Tourismus im Harz

Die "Schneekanonenzeit" ist bald zu Ende

Der kleine Konstantin steht am 22.01.2014 mit seinem Schlitten vor einer Schneekanone in Braunlage
Eine Schneekanone in Braunlage im Harz © picture alliance / ZB / Matthias Bein
Von Dietrich Mohaupt · 14.06.2018
Tourismusprojekte drohen immer wieder, die Natur im Harz massiv zu beschädigen. Neue große Wintersportangebote wie am Wurmberg in Braunlage sind typisch für den Dauerkonflikt zwischen Naturschutz und Tourismus. Aber sind die Investitionen überhaupt nachhaltig?
Mitte März im Oberharz bei Braunlage: Die Skilifte am Wurmberg laufen auf Hochtouren, ein heftiger Wintereinbruch hat quasi über Nacht noch einmal jede Menge Schnee gebracht – ein Traum für Dirk Nüsse, den Betreiber der Wurmbergseilbahn und der Skilifte rundherum. In den vergangenen Jahren ist hier das größte norddeutsche Skigebiet entstanden. Wo sich früher wenige schmale Pisten durch dichte Wälder zogen, gebe es inzwischen ein dichtes Netz von insgesamt 14 bestens präparierten Abfahrten, schwärmt Dirk Nüsse:
"Wenn man das mal vergleicht tatsächlich mit den 70er-Jahren, dann ist es so, dass wir natürlich mittlerweile diese Abfahrten präparieren. Das hat man ja früher gar nicht gemacht, da sind wir ja meistens durch den Tiefschnee gefahren – heute ist es so, dass wir die ganze Nacht über unsere Raupen draufschicken, dass morgens wieder alles schick und schön ist. Dazu kommt die Beschneiung an sich, dass man eben nicht neben sich die Grashalme rausschimmern sieht und über Steine fährt – nein, mittlerweile haben wir Schneedicken, da liegen zwischen 50 Zentimeter und zwei Meter!"

Der Griff nach dem Strohhalm?

Breite Schneisen wurden dafür in die Wälder am Wurmberg geschlagen, dicht unter dem Gipfel entstand der sogenannte "Schneisee", ein gut 5.000 Quadratmeter großer künstlicher Teich, der die rund 100 entlang der Pisten aufgestellten Schneekanonen mit Wasser versorgen soll. Neue Parkplätze wurden gebaut, Restaurants, moderne Sessellifte, Flutlichtanlagen, rund siebeneinhalb Millionen Euro hat das alles gekostet. Und es war mit teils radikalen Eingriffen in die Natur verbunden. Bäume mussten gefällt, große Erdmassen bewegt werden – alles gegen massive Widerstände von Naturschutzorganisationen. Aber, so Dirk Nüsse:
"Wir mussten dringend etwas tun, um den Wintersport am Wurmberg attraktiver zu machen. Es war tatsächlich so, dass wir eben feststellen konnten im Vergleich mit anderen Destinationen, die seit vielen Jahren auch auf den Wintersport bauen, dass die extrem nach vorne gerückt sind, wirtschaftlich eigenständig wurden, stark sogar, und damit dann auch auf Sommer setzen konnten. Also, ich sag' mal, wenn das größte Übel – Winter fällt in Zukunft aus – eintreten würde, müssen wir soweit durch die noch möglichen Winter aufgebaut sein, dass wir den Sommer nach vorne bringen – wenn das nachher das einzige ist, was zählt."
Der berühmte Griff nach dem Strohhalm war das aus Sicht von Friethardt Knolle. Der gebürtige Goslarer ist Vorsitzender des BUND-Regionalverbands Harz – und einer der schärfsten Kritiker ungebremster Tourismusentwicklung im Harz. Einen grundsätzlichen Konflikt nach dem Motto "Tourismus kontra Naturschutz" gibt es aus seiner Sicht nicht. Aber die Diskussionen gerade über das Skigebiet am Wurmberg seien geradezu beispielhaft für sehr unterschiedliche Denkansätze zum Thema Tourismus:
"Der eine – wie Herr Nüsse – sagt eben, lasst uns die letzten Jahre noch maximal nutzen, solange es noch Schneekanonenbetrieb überhaupt gibt … irgendwann laufen ja nicht mal mehr die Schneekanonen, weil es so warm wird. Und wir sagen halt, lasst uns doch jetzt, wo das Ende dieser Schneekanonenzeit bevorsteht, diese letzten Reste der Natur anders nutzen, und intelligenter und nachhaltiger – so, dass es die nächsten Generationen auch hält. Das ist der Streit."

