Tourismus

Sicherheit "All Inclusive"

Blick auf den gut besuchten Strand der Ortschaft Calella de Palafrugell an der Costa Brava (Spanien).
Wie sicher ist der Urlaubsort? © dpa / picture alliance / Roland Holschneider
Horst W. Opaschowski im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 22.07.2016
Die Sicherheit auf Reisen wird mindestens so wichtig werden wie die Reisefreiheit, glaubt der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski. Gerade für Familien mit Kindern bedeute "All Inclusive" heute, dass Sicherheit inbegriffen sein müsse.
"Das Leben ist ja immer lebensgefährlich und das gilt natürlich auch für den Urlaub", sagte der Hamburger Zukunftsforscher Horst Opaschowski im Deutschlandradio Kultur. Die Urlauber hätten ein chronisches Kurzzeitgedächtnis und leisteten keine Trauerarbeit.Es gebe einen Verdrängungsmechanismus, der funktioniere und funktionieren müsse. "Mittlerweile leben wir mit Dauerkrisen", sagte Opaschowski.

Krisenerfahrene Deutsche

Als Weltmeister des Reisens hätten gerade die Deutschen mittlerweile Krisenerfahrung und verhielten sich krisenresistent. "Sie wollen also auf ihre populärste Form des Glücks nicht verzichten und das ist das Reisen", sagte Opaschowski. Den Urlaub habe man sich schließlich durch seine Arbeit verdient. Als Statussymbol sei das Reisen nicht ersetzbar.

Kreuzschiff als sichere Burg

Der Wunsch nach Sicherheit im Urlaub erkläre auch den Boom des Kreuzfahrttourismus, sagte Opaschowski. "Jedes Schiff ist so wie eine kleine, sichere Burg." Wenn man eine Krisenregion anfahre, könne man schnell wieder drehen und woanders hinfahren. Das westliche Mittelmeer sei zum Boomgebiet geworden, aber auch der deutsche Inlandstourismus an Ost- und Nordsee oder an den bayerischen Seen habe profitiert.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Der Sommer ist da! Für viele haben die Ferien schon begonnen, wenn nicht, dann stehen sie kurz bevor. Wo fahren Sie hin – in die Türkei? Hm! Nach Südfrankreich? Oder wollten Sie vielleicht einfach mal mit dem Schöne-Wochenend-Ticket per Regionalzug Deutschland erkunden? Die letzten Tage haben eins gezeigt: Es ist eigentlich ganz egal, was man tut, wie weit man wegfährt oder mit welchem Verkehrsmittel, es gibt genug Anlässe, warum die Angst mitfahren könnte. Verändert sich in diesen unsicheren Zeiten unser Blick auf den Urlaub? Fragen wir Horst Opaschowski, Gründer des Hamburger Instituts für Zukunftsforschung. Guten Morgen!
Horst W. Opaschowski: Ja, einen schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Herr Opaschowski, wenn wir jetzt millionenfach in den Urlaub fahren, fährt da die Angst mit oder sind wir ganz gut im Verdrängen?
Opaschowski: Na ja, also ich weiß es nicht, ob es jetzt Verdrängung ist oder Pragmatismus pur, wissen Sie, das Leben ist ja immer lebensgefährlich, und das gilt natürlich auch für den Urlaub. Aber in der Tat, in der Tourismusforschung gibt es ja schon lange einen Erfahrungsgrundsatz, und der lautet: Der Urlauber hat ein chronisches Kurzzeitgedächtnis – leistet keine Trauerarbeit. Dieser, wie Sie sagen, Verdrängungsmechanismus, der funktioniert, ja, der muss auch funktionieren, weil sich ja letztlich die Krisen häufen. Also Tschernobyl oder Fukushima, das ist ja alles einmal gewesen, mittlerweile leben wir mit Dauerkrisen, und die Deutschen, die Weltmeister des Reisens, haben einfach inzwischen Krisenerfahrung, verhalten sich krisenresistent, sie wollen also auf ihre populärste Form des Glücks nicht verzichten, und das ist das Reisen.
Frenzel: Also das heißt, es ist eher eine Fähigkeit, etwas beiseite legen zu können, eher als Leichtsinn.
Opaschowski: Sie haben recht, es ist eine Kompetenz, man will ja sozusagen diesen Traum auch retten. Wofür hat man gearbeitet? Man sagt ja, den Urlaub hab ich mir verdient.

