Totalkunst
Timm Ulrich ist Künstler und unterrichtet an der Kunstakademie Münster Totalkunst, das heißt Theater und Soziologie, Literatur und Naturwissenschaften. Für seine Studenten, deren Skulpturen, Fotografien, Installationen und Bilder er in der Kunsthalle Recklinghausen ausstellt, hat er einen "Timm und Struppi"-Preis gestiftet.
So oft zitiert, so abgedroschen: "Am Anfang war das Wort." Ein Satz, den Timm Ulrichs, der Total- und Lebenskünstler, nicht auf die Goldwaage legt, sondern bedächtig durchkaut. Dann endlich und als erster erkennt: Am Anfang war das Wort – "am". Mit solch schlagenden Sätzen, mit ein- und heimleuchtenden Wortspielen war der Architekturstudent zum Künstlerautodidakten geworden, als er 1972 eine Berufung an die Kunstakademie in Münster erhielt.
Timm Ulrichs: " Ich habe angefangen zur Zeit des Informel, als jeder Lehrer sein Inneres nach außen gekehrt hat. Als ich dann selber mich in der Öffentlichkeit gezeigt habe, war das mit konkreter Poesie – die war schnell gemacht. Auf der Schreibmaschine, das kostete kein Geld. Und dann kam Pop Art, Op Art, da habe ich auch viele Moden erlebt, auch an den Akademien erlebt – aber auch überstanden."
Nicht einmal im bunten Schwall der Postmoderne ist Ulrichs untergegangen, weil er – statt sich Stilrichtungen zu unterwerfen - die Dinge beim Wort und sich selber ernst nahm. Natürlich mit jener gehörigen Selbstironie, die immer im Spiel ist, wenn der schlaksige Pfiffikus eine Zielscheibe präsentiert, die direkt über seinem Herzen tätowiert ist oder auch die eigenhändige Signatur auf des Künstlers Bizeps. Ulrichs braucht nur einmal das Hemd lüpfen, und schon ist sein Lebensweg markiert: von der Ich-Kunst über die Kopf-Kunst zur Körper-Kunst. Die Materialisierung einer Idee, keine dekorative Illustration.
Timm Ulrichs: " Ich habe nie behauptet, dass ich ein großer Künstler bin, ich habe immer behauptet: Ich bin ein guter Erfinder und ein guter Assoziierer, also ich kann gut die Dinge miteinander verknüpfen. Ich bin kein tiefer Denker, sondern ein flacher Denker – aber da kann ich die Netze weit auswerfen. Also im Watt, noch nicht im tiefen Wasser, aber da sehr beweglich."
Beweglich bedeutet in diesem Fall das Gegenteil kommerzieller Betriebsamkeit. Denn Timm Ulrichs agiert wie der märchenhafte Hans im Glück, der seinen Goldklumpen, also ganz profan die solide Grundfinanzierung durch eine Professur, fortwährend verwandelt. Selten lukrativ, aber immer mit geistigem Gewinn – und dem Hang zum befreienden Stilbruch:
" Mich nerven die Künstler, die über Jahre dasselbe machen. Die werden zwar vom Kunstmarkt hofiert, weil sie sich selber treu bleiben. Aber nur sture Typen bleiben sich treu – weil ihnen nichts anderes einfällt."
Also kein sentimental journey zu den guten, alten Sachen, sondern der Kreuz- und Querzug durch 33 Jahre akademische Lehre, bei der die Funken sprühten, immer nach Ulrichs kalauerndem Wappenspruch "L’éclat c’est moi!" Und die mentale Statur eines Sonnenkönigs braucht es wohl, um Totalkunst zu unterrichten, also Theater und Soziologie, Literatur und Naturwissenschaften. Doch Ulrichs wiegelt ab: Es reicht, wenn man sich als Professor nur nicht auf den eigenen, großen Namen – fast hätten wir gesagt: den eigenen Nabel, konzentriert:
" Die berühmtesten Lehrer sind die unbekanntesten Künstler, und die berühmtesten Künstler sind schlechte Lehrer. Ruthenbeck zum Beispiel hat mit seinen Studenten nie eine Ausstellung gemacht. Weil er zeigen wollte, dass er ein Schwergewicht ist – und das eben nur Fliegengewichte. Während ich 42 Ausstellungen mit den Studenten veranstaltet habe, das sind so viel Ausstellungen wie alle anderen elf Kollegen zusammen nicht erreicht haben."