"Der Mensch wird diesen Krieg nicht gewinnen"

Inzwischen ist die Winter-Wunderlandschaft am Wurmberg längst passé, kein Krümel Schnee bedeckt mehr die Narben in der Natur, die der Ausbau des Skigebiets hinterlassen hat. Bei allem Verständnis für den notwendigen Ausbau touristischer Angebote – so sieht die Wahrheit aus, schimpft Friedhardt Knolle:
"Das ist nicht nur Beleidigung für's Auge, was da geschehen ist, sondern das ist auch ökonomischer Nonsens. Die immer behauptete Rettung der Stadt Braunlage ist überhaupt nicht eingetreten. Braunlage ist weiter verschuldet, und diese Investitionen sind vor allem nicht nachhaltig, sie werden nicht halten. Die Fachliteratur nennt das die 'Todesdynamik des Tourismus' – das ist wie in so einem Krieg, noch ein Panzer, noch ein Panzer … und Sie sind dann irgendwann zum Sieg verpflichtet. Wir sind dort oben auf dem Wurmberg im Krieg gegen die Natur – und der Mensch wird den nicht gewinnen!"
Nur ein paar Kilometer entfernt von Braunlage und dem Wurmberg liegt Torfhaus, eine kleine Gemeinde umgeben vom Nationalpark Harz. Es gibt hier schon seit Jahrzehnten einen Rodel- und einen Skihang jeweils mit Lift, mehr nicht. In den 1980er- und 90er-Jahren reichte das nicht mehr – Torfhaus drohte touristisch zu veröden, alte Gebäude verfielen, wurden abgerissen. 2012 kam dann der Umschwung: Ein neuer Investor plante damals eine Ferienhaussiedlung, Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe waren im Gespräch. Der Bau erfolgte in enger Abstimmung unter anderem mit der Nationalparkverwaltung, deren Sprecher Friedhardt Knolle ebenfalls ist:
"Und dann ist hier eine Siedlung entstanden, wie wir uns die auch vorgestellt haben. Es ist wirklich eine traumhafte Architektur, die sich einpasst in die Harzer Landschaft, mit viel Holz, mit nicht zu hohen Gebäuden … insofern würde ich sagen, das ist sogar eine positive Entwicklung, hier kann der Strukturwandel weg vom Wintersport, hin zu einem modernen Tourismus, abgestimmt mit dem Nationalpark sogar, beobachtet werden. Das ist der Tourismus der Zukunft."

Gästezahlen sind deutlich gestiegen

Stefan Grote, dem Bürgermeister von Braunlage, erscheint diese Argumentation dann aber doch ein bisschen zu simpel. Gerade Torfhaus sei doch Beleg für die positiven Folgeentwicklungen, die ein Projekt wie der Ausbau des Skigebiets am Wurmberg für die gesamte Region nach sich ziehen könne. Für Braunlage sei das jedenfalls eine Art Initialzündung gewesen:
"Im Jahr 2012, als das Land die Entscheidung gefällt hat, den Wurmberg massiv zu unterstützen, also mit zwei Millionen Förderung – von da an gingen schon die Übernachtungszahlen aufwärts. Und seitdem der Wurmberg im Winter 2013 in Betrieb gegangen ist, können wir verfolgen, wie die Gästezahlen in Braunlage jedes Jahr deutlich steigen."
Und das sei nicht nur den neuen Wintersportangeboten zu verdanken – durch die Investitionen am Wurmberg habe sich Braunlage zu einem "Ganzjahres-Erlebnisort" entwickelt. Das lasse sich fast an jeder Ecke ablesen, meint der Bürgermeister und lädt zu einer kleinen Stadtrundfahrt:
"Hier zum Beispiel, direkt neben dem Rathaus, das war eine Brandruine, als ich 2006 ins Amt kam – und jetzt, seit 2012, seit es in Braunlage so drastisch aufwärts geht, ist das völlig neu gestaltet worden. Hier ist auch so ein Jahrhundertwende-Bau, das traditionelle Hotel Viktoria, und gleich hier, einen weiter – die 'Tanne', auch eine Gastronomie von 1850 an, wird jetzt alles modernisiert, erweitert mit modernen Ferienwohnungen."
Es tut sich offensichtlich gerade eine ganz Menge in Braunlage. Besonders heiß diskutiert wurde in den vergangenen Monaten ein weiteres Tourismusprojekt – ein Investor aus Hamburg hatte sich mit Plänen für eine Ferienanlage am Stadtrand oberhalb des Kurparks gemeldet. Die Stadt wollte dem Investor einen vier Hektar großen Teil des oberen Kurparks verkaufen – in diesem Bereich und dem dahinter liegenden Waldstück sollte eine hochklassige Hotelanlage unter anderem mit einzelnen Baumhäusern in futuristisch anmutendem Design entstehen. Holzkuben auf Stelzen, integriert in den gut hundert Jahre alten Baumbestand des oberen Kurparks – die sogenannten "Cabins" sollten ein Highlight des naturnahen Tourismus werden, so versprach der Investor. In der Stadt regte sich aber schnell massiver Widerstand, organisiert unter anderem vom ehemaligen Kurdirektor Braunlages, Dieter Banse:
"Der Kurpark ist das Herzstück von Braunlage, er begründet an und für sich den Kurort Braunlage. Das ist ein Refugium, da kann man die Seele baumeln lassen, ohne dass man gleich in Massentourismus verfällt. Wunderschöne Bäume, und hier oben können Sie wirklich noch entspannen. Das gibt es nicht mehr, in der Großstadt werden Sie vom Bürgersteig geklingelt, hier können Sie laufen."

