Tori Amos-Album "Ocean to Ocean"

Rausgeschrieben aus der Lockdown-Verzweiflung

06:06 Minuten
Tori Amos sitzt auf der Bühne im Madison Square Garden in New York am Keyboard. Sie hat hellrote Haare, trägt bunte Kleidung und eine hellgrüne Brille.
Offen für Veränderung: Tori Amos hat vor 30 Jahren das Klavier aufgewertet und auch auf anderen Gebieten den Wandel angestoßen. © picture alliance / ZUMAPRESS.com / Daniel DeSlover
Von Christoph Reimann · 29.10.2021
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Tori Amos debütierte in den 90ern mit Songs aus weiblicher Perspektive, wurde zur feministischen Ikone und erfand sich immer wieder neu. Ihre 15. Studio-LP ist ihr Corona-Album. Es kann sich hören lassen.
Natürlich hat die Pandemie auch bei den großen Namen der Popwelt Spuren hinterlassen. Bei Tori Amos war es der dritte Lockdown in England, der sie zum Verzweifeln brachte – und zu einem Entschluss: Rausschreiben wollte sich Tori Amos aus der mentalen Verfassung der Verzweiflung.

Zuneigung und Sehnsucht

Die Worte sind groß - und zum Glück fallen die Songs, die die Amerikanerin in ihrem englischen Zuhause geschrieben hat, eine Nummer kleiner aus. Sie erzählen weniger von blank liegenden Nerven als von Zuneigung und Sehnsucht. Zum Beispiel der Song "Swim To New York State".
"Es ist ein Liebeslied", erklärt Tori Amos. "Es geht um die Liebe für jemanden, der gegeben und gegeben und gegeben hat. Aber ich konnte das nicht sehen. Also, der Charakter in dem Song konnte das nicht sehen. Bis sich die Situation geändert hat. Man kann den Song auch als Liebesbrief an meinen Mann verstehen."

Langjährige musikalische Partner

Ihr Mann, Mark Hawley, durfte auch wieder Gitarre spielen auf dem Album. Weniger davon wäre wohl mehr gewesen, mehr Platz für Amos' Flügel und die anderen Tasteninstrumente.
Trotzdem: Tori Amos wird mit "Ocean To Ocean" viele alte Fans zurückgewinnen können. Auch weil langjährige musikalische Partner nach rund zehn Jahren Abwesenheit wieder auftauchen: der Drummer Matt Chamberlain und der Bassist Jon Evans. Gemeinsam entwickeln sie eine neue, unaufgeregte Eleganz. Ambitioniert, aber nicht überambitioniert. Das schaffen nur Musiker, die wissen, was sie können, es aber nicht nötig haben, zu prahlen.

Feministische Ikone

Tori Amos wurde in den 90ern zu einer feministischen Ikone, zu einer Zeit, als man sich damit nicht nur Freunde machte. Bei dieser Formulierung muss sie lachen, weil eher das Gegenteil der Fall war. Heute sind die größten Stars im Pop Frauen. Mit Feminismus kann man Geld verdienen.
Auch wenn vieles leichter geworden ist, spürt Tori Amos, 58 Jahre alt, eine Verbundenheit mit Musikerinnen wie Billie Eilish oder Lorde: "Natürlich bewundere ich sie. Weil sie die Arbeit machen, die sie machen wollen, weil sie sich so zeigen, wie sie sich zeigen wollen."

"Sei wie Wasser"

Gewiss gebe es auch bei ihren jungen Kolleginnen Leute, die aus ihnen Kapital schlagen wollten, sagt Tori Amos. "Die Herausforderung wird es sein, sich ein Umfeld zu schaffen, das sie unterstützt. Es gibt schon Ähnlichkeiten zwischen damals und heute."
Die Herausforderung, die Tori Amos mit "Ocean To Ocean" gemeistert hat, ist es, mit dem Album Nummer 15 wieder Songs zu schreiben, die mit dem Frühwerk mithalten können. Vielleicht hat sie den Rat von Bruce Lee tatsächlich verinnerlicht.
Im Song "Metal Water Wood" zitiert sie den berühmten Kung-Fu-Kämpfer. Der sagte: "Sei wie Wasser" – und meinte: Lass dich ein auf Veränderungen. Und vielleicht ist das der einzige Rat, den man in der Pandemie geben kann.
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