Tomaten im siebten Himmel

Von Udo Pollmer · 16.05.2010
Nun haben Forscher vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Holzkirchen das Rätsel gelöst, warum Tomatensaft im Flieger sich einer hohen Beliebtheit erfreut. Am frappierenden Ergebnis aus dem Fluglabor ist wohl nicht zu rütteln - oder etwa doch?
Ja, jetzt ist es quasi amtlich: Tomatensaft schmeckt erst ein paar Kilometer über dem Erdboden wirklich gut. Das liegt, so hat es das Fraunhofer Institut für Bauphysik gerade herausgefunden, am geringeren Luftdruck in der Kabine und der trockeneren Luft. Dadurch nimmt der Fluggast den Geschmack nicht mehr so recht wahr. Und das ist der Grund, warum die Lufthansa im Jahr 1,7 Millionen Liter Tomatensaft über den Wolken ausschenkt. Ehrlich gesagt, mir erscheint dieses Resultat doch ein wenig mager.

Wenn der Tomatensaft deshalb verspeist wird, weil man den Geschmack nicht mehr so recht wahrnimmt, dann ist da was faul. Wäre das tatsächlich so, könnte man den Fluggast auch mit Styropor abspeisen. Schmeckt auch nach nichts. Bisher dachten wir ja immer, der Mensch isst und trinkt, weil es ihm schmeckt. Also muss an der Tomate noch etwas anderes dran sein. Und da gibt es in der Tat eine Besonderheit: Die Tomate enthält viel Serotonin und Tryptamin. Das sind sogenannte biogene Amine, die auch im menschlichen Körper eine Rolle spielen. Serotonin ist ein Botenstoff, der entspannend wirkt. Allerdings wird er nach dem Verzehr recht schnell abgebaut.

Aber da ist noch etwas: Tryptamin und Serotonin reagieren mit den Methyltransferasen. Das sind Enzyme, die werden aus den Zellen freigesetzt, wenn man die Tomaten zermatscht. Das Resultat sind zwei höchst interessante Gesellen als Reaktionsprodukte. Der eine heißt DMT, oder auch Dimethyltryptamin und der andere Bufotenin. DMT und Bufotenin sind beides anerkannte Drogen oder Gifte, ganz wie Sie wollen. Diese Drogen, vergleichbar LSD oder Meskalin, sind bei uns vor allem als Krötengifte bekannt. DMT ist auch der Wirkstoff im Ayahuasca-Trunk, den die indigenen Völker in Südamerika als Rauschdroge verwenden.

Aber die Tomate, die kann noch viel mehr. Verfolgen wir ihre Spur in der Küche weiter, schließlich wird Tomatenmark nicht etwa kurz aufgekocht, nein man lässt es lange simmern. Genau da kommt es zu einer weiteren Reaktion: Es bildet sich die nächste Gruppe von Wirkstoffen, die unser Seelenleben beeinflussen. Es sind die sogenannten ß-Carboline. Sie entstehen ebenfalls aus Serotonin und Tryptamin, also den beiden Stoffen mit dem die Tomate so reichlich gesegnet ist. Der Reaktionspartner ist diesmal ein Stoff namens Acetaldehyd. Der ist vor allem in süditalienischem Tomatenmark enthalten. Und diese ß-Carboline stoppen den Abbau von DMT und Bufotenin in unserem Körper.

Noch höher sind die Gehalte an Serotonin und Tryptamin - Sie ahnen es wohl schon - im Ketchup. Er wäre ideal zur Bildung von DMT und Bufotenin. Außerdem kommt bei der Herstellung von Ketchup reichlich Essig rein, dabei bringt die Tomate selbst genug Säure mit. Aber der Essig enthält Acetaldehyd und das gibt mehr ß-Carboline. Und dadurch wirken das DMT und das Bufotenin länger. Wer will, der kann bei seiner Menüplanung die Wirkung nochmals verbessern: Er braucht dazu nur ß-Carbolin-reiche Produkte anzubieten: Wie wär’s mit Bratwurst oder mit Pommes?

Und was ist mit dem vielen Zucker, der in Ketchup enthalten ist? Hat er etwa keine Wirkung? Doch, natürlich. Er dämpft den sauren Geschmack des Essigs. Aber zur Wirkung trägt er diesmal kaum bei. Denn ginge es um den Zucker, dann würden die Kinder statt Ketchup Vanillesoße oder Himbeersirup über ihre Pommes kippen. Aber nein, sie wollen alle Ketchup.

Ich gebe ja gerne zu, das Ganze klingt etwas weit hergeholt. Wie steht es denn um die analytischen Beweise? Nun: In den menschlichen Ausscheidungen sind reichlich ß-Carboline drin und auch erstaunlich viel Bufotenin – obwohl keiner von uns gerne eine Kröte schluckt. Essen ist Genuss. Und erst die gute Küche kitzelt die Lebensfreude aus der Nahrung. Mahlzeit!


Literatur:
Eitner J: Rätsel um Tomatensaft im Flugzeug gelöst. Pressemeldung des Fraunhofer-Instituts vom 15. Feb. 2010
Pollmer U et al: Psychotrope Stoffe im Essen. EU.L.E.n-Spiegel 2008(6)-2009(1): 3-46
Tsuchiya H et al: Urinary excretion of tetrahydro-ß-carbolines influenced by food and beverage ingestion implies their exogenous supply vian dietary sources. Nutritional Biochemistry 1996; 7: 237-242
Kärkkäinen J et al: Potentially hallucinogenic 5-hydroxytryptamine receptor ligands bufotenine and dimethyltryptamine in blood and tissues. Scandinavian Journal of Clinical and Laboratory Investigation 2005; 65: 189-199