Totgesagte schreiben länger
Thomas Kapielskis Prosasammlung "Mischwald" ist ein anregendes Sammelsurium an Anmerkungen zum Welt- und Kunstgeschehen. Der Autor, dessen Beobachtungsreichtum an die Tagebücher Walter Kempowskis erinnert, mischt Ernst und Komik auf kluge Weise.
Mit seiner neuen Prosasammlung "Mischwald" zieht Ben-Witter-Preisträger Kapielski in die mittlerweile für mancherlei Schrägheiten offene Edition Suhrkamp ein. Seine selten mehr als zwei Seiten umfassenden Anmerkungen zum Welt- und Kunstgeschehen setzen mit einer biografischen Zäsur ein, die die pekuniäre Situation im Hause Kapielski drastisch verschlechtert. Als wäre es nicht genug damit, dass Kapielski, Jahrgang 1951, seiner Zeitprofessorenstelle an der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste verlustig geht, erdreistet sich diese Einrichtung, ihren ehemaligen Dozenten kurzerhand für tot zu erklären. Ohne mit der Wimper zu zucken, weiß die Bürokratie gar das Todesdatum zu nennen, den 14. Januar 2006.
Wer einen derartigen Schock zu überwinden hat, ist für sämtliche Zumutungen des Alltags gewappnet. Kapielski nimmt sich in "Mischwald" alle Freiheiten, seine Wiedergeburt zu feiern und das sinnliche Gewirr der Gegenwart zu ertasten. So erleben wir den "armen Mann von Charlottenburg", wie er den Fabrikverkauf der Firma Hiltl besucht, mit dem Islamwissenschaftler Günter Lüling korrespondiert, von seiner Wohnung aus Alfred Döblins Tischtennisplatte im Wandel der Jahreszeiten bewundert und das Sonderangebot dänischer Butter auf den Karikaturenstreit bezieht.
Kapielskis von Fotografien und zahllosen Klammereinschüben durchsetzte Prosa mischt Ernst und Komik auf eine kluge Weise, die mit dem quälenden, den Buchmarkt derzeit überschwemmenden, Comedy-Getue nichts am Hut hat. Mühelos changiert der engagierte Biertrinker zwischen Betrachtungen über den gegenwärtigen Kunstbetrieb, wo das "hehre hermeneutische Gelaber der Experten" offenkundigen "Quatsch" zum "Sakrosankten" erkläre, zufälligen Lektüreeindrücken und unaufdringlichen Hinweisen auf vergessene Literaten wie den Ruhrgebietspoeten Bernhard Koltermann.
In seinem Beobachtungs- und Meinungsreichtum erinnert Kapielskis Rundumschlag an die Tagebücher Walter Kempowskis. Hier wie dort werden wenig Rücksichten genommen, hier wie dort sehen wir die Schreiber als selbstbewusste Außenseiter – eine Position, von der aus sich die marktgängigen (Vor-)Urteile trefflich sezieren lassen. In einer solchen Schlag-auf-Schlag-Prosa tun Ruhepausen Not, die der freundliche Autor gern gewährt – etwa auf den Seiten 245 bis 252, die rein ungarisch gehalten sind und allen mit dem Finno-Ugrischen nicht Vertrauten die Chance gibt, entspannt die Schönheit unbekannter Sprachzeichen zu bestaunen.
Derart erholt, findet man rasch wieder Kraft, in die Geheimnisse der Kapielski'schen Logik einzudringen. "Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein" – dieser Lehrsatz nötigt einen kundigen Kapielski-Leser dazu, einen unkundigen Feuilletonredakteur auf die Sprünge zu helfen, und lässt den glücklichen "Mischwald"-Leser umgehend zum Kühlschrank eilen. In Kapielski-Büchern blättern mit einer Flasche Charlottenburger Engelhardt Pilsener in der Hand – das muss es sein, was Elke Heidenreich meint, wenn sie vom Glück des Lesens spricht.
Rezensiert von Rainer Moritz
Thomas Kapielski: Mischwald
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
348 Seiten, 14,00 EUR
Wer einen derartigen Schock zu überwinden hat, ist für sämtliche Zumutungen des Alltags gewappnet. Kapielski nimmt sich in "Mischwald" alle Freiheiten, seine Wiedergeburt zu feiern und das sinnliche Gewirr der Gegenwart zu ertasten. So erleben wir den "armen Mann von Charlottenburg", wie er den Fabrikverkauf der Firma Hiltl besucht, mit dem Islamwissenschaftler Günter Lüling korrespondiert, von seiner Wohnung aus Alfred Döblins Tischtennisplatte im Wandel der Jahreszeiten bewundert und das Sonderangebot dänischer Butter auf den Karikaturenstreit bezieht.
Kapielskis von Fotografien und zahllosen Klammereinschüben durchsetzte Prosa mischt Ernst und Komik auf eine kluge Weise, die mit dem quälenden, den Buchmarkt derzeit überschwemmenden, Comedy-Getue nichts am Hut hat. Mühelos changiert der engagierte Biertrinker zwischen Betrachtungen über den gegenwärtigen Kunstbetrieb, wo das "hehre hermeneutische Gelaber der Experten" offenkundigen "Quatsch" zum "Sakrosankten" erkläre, zufälligen Lektüreeindrücken und unaufdringlichen Hinweisen auf vergessene Literaten wie den Ruhrgebietspoeten Bernhard Koltermann.
In seinem Beobachtungs- und Meinungsreichtum erinnert Kapielskis Rundumschlag an die Tagebücher Walter Kempowskis. Hier wie dort werden wenig Rücksichten genommen, hier wie dort sehen wir die Schreiber als selbstbewusste Außenseiter – eine Position, von der aus sich die marktgängigen (Vor-)Urteile trefflich sezieren lassen. In einer solchen Schlag-auf-Schlag-Prosa tun Ruhepausen Not, die der freundliche Autor gern gewährt – etwa auf den Seiten 245 bis 252, die rein ungarisch gehalten sind und allen mit dem Finno-Ugrischen nicht Vertrauten die Chance gibt, entspannt die Schönheit unbekannter Sprachzeichen zu bestaunen.
Derart erholt, findet man rasch wieder Kraft, in die Geheimnisse der Kapielski'schen Logik einzudringen. "Ein Tag ohne Bier ist wie ein Tag ohne Wein" – dieser Lehrsatz nötigt einen kundigen Kapielski-Leser dazu, einen unkundigen Feuilletonredakteur auf die Sprünge zu helfen, und lässt den glücklichen "Mischwald"-Leser umgehend zum Kühlschrank eilen. In Kapielski-Büchern blättern mit einer Flasche Charlottenburger Engelhardt Pilsener in der Hand – das muss es sein, was Elke Heidenreich meint, wenn sie vom Glück des Lesens spricht.
Rezensiert von Rainer Moritz
Thomas Kapielski: Mischwald
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
348 Seiten, 14,00 EUR