser zu inzwischen astronomischen Preisen auf und machen daraus Restaurants und Hotels. Das allerdings gefällt nicht jedem: Bei den umfangreichen Renovierungsarbeiten geht viel alte Bausubstanz verloren, fürchten Kritiker.

Ein langes schmales Sträßchen, das den christlichen mit dem muslimischen Teil verbindet. Aus einer ruhigen beschaulichen Gasse mit traditionellen Läden ist dort eine Einkaufsmeile aus Restaurants, Cafés und modernen Geschäften geworden.

Der coole glänzende Handyshop des 24-jährigen Nour Scheich Fati. Schräg gegenüber stellt der über 70-jährige Korbmacher Mohammed Ali Baqdunis seit 40 Jahren Stühle, Körbe und Teppichklopfer her. Aber während der junge Mobilfunkhändler begeistert ist von den Veränderungen der vergangenen Jahre, wünscht sich der Korbmacher manchmal die alten Zeiten zurück.

"Früher hat man hier alles mit Handkarren gemacht. Die Abgase, der Lärm und das laute Treiben nerven. Früher war es ruhig und beschaulich. Außerdem kannte jeder jeden, heute kennen wir die Leute gar nicht mehr, die hier Läden aufmachen.”"

Die Gerade Straße. Sie durchteilt die Altstadt von West nach Ost und gilt als die älteste Straße von Damaskus. Bis vor eineinhalb Jahren war sie aufgrund des nie abreißenden Verkehrs und ihrer handtuchbreiten Bürgersteige für Spaziergänger eine Tortur. Heute ist sie für Autos gesperrt und neu gepflastert.

In den zum Teil winzi gen Läden gibt es Kaffee, Tee, Gewürze und Pistazien zu kaufen. Walid Yaghmur, dessen Geschäft sich seit 200 Jahren im Familienbesitz befindet, handelt mit traditioneller Medizin aus Kräutern, Schlangenhäuten und Schildkrötenpanzern.

""Es ist gut, dass sie die Gerade Straße für Autos gesperrt haben. Die Luft war hier so schmutzig, dass viele Nachbarn gesundheitliche Probleme bekommen haben. Auch den touristischen Wert der Geraden Straße haben sie dadurch gesteigert, da ist mehr los. Aber auf den Umsatz hat sich das Autoverbot negativ ausgewirkt, geschäftlich läuft es nicht mehr so gut wie früher."

Samer Qusah, der Galeriebesitzer aus Bab Tuma, begrüßt das Autoverbot. Allerdings müsse es für kranke und alte Anwohner alternative Transportmöglichkeiten geben, meint er.

""Ich, der ich in der Altstadt wohne und ein Auto besitze, bin damit einverstanden. Aber sie müssen Parkplätze und einfache Fortbewegungsmöglichkeiten schaffen. Zum Beispiel Elektroautos, die ich mir ausleihen kann, wenn ich etwas transportieren muss. Das wird wunderbar, hier ohne Autoverkehr herumzuspazieren. Das schützt die Umwelt und die Altstadt wird wieder so wie sie einmal war.”"

Ein Wohnhaus in der Altstadt von Damaskus. Der syrische Architekt Hikmat Shatta blickt verzweifelt auf die Fassade. Über der orange-braun lackierten Haustür hängen wackelige Metalllaternen, im ersten Stock ragen seltsame Sonnensegel über den Fenstern aus der Wand.

""Wenn ich an diesem Haus vorbeikomme und sehe, was sie damit gemacht haben, kommen mir die Tränen. Dieser Kitsch, diese Accessoires. Architektonisch sind diese Details eine Katastrophe, eine totale Zerstörung. Wenn ich durch die Altstadt gehe, versuche ich inzwischen, meinen Blick nicht zu heben – aus Scham. Ich schäme mich für das, was in Damaskus passiert.”"

Shatta hatte in Frankreich studiert und gearbeitet, bis er vor zwölf Jahren in die Altstadt von Damaskus zurückkehrte. Sein Elternhaus steht im christlichen Bab Tuma – dem derzeit populärsten Szeneviertel der syrischen Hauptstadt. Mehr als einhundert arabische Häuser wurden hier in den vergangenen Jahren zu Cafés, Restaurants und Bars umgewandelt. Die meisten seien voller geschmackloser und oberflächlicher Folklore, sagt der 55-jährige Architekt.