Boom des Kreuzfahrttorismus

Frenzel: Interessant ist ja, wie wenig jetzt aktuell Touristen zum Beispiel in der Türkei mitbekommen haben vom Putschversuch und den Folgen. Wer in der Ferienanlage sitzt, der kriegt nicht viel mit, der soll auch nicht allzu viel mitkriegen, soll nicht gestört werden. Wird das zunehmen, glauben Sie, dass diese Art von Tourismus in einer abgeschirmten, vermeintlich sicheren Welt durch den Terror, durch die Gefahr immer mehr der Trend wird?
Opaschowski: Ja, ich glaube, die Sicherheit auf Reisen, die wird mindestens so wichtig werden wie die sprichwörtliche Reisefreiheit. Das erklärt ja auch etwa den Boom des Kreuzfahrttourismus. Jedes Schiff ist wie so eine kleine sichere Burg, und wenn Sie eine Krisenregion berühren, dann können Sie ganz schnell wieder drehen und woanders hinfahren.
Frenzel: Möglicherweise haben Sie jetzt internationale Terroristen gerade auf eine Idee gebracht, was man mal demnächst angreifen könnte. Auch auf einem Kreuzfahrtschiff ist ja – ich erinnere mich an die 80er, Achille Lauro – nicht immer alles sicher.
Opaschowski: Ja, da haben Sie recht, sicher, nichts ist sicher, das wissen wir ja mittlerweile. Trotzdem, die Deutschen sind da ganz kreativ, entwickeln auch völlig neue Formen. Man muss natürlich auch an die Familien mit Kindern denken. Hier heißt "All Inclusive" natürlich auch Sicherheit inbegriffen.

Reiseentscheidungen in letzter Minute

Frenzel: Sie haben Mitte der 80er-Jahre einen Begriff geprägt: Stand-by-Tourismus. Was haben Sie damals damit gemeint, was bedeutet das für heute?
Opaschowski: Ja, nun, wissen Sie, damals explodierte der Massentourismus, und die Weltmeister des Reisens, die haben dann einfach ihre Reisetypen verändert. Sie wurden Spätbucher, sie wurden Spontis, Last-Minute-Reisende, und von wegen Bettenwechsel am Samstag, wie das lange Zeit gültig war, das ist vorbei. Reiseentscheidungen fallen jetzt einfach nicht mehr zur Weihnachtszeit, sie erfolgen immer öfter in letzter Minute, was ja auch verständlich ist. Der Stand-by-Tourismus heute ist kein Luxusproblem, es ist eine Sicherheitsfrage, wo und wie kann ich also mit heiler Haut wieder nach Hause kommen.
Frenzel: Das heißt also, die kurzfristige Erfahrung, wir sehen Nachrichten, wir hören bestimmte Nachrichtenlagen, wissen zum Beispiel, Ägypten, so na ja, Türkei gerade aktuell schwierig, und dann sagt man, lieber Mallorca?
Opaschowski: Ja, also Sie haben indirekt ein Ausweichziel genannt, das westliche Mittelmeer ist natürlich sozusagen ein Boomgebiet geworden, aber interessanterweise natürlich auch der Inlandstourismus, der profitiert davon – von der Ostsee über die Nordsee bis zu den bayerischen Bergen und Seen.

Zeitalter des Massentourismus

Frenzel: Die Frage ist ja immer, was sieht man auch beim Reisen. Man könnte ja auch andersrum sagen, ohne jetzt richtig abenteuerlustig zu sein, gerade Länder, wo viel in Bewegung ist, wo es Umwälzungen gibt, da könnte man sich ja gerade besonders dafür begeistern, dass man sagt, man fährt nach Tunesien, möchte sehen, was in diesem Land passiert, wie es sich demokratisch öffnet, aber das scheint bei den wenigsten Urlaubern wirklich Motiv zu sein, oder?, wirklich andere Welten kennenzulernen.
Opaschowski: Wissen Sie, manche Entscheidung, die müssen Sie wirklich für sich fällen, und sie hat auch existenzielle Bedeutung. Reisen ist ja nicht mehr so wie früher ein Privileg für Adlige, für Begüterte und so. Wir leben im Zeitalter des Massentourismus, und insofern gibt es natürlich immer wieder Exoten – also irgendwo ist eine kriegerische Auseinandersetzung oder ein Putsch noch nicht beendet, da fliegen die Ersten schon hin und schauen nach, also das will ich nicht abstreiten.
Frenzel: Können Sie sich denn vorstellen, dass das Reisen angesichts all dessen, was wir besprochen haben, möglicherweise auch selbst bei den Deutschen abgelöst wird durch andere Statussymbole?
Opaschowski: Nein, also ich glaube, Reisen als Statussymbol werden Sie nie ersetzen können. Ich weiß als Germanist, Travel und Travailler, Reisen und Arbeiten, haben die gleiche Wortwurzel, sie deuten auf das gleiche Phänomen hin: Der Mensch kann auf Dauer nicht untätig in seinen eigenen vier Wänden verweilen. Zu groß ist die Angst, im Leben etwas zu verpassen – während wir hier miteinander reden oder andere beim Deutschlandfunk, jetzt Deutschlandradio zuhören, nein, Mobilität ist ein urmenschliches Bedürfnis. Und stellen Sie sich mal vor, ein Politiker würde das Reisen verbieten, er würde sofort abgestraft und abgewählt werden.
Frenzel: Herr Opaschowski, ich will Ihnen Ihren Geheimtipp nicht durch den Ansturm all unserer Hörer im Deutschlandradio Kultur kaputt machen, aber vielleicht verraten Sie es uns: Wo machen Sie Urlaub?
Opaschowski: Ja, also ich bewege mich in der Tat nach Mallorca, aber die Ostsee habe ich schon hinter mir, insofern habe ich das Pflichtprogramm der Deutschen bereits absolviert.
Frenzel: Reisen in Zeiten des Terrors – wie es sich verändert und eben auch nicht. Der Zukunftswissenschaftler Horst Opaschowski, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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