Torwart-Fehler im Champions-League-Finale

Verarbeiten, abhaken, weitermachen

Torwart Loris Karius hebt beide Hände entschuldigend hoch.
Liverpool-Torwart Karius © imago
Jeannine Ohlert im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.05.2018
Die Fehler von Torwart Loris Karius im Champions-League-Finale werden in die Fußball-Geschichte eingehen. Schlimmer kann es wohl niemanden treffen. Die Sportpsychologin Jeannine Ohlert über Strategien, den Worst Case zu verarbeiten.
Liane von Billerbeck: Die Einsamkeit des Torhüters, die ist oft beschrieben, aber nie war sie greifbarer als am Samstagabend in Kiew. Loris Karius, der Keeper von Liverpool, lag da allein auf dem Rasen und hätte sich wohl am liebsten tief in der Erde vergraben.
Zwei Riesenfehler ausgerechnet im Champions-League-Finale. Die 3:1-Niederlage gegen Real Madrid hat der deutsche Torwart in großen Teilen zu verantworten.
Die Niederlage ist das eine, doch wird der 24-Jährige diese Erfahrung je wieder aus dem Kopf bekommen, jetzt, wo er auch noch Morddrohungen erhalten hat, wo der englische Wikipedia-Artikel über ihn, den Torwart, zwischenzeitlich für tot erklärt hat. Jeannine Ohlert ist jetzt meine Gesprächspartnerin. Sie ist Sportpsychologin von der Deutschen Sporthochschule in Köln und betreut auch junge Torhüter. Schönen guten Morgen!
Jeannine Ohlert: Morgen!
von Billerbeck: Wie ist das, mit diesem Druck umgehen, wenn Sie da junge Keeper betreuen? Was würden Sie Loris Karius jetzt empfehlen?
Ohlert: Das ist natürlich erst mal der Worst Case, der passiert, für jeden Torhüter die absolute Katastrophe, und wahrscheinlich haben sämtliche Torhüter in Europa mitgelitten mit ihm.

Jeder Fehler führt zum Tor

Es ist extrem schwierig, aus so einer Situation wieder herauszukommen, vor allem, wenn man halt wirklich so im Rampenlicht steht. Man kennt das als Torhüter, das ist natürlich fatal, jeder Fehler führt letztendlich zu einem Tor, oder fast jeder Fehler führt zu einem Tor. Insofern braucht man da sowieso schon Strategien, um da gut mit umzugehen, sonst kommt man halt auch nicht da oben an.
Aber es ist natürlich extrem schwer. Was theoretisch passieren muss, ist eben wirklich dieses Verarbeiten, Abhaken, also auch aktiv wirklich noch mal durch das Spiel durchgehen, überlegen, was war da jetzt letztendlich los, welche Fehlleistungen von mir haben letztendlich den Fehler verursacht? War es fehlende Konzentration, oder wie auch immer? Und dann muss man eben gucken, dass man das gut abhakt und nach vorn guckt. Das sagt sich leicht, ist aber extrem schwer.
von Billerbeck: Das ist ja sozusagen die mittelfristige Strategie oder die langfristige. Was macht man denn akut? Erst mal gar nichts machen, keine Zeitung lesen, keine sozialen Netzwerke, am besten gleich zu Ihnen kommen?
Ohlert: Am besten ist es tatsächlich, wenn man das wirklich so macht, wie einem zumute ist, muss man tatsächlich sagen. Wenn man eher der Typ ist, der sich mit anderen Leuten austauscht, dann ist es wichtig, dass ich mir Leute um mich rum hole, die eben mir Unterstützung geben, die eben sagen, hey, pass auf, das Leben geht weiter und letztendlich ist es immer noch ein Mannschaftssport.
Vielleicht ist man aber auch der Typ, der sagt, okay, ich brauch jetzt erst mal Ruhe für mich selbst, ich möchte mich zurückziehen und möchte das erst mal allein verarbeiten. Oder man ist der Typ, der sagt, ich brauche jetzt direkt professionelle Hilfe.
Insofern kann man da irgendwie nicht sagen, das ist richtig, und das ist falsch. Wichtig ist, glaube ich, wirklich, dass man sich nicht zu lange da reinfallen lässt, also dass man tatsächlich guckt, dass es nicht zu lange dauert, bis man sich da Hilfe sucht, weil ansonsten zieht man immer mehr seine Schleifen und zieht sich dann selbst immer weiter runter. Und da muss man, glaube ich, frühzeitig gegenarbeiten.
von Billerbeck: Man kennt das ja von Menschen, die Traumatisierungen erlitten haben durch Gewalterlebnisse. Mit denen werden ja so Techniken trainiert, die Bilder im Kopf, die ja vermutlich auch dieser Torhüter jetzt pausenlos im Kopf hat und die ablaufen, dass man die Bilder wie bei einem Videorekorder stoppen kann, dass man drüberspringen kann, dass man zurückfährt, dass man sie schwarzweiß macht. Sind das so Techniken, mit denen man trainieren könnte, das Geschehene zu verarbeiten?
Ohlert: Ja, das ist auf jeden Fall eine Möglichkeit. Ich würde jetzt an der Stelle noch nicht über ein Trauma sprechen, das ist, glaube ich ...
von Billerbeck: Das sagen Sie so ...