Dass Renovierung auch anders aussehen kann, zeigt das Gebäude, in dem Shattas Nachbar Samer Qusah wohnt. Sieben Jahre lang hat der gelernte Juwelier das arabische Haus seiner Familie von Grund auf restauriert und umgebaut. Im Untergeschoss befindet sich heute eine Galerie. Qusah selbst wohnt mit seiner Frau im ersten Stock. Herz der Anlage ist der offene Innenhof. Dort ranken sich Orangenbäume und Dutzende Grünpflanzen um einen Marmor-Brunnen.

Der Boden besteht aus geometrisch verlegten beigen und schwarzen Steinen. Im Liwan, einem offenen Aufenthaltsraum für den Sommer, verbreiten dunkle Holzmöbel und ein Schaukelstuhl Gemütlichkeit. Das Zwitschern der Vögel macht das Idyll fast zu perfekt.

""Ich bin hier geboren und an dieses Leben gewöhnt. Ich kann nicht in einer geschlossenen Wohnung leben. Aber im Zuge der Renovierungen haben wir etwas mehr Komfort eingebaut. Es gibt eine Zentralheizung und das Badezimmer liegt innerhalb des Schlafzimmers, sodass man nicht außenherum gehen muss. Auf diese Weise können wir ein modernes Leben im traditionellen Umfeld des alten Damaskus führen.”"

Dass dieses alte Damaskus zunehmend von Lärm, Abgasen, vergnügungssüchtigen Jugendlichen und geldgierigen Investoren geprägt ist, gibt Samer Qusah zu Denken. Dennoch sieht er im gestiegenen Interesse privater Geschäftsleute auch positive Aspekte. Ohne ihr Geld und Engagement wäre die Altstadt untergegangen, meint der 50-Jährige.

""Ich habe in den 80er-Jahren erlebt, wie die Altstadt langsam stirbt. Wie die Häuser in sich zusammenfallen und sich niemand darum kümmert. Dann kamen die Restaurantbesitzer und haben die Altstadt wiederbelebt. Wenn jemand die Altstadt vor dem Sterben bewahrt hat, dann waren es die Geschäftsleute und Investoren, nicht der Staat.”"

Jahrzehntelang schlief das alte Damaskus einen Dornröschenschlaf – vergessen von der Welt, vernachlässigt von der Regierung und verschmäht von seinen eigenen Bewohnern. Vielen Eigentümern wurden die arabischen Häuser zu groß, denn sie wohnten dort nicht mehr mit der gesamten Verwandtschaft, sondern als Kleinfamilie. Komfort und gute Verkehrsanbindungen wurden wichtiger als der Charme alter Gemäuer.

In den 1950er und 60er-Jahren zog ein Großteil der Altstadtbevölkerung in die modernen Wohnviertel der Neustadt. Sie verkauften ihre Hofhäuser an arme Syrer vom Lande, die in den prächtigen Anwesen vor allem billigen Wohnraum mit vielen Zimmern sahen, die sich gut vermieten liessen. Bis heute teilen sich oft mehrere Familien ein Haus und bezahlen aufgrund alter Verträge eine lächerliche Miete von monatlich etwa fünf Euro. Diese Bewohner haben kein Geld für Renovierungsarbeiten und die Hausbesitzer sind angesichts der geringen Mieteinnahmen nicht gewillt, in den Erhalt der Gebäude zu investieren.

So enstand in der Altstadt von Damaskus eine paradoxe Situation: Häuser, die inzwischen knapp eine Million Euro Wert sind, verfielen, weil ihre Eigentümer wegen der darin wohnenden Mieter nicht verkaufen konnten. Die syrische Regierung erließ deshalb ein Gesetz, das nach westlichen Maßstäben unglaublich klingt: Wird ein Haus verkauft, stehen dem Eigentümer 60 Prozent und den Mietern 40 Prozent des Kaufpreises zu.