Auch dieser Köder war nicht immer attraktiv genug, denn Münster ist nun einmal nicht – in dieser derzeit aktuellen Reihenfolge – Leipzig, Berlin-Mitte oder New York. Aber manch einem reichte es dennoch für eine Karriere:
" Manche waren ja nur eine kurze Zeit da, Gregor Schneider drei, vier Semester. Der hat sich dann wieder in seinen Bunker, in sein Maulwurfsdasein zurückgezogen, aus dem mal kurzfristig ausgeschwärmt war. Aber vielleicht hat er trotzdem Impulse bekommen. "
Immerhin 280 Studenten führt der Katalog, genauer: das "Bestimmungsbuch der Klasse Timm Ulrichs" auf – und von einigen der fast schon vergilbten Passfotos schauen nicht nur Ferdinand Ullrich, dem einstigen Studenten und heutigen Museumsdirektor in Recklinghausen, bekannte Gesichter an:
Ferdinand Ullrich: " Es hat ja auch etliche gegeben, die einen gewissen Erfolg hatten: Ludger Gerdes, Gregor Schneider, Michael Witlatschil. Viele haben auch schon selbst eine Professenstelle an Akademien, Ursula Neugebauer zum Beispiel in Berlin an der Universität der Künste. Ich glaube, dass es eine Qualität ist, die mehr in die Tiefe geht und nicht so sehr den Markt bedient."
Stattdessen stiftete der Professor Ulrichs 10 Jahre nach Amtsantritt für seine Studenten einen "Timm und Struppi-Preis", und der war folgendermaßen dotiert:
Timm Ulrichs: " Ein "Timm und Struppi-Band", weil die so liebevoll gezeichnet sind à la Magritte. Im Grunde ist es dieser belgische Ligne-claire-Stil von Magritte, den ich natürlich besonders verehre. Das sieht man ja schon an den Hüten von Schulz und Schulz, diesen Detektiven. Dann habe ich einen Geldbetrag dazu gegeben, 500 Mark. Bei 23 Jahren sind das 12.500 Mark. Das ist ein Batzen Geld, oder?"
Ulrichs, bis zur letzten Minute tatkräftig am Aufbau beteiligt, spricht zum Abschied von einer Wimmel-Ausstellung, einer durchaus etwas konfusen "Petersburger Hängung". Aber ein sardonisches Lächeln verrät, das dieser anarchische Geist seinem einzigen ehernen Grundsatz gefolgt ist, der nun listig verborgen in diesem Labyrinth der Künste ruht:
Timm Ulrichs: " Lockerheit oder auch der Witz, der Humor oder Ironie, die Leichtigkeit des Geistes, die ja von der Schwere des Daseins durchaus weiß, aber diese Schwere ja nicht mit Pathos vorträgt. Schön, dass man diese Leichtigkeit des darüber Sprechens und des darüber Bildens oder davon Sagens in der Ausstellung doch bei einer ganzen Menge bemerkt."
Service:
Die Ausstellung "mit offenem Ende" von Timm Ulrichs und seiner Klasse an der Kunstakademie Münster, zu der das Katalogbuch "Wer war das?" mit dem Verzeichnis aller Timm-Ulrichs-Schüler erscheint, ist in der Kunsthalle Recklinghausen vom 24. Juli bis 11. September 2005 zu sehen.
Timm Ulrichs: " Ich habe angefangen zur Zeit des Informel, als jeder Lehrer sein Inneres nach außen gekehrt hat. Als ich dann selber mich in der Öffentlichkeit gezeigt habe, war das mit konkreter Poesie – die war schnell gemacht. Auf der Schreibmaschine, das kostete kein Geld. Und dann kam Pop Art, Op Art, da habe ich auch viele Moden erlebt, auch an den Akademien erlebt – aber auch überstanden."
Nicht einmal im bunten Schwall der Postmoderne ist Ulrichs untergegangen, weil er – statt sich Stilrichtungen zu unterwerfen - die Dinge beim Wort und sich selber ernst nahm. Natürlich mit jener gehörigen Selbstironie, die immer im Spiel ist, wenn der schlaksige Pfiffikus eine Zielscheibe präsentiert, die direkt über seinem Herzen tätowiert ist oder auch die eigenhändige Signatur auf des Künstlers Bizeps. Ulrichs braucht nur einmal das Hemd lüpfen, und schon ist sein Lebensweg markiert: von der Ich-Kunst über die Kopf-Kunst zur Körper-Kunst. Die Materialisierung einer Idee, keine dekorative Illustration.
Timm Ulrichs: " Ich habe nie behauptet, dass ich ein großer Künstler bin, ich habe immer behauptet: Ich bin ein guter Erfinder und ein guter Assoziierer, also ich kann gut die Dinge miteinander verknüpfen. Ich bin kein tiefer Denker, sondern ein flacher Denker – aber da kann ich die Netze weit auswerfen. Also im Watt, noch nicht im tiefen Wasser, aber da sehr beweglich."