Eingezwängt durch den Wald

Politik und Verwaltung in Braunlage sind sich eigentlich einig – der obere Teilbereich des Kurparks bietet ideale Möglichkeiten für dringend notwendige Investitionen in die touristische Infrastruktur, betont Bürgermeister Stefan Grote. Auf einer Luftaufnahme der Stadt zeigt er: Viele solcher Möglichkeiten gibt es nicht.
"Braunlage ist doch sehr eingezwängt durch den umgebenden Wald, und die freien grünen Flächen, die noch zu sehen sind, stehen unter so hohem Schutz, die können nicht mehr genutzt werden. Das heißt also, wir haben kaum noch Ausdehnungsmöglichkeiten und wir kommen automatisch, wenn wir etwas planen, immer in Konflikte mit Umweltschutz oder – wie jetzt in dem Fall – auch mit eigenen Einwohnern, die sagen, lasst es doch bitte so, wie es ist."
Und das sagen die Gegner des Hotelprojekts mit ganz viel Enthusiasmus. Auch Gerhard Hoffmann ist Mitglied der Initiative "Kurparkfreunde Braunlage". Bei einem Spaziergang durch den sonnendurchfluteten Garten gerät er regelrecht ins Schwärmen:
"Man hört die Vögel jetzt zwitschern – es ist hier alles schön grün, die Blätter sind wieder da. Es ist auch so ein bisschen abfallendes Gelände, aufsteigendes Gelände, da haben wir diese grasbestandenen grünen Flächen jetzt zu dieser Zeit, und darauf haben wir eben nicht so einen engen Bestand. Das ist eher ein aufgelockerter Baumbestand, das macht den Reiz aus. Man kann den Baum immer noch als einzelnes sehen – auch in den Farben unterschiedlich, also jetzt zum Beispiel diese Rotbuche, die sich abhebt von dem hellen Grün der Birken!"

Vier Hektar für den Investor?

Gleich hinter dem Kurpark beginnt der Wald ... und das heißt in diesem Fall Fichtenmonokultur, Wirtschaftswald eben, nicht zu vergleichen mit dem aufgelockerten Mischwald im Berggarten des oberen Kurparks, in dem Teile der neuen Hotelanlage geplant waren. Das hätte natürlich Einschränkungen für die Nutzung des Kurparks durch die Allgemeinheit mit sich gebracht, räumt Bürgermeister Stefan Grote ein:
"Der Konflikt entzündet sich daran, dass das dann nicht mehr frei zugänglich wäre, sondern zu der Anlage gehören würde. Es würde also nicht verschwinden, aber eben nicht mehr so für Jedermann zugänglich sein. Das sind aber von 14 Hektar Kurpark eben vier Hektar, also zehn Hektar Kurpark würden weiterhin noch zur Verfügung stehen, und wir im Rat haben bei der Abwägung der Interessenlage gesagt: Jawoll, man kann darüber reden, ob man das macht. Der Investor hat sich aber wegen der Konflikte mit Teilen der Bevölkerung das jetzt erst mal überlegt und gesagt, er wird sich wohl erst mal auf den Bereich beschränken, der außerhalb des Kurparks liegt."
Ganz vom Tisch ist die Sache damit aber noch nicht. Gerichte müssen noch über die Rechtmäßigkeit eines Bürgerbegehrens gegen den Verkauf von Teilen des Kurparks entscheiden – und damit über den möglichen Vorrang von Tourismusinteressen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an freiem Zugang zu einem Park mit natürlichem, altem Baumbestand, wie er im Harz nur noch selten anzutreffen ist.
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