Adnan Habbab hat dieses Gesetz eine Menge Ärger gemacht. Insgesamt elf verschiedene Mietparteien wohnten in den beiden Häusern, die der Reiseunternehmer vor fünf Jahren gekauft hatte, um darin ein Hotel einzurichten. Seine aus der Schweiz stammende Frau Gabriela Wengert-Habbab erzählt, wie schwer es war, das vorhaben umzusetzen:

""Die Besitzer sollten 60 Prozent und die Mieter 40 Prozent bekommen, aber das reichte den Bewohnern nicht. Sie drohten damit, vor Gericht zu ziehen. Weil wir keine Zeit verlieren wollten, haben wir uns mit jedem der elf Mieter auf einen Preis für sein Zimmer geeinigt, mit dem er woanders eine Wohnung finden konnte. So haben wir letztlich jedes Zimmer einzeln gekauft.”"

Inzwischen ist das Hotel fast fertig - und die Habbabs sind mit ihren Nerven am Ende. Er habe als Damaszener in die Altstadt investiert, um sie zu erhalten und ausländischen Besuchern ihren einzigartigen Charme zu vermitteln, sagt Habbab. Doch bürokratische Hürden und regelmäßige Beschwerden der Nachbarn, die den Umbauprozess jederzeit aufhalten können, hätten sein Engagement nahezu unmöglich gemacht. Dabei sei ein Hotel nicht mit einem Restaurant zu vergleichen, meint der 42-Jährige.

""Die Hotels sind nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Nur Gäste dürfen im Restaurant frühstücken, mittag- oder abendessen. Niemand sonst kommt rein und isst hier. Außerdem haben wir nur kleine Gruppen von 10 bis 15 Leuten. Unsere Kunden sind vor allem ältere Europäer, Bildungsreisende - da gibt es keine Parties und keinen Massentourismus.”"

Die größte Herausforderung sei es gewesen, den ursprünglichen Charakter des Hauses zu bewahren und dabei gleichzeitig modernen Komfortansprüchen zu genügen, sagt der Geschäftsmann. Aufgrund früherer Veränderungen im Haus sei es oft schwierig nachzuvollziehen, wie der Originalzustand war, erklärt Gabriela Wengert-Habbab, die als Schweizerin hohe Ansprüche an den Denkmalschutz gewohnt ist.

""Anfangs hatten wir uns überlegt, hier so eine Decke und dort so eine Decke zu machen, doch dann dachten wir, Moment mal, dieses Haus stammt aus dem Jahr 1836 – damals haben sie diese Art von Decken gar nicht mehr gemacht. Und dann sind wir losgezogen, um andere Häuser aus dieser Zeit zu sehen und herauszufinden, was ihre typischen Charaktereigenschaften sind.

Andere dagegen bauen einfach all die hübschen Dekorelemente ein, die Ausländer in den Altstadthäusern so schön finden, von der Mamlukischen Ära bis ins 19. Jahrhundert. Das nenne ich dann Disneyland.”"

Dieses Disneyland zeigt sich inzwischen an vielen Ecken der Altstadt. Da wird aus einer traditionell mit Lehm und Kalk verputzten Wand eine Natursteinfassade. Um die beliebig verbreiterten Türen und Fenster werden bunte Keramikteller an die Wand geklatscht, fantasievolle Vordächer, Abflussrinnen und Balkonverkleidungen halten Einzug. Im Inneren stehen Plastikblumen vor kitschigen Gemälden und Plasmabildschirmen.

Den Architekten Hikmat Shatta bringen solche Auswüchse zur Verzweiflung. Sein Frust geht so weit, dass er sich wünscht, Damaskus wäre nie aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Hätten die Damaszener ihre Altstadt einfach vergessen und die Häuser sich selbst überlassen, dann hätten spätere Generationen noch etwas von dem alten Baugut vorgefunden, so Shattas provokante These. Durch den derzeitigen Renovierungsboom aber gehe das historische Material für immer verloren.

""Die Altstadt stirbt jetzt, vorher ist sie nicht gestorben. Wenn wir vom Tod der Altstadt sprechen, müssen wir unterscheiden zwischen dem architektonischen Tod und den gesellschaftlichen Veränderungen. Beide Phänomene beschäftigen mich.