Beweglich bedeutet in diesem Fall das Gegenteil kommerzieller Betriebsamkeit. Denn Timm Ulrichs agiert wie der märchenhafte Hans im Glück, der seinen Goldklumpen, also ganz profan die solide Grundfinanzierung durch eine Professur, fortwährend verwandelt. Selten lukrativ, aber immer mit geistigem Gewinn – und dem Hang zum befreienden Stilbruch:
" Mich nerven die Künstler, die über Jahre dasselbe machen. Die werden zwar vom Kunstmarkt hofiert, weil sie sich selber treu bleiben. Aber nur sture Typen bleiben sich treu – weil ihnen nichts anderes einfällt."
Also kein sentimental journey zu den guten, alten Sachen, sondern der Kreuz- und Querzug durch 33 Jahre akademische Lehre, bei der die Funken sprühten, immer nach Ulrichs kalauerndem Wappenspruch "L’éclat c’est moi!" Und die mentale Statur eines Sonnenkönigs braucht es wohl, um Totalkunst zu unterrichten, also Theater und Soziologie, Literatur und Naturwissenschaften. Doch Ulrichs wiegelt ab: Es reicht, wenn man sich als Professor nur nicht auf den eigenen, großen Namen – fast hätten wir gesagt: den eigenen Nabel, konzentriert:
" Die berühmtesten Lehrer sind die unbekanntesten Künstler, und die berühmtesten Künstler sind schlechte Lehrer. Ruthenbeck zum Beispiel hat mit seinen Studenten nie eine Ausstellung gemacht. Weil er zeigen wollte, dass er ein Schwergewicht ist – und das eben nur Fliegengewichte. Während ich 42 Ausstellungen mit den Studenten veranstaltet habe, das sind so viel Ausstellungen wie alle anderen elf Kollegen zusammen nicht erreicht haben."
Auch dieser Köder war nicht immer attraktiv genug, denn Münster ist nun einmal nicht – in dieser derzeit aktuellen Reihenfolge – Leipzig, Berlin-Mitte oder New York. Aber manch einem reichte es dennoch für eine Karriere:
" Manche waren ja nur eine kurze Zeit da, Gregor Schneider drei, vier Semester. Der hat sich dann wieder in seinen Bunker, in sein Maulwurfsdasein zurückgezogen, aus dem mal kurzfristig ausgeschwärmt war. Aber vielleicht hat er trotzdem Impulse bekommen. "
Immerhin 280 Studenten führt der Katalog, genauer: das "Bestimmungsbuch der Klasse Timm Ulrichs" auf – und von einigen der fast schon vergilbten Passfotos schauen nicht nur Ferdinand Ullrich, dem einstigen Studenten und heutigen Museumsdirektor in Recklinghausen, bekannte Gesichter an:
Ferdinand Ullrich: " Es hat ja auch etliche gegeben, die einen gewissen Erfolg hatten: Ludger Gerdes, Gregor Schneider, Michael Witlatschil. Viele haben auch schon selbst eine Professenstelle an Akademien, Ursula Neugebauer zum Beispiel in Berlin an der Universität der Künste. Ich glaube, dass es eine Qualität ist, die mehr in die Tiefe geht und nicht so sehr den Markt bedient."
Stattdessen stiftete der Professor Ulrichs 10 Jahre nach Amtsantritt für seine Studenten einen "Timm und Struppi-Preis", und der war folgendermaßen dotiert:
Timm Ulrichs: " Ein "Timm und Struppi-Band", weil die so liebevoll gezeichnet sind à la Magritte. Im Grunde ist es dieser belgische Ligne-claire-Stil von Magritte, den ich natürlich besonders verehre. Das sieht man ja schon an den Hüten von Schulz und Schulz, diesen Detektiven. Dann habe ich einen Geldbetrag dazu gegeben, 500 Mark. Bei 23 Jahren sind das 12.500 Mark. Das ist ein Batzen Geld, oder?"
Ulrichs, bis zur letzten Minute tatkräftig am Aufbau beteiligt, spricht zum Abschied von einer Wimmel-Ausstellung, einer durchaus etwas konfusen "Petersburger Hängung". Aber ein sardonisches Lächeln verrät, das dieser anarchische Geist seinem einzigen ehernen Grundsatz gefolgt ist, der nun listig verborgen in diesem Labyrinth der Künste ruht:
Timm Ulrichs: " Lockerheit oder auch der Witz, der Humor oder Ironie, die Leichtigkeit des Geistes, die ja von der Schwere des Daseins durchaus weiß, aber diese Schwere ja nicht mit Pathos vorträgt. Schön, dass man diese Leichtigkeit des darüber Sprechens und des darüber Bildens oder davon Sagens in der Ausstellung doch bei einer ganzen Menge bemerkt."
Service:
Die Ausstellung "mit offenem Ende" von Timm Ulrichs und seiner Klasse an der Kunstakademie Münster, zu der das Katalogbuch "Wer war das?" mit dem Verzeichnis aller Timm-Ulrichs-Schüler erscheint, ist in der Kunsthalle Recklinghausen vom 24. Juli bis 11. September 2005 zu sehen.