Tomaten aus der Retorte

Die technischen Wunderwerke bei der Herstellung von Convenience-Produkten werden immer perfekter. Bei vielen Tomatensuppen müssten viele Verbraucher eigentlich an ihrem Verstand zweifeln: Sie schütten eine Tüte mit krümeligem Pulver in einen Topf mit Wasser und vor ihren Augen entsteht richtiges "Fruchtfleisch".
Wieso nimmt man da nicht getrocknete Tomatenstückchen? Das würde keine typische Tomatensuppe mit Fruchtfleischcharakter ergeben. Wenn man getrocknete Tomaten mit heißem Wasser übergießt, werden sie außen schmierig und bleiben innen hart. Also völlig ungenießbar. Deshalb wird das "Fruchtfleisch", die Pulpe, eigens für Suppen mit Hausmachercharakter" gefertigt. Dank deutschem Erfindergeist gelang einem Fertigsuppenhersteller der "Tomaten-Verbund-Stärkeschwamm".

Der "Tomaten-Verbund-Stärkeschwamm" ist kein Verbundwerkstoff, sondern ein Kunstwerk aus Tomatenmark, Wasser, Kartoffelstärke und Zitronensäure. Die vier Komponenten werden gemischt, erhitzt, dünn ausgewalzt, tief gefroren, zerbröselt und getrocknet. Ein namhafter Schweizer Wettbewerber hat die Methode verbilligt. Er gibt Tomatenpulver, Stärke, Mehl und Säure in einen Extruder und extrudiert die Masse bei etwa 100°C. Das Extrudat wird dann zerbröselt. In der Suppe quillt die Masse auf bis sie wie Tomatenpulpe aussieht. Den eingeweichten Materialien können, so die Markenartikler, "selbst Fachleute nicht leicht … von Speisen unterscheiden, die von der Hausfrau aus Tomaten hergestellt werden".

Muss ich denn auch beim Italiener mit einem deutsch-schweizerischen Verbund-Schwamm-Krümeln rechnen? Der taugt leider nicht fürs Restaurant. Da würden die Schwämmchen bei den langen Heißhaltezeiten allmählich zerfallen. Deshalb nimmt man statt der Kartoffelstärke die etwas teurere Erbsenstärke. Für Billigsuppen (zum Beispiel Altersheime, Krankenhäuser, Mensen) wählt man wieder eine andere Methode: Hier reicht der optische Eindruck einer markartigen Struktur und ein inhomogener Eindruck auf der Zunge aus. In diesem Falle genügen modifizierte Stärken wie Acetyliertes Distärkeadipat (E 1422) und Distärkephosphat (E 1412). Zwar sind die wiederum teurer als Erbsenstärke – aber damit kann man auch auf einen Teil des Tomatenpulvers verzichten.

Könnte man Tomatensuppen auch ohne Tomaten herstellen? Im Prinzip schon. Aber man nimmt schon allein wegen der Deklaration immer noch Tomaten, aber man kann sie mit Tomato-Stretchern erheblich verlängern. Diese Produkte sind, so ein Anbieter, "bezüglich Geschmack und Viskosität reiner Tomatenpaste vergleichbar". Sie haben "alles, was Sie für Ihre besten Tomatensoßen, Suppen und Entrees benötigen: intensiver Tomatengeschmack, herzhaftes Aroma und volles Mundgefühl."

Laut Anbieter besteht das Ganze natürlich aus "lauter natürlichen Zutaten". Aus diesem Grunde ziert Produkte, die mit einem Tomato-Stretcher gestreckt sind, ein "clean label" – eine unverdächtige Zutatenliste. Das "clean label" ist der Wunschtraum eines jeden Lebensmittelherstellers, ein Etikett, das durch Nutzung aller herstellungstechnischen und deklarationsrechtlichen Kniffe eine Zutatenliste präsentiert, die auch einen kritischen Kunden zu einem anerkennenden Nicken verleitet. In der Tat klingt die Zutatenliste eines Tomato-Stretchers wenig aufregend: Traubenzucker, Zitronensäure, Salz, Rote-Bete-Farbe, evtl. Stärke oder hydrolysiertes Pflanzenprotein.

Und für den Geschmack nehme ich dann Aromen? Die Kritik an den Aromen hat dazu geführt, dass man versucht durch technische Kunstgriffe Defizite auszugleichen. Dazu nimmt man ein Enzym, eine biotechnologisch gewonnene Alkoholdehydrogenase, und lässt sie aus Stoffen, die in der Tomate von Natur aus enthalten sind, Aromen erzeugen. Wenn das Tomatenpulver beim Trocknen erhitzt wird, geben die Enzyme ihren Geist auf. Alles was so an Tomate übrig bleibt ist das Etikett. Der Kunde hat die Tomaten, wenn schon nicht in der Suppe, so doch auf den Augen.

Literatur
Maizena: Mit kalten und heißen wässrigen Flüssigkeiten rekonstituierbares Lebensmitteltrockenprodukt und Verfahren zu seiner Herstellung. DE 3506 513
Nestec: Process for making powdery product by extrusion-expansion. WO 2004/008881
Unilever: Food products and processes therefore. WO 98/57553
CPC International: Process for producing dehydrated product reconstitutable with aqueous liquids. US 4717 578
Pollmer U., Niehaus M.: Food Design: Panschen erlaubt. Hirzel-Verlag, Stuttgart 2007