Tourauftakt der Lemon Twigs in Köln

"Es tut mir für jeden Leid, der das Konzert verpasst hat"

Schlagzeug
Mit einem Schlagzeug ging es für die Brüder los, danach folgten Gitarre, Bass und Keyboard. © imago/Westend61
Chrissy Adamus im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Ihre Songs erinnern an die Beatles, die Beach Boys oder David Bowie. Von der internationalen Musikpresse werden die Lemon Twigs gefeiert. Noch sind sie aber ein Geheimtipp. Kritikerin Chrissy Adamus hat den beiden Teenagern aus den USA in Köln begeistert zugehört.
Korbinian Frenzel: The Lemon Twigs werden von der internationalen Musikpresse gefeiert, sagen aber bestimmt noch nicht jedem etwas. Wer steckt dahinter?

Chrissy Adamus: Das sind die beiden Brüder Brian und Michael D'Addario. Sie sind 19 und 17 Jahre alt, leben bei ihren Eltern in Long Island und haben schon sehr früh mit ihrer Musikkarriere angefangen. Mit fünf Jahren ging es für beide mit dem Schlagzeug los, danach folgten diverse andere Instrumente wie Gitarre, Bass und Keyboard. Dazu sollte man vielleicht wissen, dass der Vater auch Musiker ist, wenn auch nicht so erfolgreich wie seine Söhne, aber es kommt halt nicht von ungefähr.
Die beiden waren aber durchaus bereit, andere Wege im Entertainment zu gehen, um an Kontakte zu kommen. Michael war als Schauspieler aktiv – er war zum Beispiel im Horrorfilm "Sinister" neben Ethan Hawk zu sehen -, und Brian war mehrere Jahre am Broadway unter anderem in Les Miserables. Bevor sie sich dann wieder auf die Musik konzentriert und angefangen haben als Band zusammen mit Megan Zeankowski am Bass und Danny Ayala am Keyboard Demos aufzunehmen. Und Mitte Oktober haben sie ihr Debütalbum "Do Hollywood" veröffentlicht.

Frenzel: Vor einigen Wochen haben The Lemon Twigs bei Jimmy Fallon in der Tonight Show gespielt und waren auch rein optisch experimentell – sehr Seventies-lastig - interessant anzusehen. Wie war das gestern Abend in Köln?

"Sie machen Musik, die aus der Zeit ihrer Großeltern stammt"

Adamus: Ich hab's auch gesehen und weiß was gemeint ist. Dieser geschminkte Joan-Jett-Look von Michael mit dem dunkelroten Lippenstift in Kombi mit seinem Vokuhila war schon sehr prägnant. Aber das war gestern tatsächlich nicht der Fall. Michael hatte ein Willie Nelson Shirt und eine Schlagjeans an und Brian ein Kuhflecken-Shirt und eine braune Lederjacke. Also die waren schon in ihrem klassischen, aber harmlosen 70er-Jahre-Outfit unterwegs. Der Einzige, der da aufgefallen ist, war Keyboarder Danny, der mit freiem Oberkörper und rotem Superman-Cape auf der Bühne stand. Aber das zeigt auch schon ein bisschen ihre Einstellung, dass die zwar sowohl musikalisch als auch kleidungstechnisch den Retro-Stil mögen, aber grundsätzlich immer machen wonach ihnen gerade ist ohne sich großartig Gedanken zu machen.
Das ist ja auch ein wichtiges Thema bei den Lemon Twigs. Das ist nicht einfach nur eine gute neue Band, sondern es ist auch ein spannendes Phänomen, dass die beiden so jung sind und Musik machen, die aus der Zeit ihrer Großeltern stammt.
Frenzel: Dieser 60er-70er-Sound klingt auf ihrem Album sehr authentisch. Wie war das live?
Adamus: Das war erstmal unglaublich spannend. Ich hatte tatsächlich, auch durch das Album, mehr Beatles-Sound erwartet und wurde dann langsam aber sicher erschlagen von diversen anderen Einflüssen. Es fing an mit Queen, zog an David Bowie vorbei bis hin zu Alice Cooper oder Nirvana. Hinzu kommt, dass fast alle Songs diverse Rhythmuswechsel haben. Das ist dann schon sehr viel auf einmal.
Es ist aber durchaus so, dass alle vier ihre Instrumente wirklich beherrschen. Ich hab' selten so viel Chaos oder chaotisch Wirkendes auf einer Bühne gesehen was so tight gespielt war. Das hat allerdings nach der Hälfte etwas nachgelassen, denn da haben Brian und Michael die Rollen getauscht. Das war fast so als hätten zwei unterschiedliche Bands gespielt. Die erste Hälfte hat Brian Gitarre gespielt und gesungen und Michael hat Schlagzeug gespielt, und in der zweiten war es dann anders herum. Jetzt muss man leider sagen, dass Brian eindeutig der bessere Sänger ist und Michael eindeutig der bessere Schlagzeuger.
Allerdings, wie das bei Brüdern oft ist, muss da alles gerecht geteilt werden, und da beide Songs schreiben und der eine auch nicht bereit ist den anderen singen zu lassen, ist das die friedliche Lösung, leider zu Lasten des Publikums.

"Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht, die Band zu hören und zu sehen"

Frenzel: Wie ist das Ganze denn beim Publikum angekommen? Konnten die hohen Erwartungen erfüllt werden, oder trifft der Zauber einer anderen Zeit dann doch auf die harte Realität?
Adamus: Ich muss sagen: Es tut mir für jeden Leid, der das Konzert gestern verpasst hat. Obwohl ins Artheater nur ungefähr 400 Leute reinpassen, war es gerade mal halbvoll. Die Lemon Twigs sind eben tatsächlich noch ein Geheimtipp. Aber ich würde auf Grund des Applauses und der Euphorie-Schreie einfach mal behaupten, dass jeder Anwesende auf seine Kosten gekommen ist. Die Band ist unfassbar charmant. Die kamen auf die Bühne gestolpert als wären sie die Schülerband, die jeder seit Jahren kennt, die vor jedem Song erstmal gucken müssen, ob denn alle bereit sind, die aber virtuos spielen. Michael ist ein Monster am Schlagzeug, das hat mich zwischendurch an Animal, den irren Schlagzeuger aus der Muppet Show, erinnert. Es hat wahnsinnigen Spaß gemacht, die Band zu hören und zu sehen, auch wenn es gegen Ende etwas anstrengend wurde. Ich kann es jedem nur empfehlen sich die Lemon Twigs live anzugucken.
Heute Abend spielt die Band in der Kantine am Berghain in Berlin, morgen in Amsterdam und übermorgen in Brüssel.
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