Auf gesellschaftlicher Ebene können wir bestimmte Entwicklungen nicht aufhalten – der Mensch verändert sich nunmal, das ist normal. Die architektonische Bausubstanz dagegen, die sollten wir bewahren. Aber jetzt ist auch sie es, die sich grundlegend und für immer verändert.”"

Angesichts vieler offensichtlicher Renovierungsfehler und Bausünden stellt sich die Frage nach dem syrischen Denkmalschutz. Die Gesetze seien zu schwammig, sie ließen den Kontrolleuren der zuständigen Altstadtbehörde einen so großen Spielraum, dass Bestechung vorprogrammiert sei, heißt es in Damaskus hinter vorgehaltener Hand. Um die Korruption in den Griff zu kriegen, werden zunehmend Kommissionen eingesetzt, die über umstrittene Baumaßnahmen entscheiden, doch das wiederum führt zu einer ausufernden Bürokratie.

Marwan Schamschich kämpft seit Monaten damit. Der 48-jährige Damaszener steht im Empfangssalon seines baufälligen Hauses und zeigt auf Decken, Wände und Fußböden. In den Ecken blättert der Putz ab, Risse ziehen sich durch die Mauern, der alte Steinboden wölbt sich wegen des feuchten Untergrundes nach oben. Der Hausbesitzer möchte so schnell wie möglich mit den Renovierungsarbeiten beginnen, braucht dafür aber einen Bescheid der Altstadtbehörde.

""Seit vier Monaten renne ich mit meinen Papieren von Behörde zu Behörde. Wenn jetzt das Haus zusammenbricht, dann tragen sie die Verantwortung. Was soll diese ganze Bürokratie? Es ist doch ganz einfach. Ein Ingenieur und eine Expertenkommission waren da und haben sich die Lage angesehen. Jetzt sollen sie die Genehmigung erteilen und dann regeln wir alles gemeinsam.”"

Eine Zusammenarbeit mit den Anwohnern fällt der Altstadtbehörde noch immer schwer. Jahrzehntelang schickte sie in dringenden Fällen ihren Sanierungstrupp durch die Häuser, ohne sich mit den Bewohnern abzusprechen. Unverständnis und Ärger waren die Folge und brachten der Behörde ein denkbar schlechtes Image ein. Für einen freundlicheren Umgang mit den Bewohnern wirbt seit zwei Jahren die deutsche Architektin Regina Kallmeyer, die dort im Auftrag der GTZ arbeitet. Mit ihrem Expertenteam versucht sie, die verhärteten Fronten aufzubrechen.

""Also anfangs war hier grundlegende Abneigung. Man hat gesagt, mit denen reden wir nicht, denen sagen wir, was sie machen müssen wenn sie's nicht machen, dann reißen wir ihnen die illegalen Bauten wieder ab. Da haben sie Pech gehabt.”"

Um die Damaszener Altstadt vor dem Verfall zu bewahren, müssten jedoch Anwohner und Behörden an einem Strang ziehen, meint Kallmeyer. Ziel des GTZ-Projektes ist es, Bewohner und Eigentümer bei der Instandhaltung ihrer Häuser zu mehr Eigeninitiative zu bewegen. Die Altstadtbehörde soll sie dabei begleiten und beraten. Hauptproblem bleibt die Finanzierung der häufig teuren Renovierungsarbeiten.

Wie die meisten Bewohner hat auch Marwan Schamschich nicht genug Geld, um sein marodes Haus auf Vordermann zu bringen. Er zählt zu den ersten Hauseigentümern, die sich im Rahmen eines neuen Kreditprogrammes um eine Finanzierung beworben haben, erklärt Architektin Regina Kallmeyer.

""Es sind nicht nur die Bewohner, die davon profitieren, wenn ihr Haus saniert wird, sondern es ist die gesamte Tourismusindustrie, die gesamte Stadt, im Prinzip das Ganze Land, das sich mit dieser Altstadt schmückt. Aber die Kosten bleiben letztlich bei den Bewohnern oder Mietern hängen, die sich um die Sanierung kümmern müssen.

Unser Argument ist deshalb, dass man sie unterstützen muss mit Zuschüssen, Kreditprogrammen, mit allem, was es ihnen erleichtert, künftig mehr Sanierungsleistungen durchzuführen.”"