Verarbeitung hängt davon ab, was für ein Typ man ist

Ohlert: Ich glaube, für Leute, die tatsächlich ein Trauma erlebt haben, ist das noch mal wirklich was anderes. Klar ging es um viel Geld, aber es war jetzt keine Bedrohung für Leib und Leben, wie das beim Trauma halt häufig der Fall ist.
von Billerbeck: Nun gibt es eine Morddrohung. Das ist natürlich noch eine andere Situation.
Ohlert: Das ist jetzt tatsächlich noch mal die andere Situation, was da jetzt hintendran kommt. Das ist vielleicht was, was noch massiver irgendwie sich auswirkt, wenn man das wirklich ernst nimmt. Aber die Techniken sind letztendlich an manchen Stellen tatsächlich die gleichen.
Es gibt natürlich verschiedene Möglichkeiten. Es kommt immer drauf an, was man für ein Typ ist. Man kann mit Bildern arbeiten, man kann auch mit einer Technik arbeiten, die heißt EMDR, wo es wirklich darum geht, quasi die Emotionen vom Geschehen so ein bisschen zu lösen. Das wird im Sport genauso wie in der Therapie eingesetzt. Es gibt also schon Möglichkeiten, sich da Hilfe zu holen, um das Ganze auf jeden Fall schneller zu verarbeiten.
von Billerbeck: Viele meinen ja schon, der wird nie wieder für Liverpool spielen. Wäre das besser so, ein kompletter Schnitt, oder ist das zu früh, so ein Satz? Würden Sie das nicht sagen?
Ohlert: Es kommt tatsächlich drauf an, wie der Verein damit umgeht. Das liegt gar nicht so sehr an ihm selbst, sondern das liegt am Umfeld. Und ich finde, klar waren es jetzt individuelle Fehler, aber gerade beim Tor von Bale muss man auch fragen, warum durfte der einfach schießen?
Das ist ja schon so. Wenn man mal überlegt, da stehen elf Mann auf dem Platz, und vorn, die Stürmer machen viel mehr Fehler in einem Spiel, wenn man sich das mal anschaut, als die Abwehrspieler und die Torhüter.
Ganz ehrlich, da interessiert sich kaum ein Mensch für, dass vielleicht an irgendeinem Ball vorbeigesprungen wurde, weil ein falscher Anlaufweg gewählt wurde oder so was. Ist letztendlich auch ein Fehler, der dann vielleicht nicht zu einem Tor führt.
FC Liverpools Trainer Jürgen Klopp
Jürgen Klopp: Alles richtig gemacht© Imago
Das ist für uns aber nicht so offensichtlich wie jetzt der Patzer von dem Torhüter. Und deswegen finde ich, macht es Klopp richtig, dass er halt sagt, ja, das war ein schlimmer Fehler, aber es ist ein junger Mann, und wir müssen gucken, dass wir halt auch hinter ihm stehen. Und ich denke, das ist das Wichtigste. Dann kann er eine Zukunft im Verein haben. Wenn er da keinen Rückhalt kriegt, dann ist es schwierig.
von Billerbeck: Also man hört ganz genau, dass die Sportpsychologin von der Sporthochschule Köln auch Fußballfan ist. Jeannine Ohlert war das, nach den Patzern von Torwart Karius im Champions-League-Finale am Samstag und den Morddrohungen gegen den Torhüter. Frau Ohlert, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Ohlert: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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