Tom Segev: Gaza-Blockade muss beendet werden
Der israelische Autor und Journalist Tom Segev fordert, dass der Gazastreifen wieder geöffnet wird. Die Situation dort sei "sehr schlimm". Zugleich kritisiert er das Desinteresse seiner Landsleute an der humanitären Situation in Gaza. Erst die zunehmende Isolierung Israels führe zu einem Nachdenken über die Blockadepolitik.
Christopher Ricke: Die Erstürmung der Gaza-Hilfsflotte mit neun Toten, die Diskussion über das Handeln Israels. Nun soll es Untersuchungskommissionen geben, allerdings keine internationalen, sondern eine israelisch-juristische und eine israelisch-militärische, zwei Gremien mit begrenztem Mandat. Es geht darum, die Seeblockade des Gaza-Streifens und den Einsatz gegen die Flotte mit internationalem Recht zu vergleichen.
In der Region leben viele Menschen, die ein Wunsch eint: der Wunsch nach Frieden. Und doch kommt man so schwer, oder auch gar nicht zueinander. Über das Handeln der israelischen Regierung und diesen Wunsch nach Frieden spreche ich jetzt mit Tom Segev. Der 65-jährige Buchautor, Journalist und Historiker beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem neuen Israel, das etwas jünger ist als er selbst. Guten Morgen, Herr Segev!
Tom Segev: Guten Morgen Ihnen auch!
Ricke: Teilen Sie denn an Ihrem Schreibtisch in Jerusalem auch die Wahrnehmung, dass Israel, wie es manche sagen, zunehmend in eine internationale Isolation treibt?
Segev: So scheint es, ja. Im Moment scheint es so und ich glaube aber, dass diese Frage weniger wichtig ist. Ich glaube auch, dass die juristischen Fragen weniger wichtig sind. Das wichtigste ist die Situation in Gaza, die ist sehr schlimm und hat überhaupt keine Berechtigung. Die israelische Blockade auf Gaza muss einfach weggemacht werden und Gaza muss wieder geöffnet werden. Das ist, glaube ich, die Hauptsache.
Wir diskutieren so viel über Israel, wie isoliert es ist und wie die Presse uns behandelt und wie die verschiedenen Regierungen dies oder jenes sagen, aber die Hauptsache kommt eigentlich gar nicht zur Sprache in Israel, und das ist wirklich die Situation in Gaza. Ich glaube, der Grund dafür ist erstens, dass die meisten Israelis sich eigentlich gar nicht dafür interessieren, was in Gaza vor sich geht.
Der zweite Grund ist vielleicht tiefer. Es ist heute leider so, dass die meisten Israelis nicht mehr glauben, dass es im Moment eine Möglichkeit gibt, Frieden zu schaffen. Im Ausland redet man immer noch von Frieden, aber in Israel glaubt man eigentlich nicht mehr, dass der Frieden möglich ist. Sie haben schon recht, wenn Sie in Ihrer Einleitung sagten, dass die meisten Israelis davon träumen. Es gibt auch Umfragen, die immer wieder zeigen, dass die meisten Israelis bereit sind, etwas herzugeben für einen Frieden mit den Palästinensern, aber sie glauben nicht mehr daran. Ich glaube, das ist ein richtiges Problem, was in den letzten Jahren erst aufgekommen ist.
Ricke: Herr Segev, ein Kollege von Ihnen, Moshe Zimmermann, sieht einen Schwarz-Weiß-Film, in dem viele Israelis leben, in einer Welt, in der nur Gut, also Israel, und Böse, also die Palästinenser, vorkommen, eine Blickweise, die die Möglichkeit verstellt zu erkennen, wie groß zum Beispiel das Elend im Gaza-Streifen ist. Gehen Sie bei dieser These mit?
Segev: Ja, das ist auch so eine Eigenschaft, die wir schon seit vielen Jahren haben. Die große Welt ist entweder für uns, oder gegen uns, und wir neigen immer nicht dazu, auch die Grauzonen zu sehen. Israel ist ein sehr launisches Land und wir leben immer entweder in Euphorie, oder in großer Angst, und ich glaube, vieles von unserer Geschichte lässt sich auch erklären dadurch, dass wir eben zwischen diesen beiden Extremen leben.
Ricke: Ist das etwas, was das gesamte israelische Volk angeht? Ist das etwas, was vielleicht die Intellektuellen anders sehen als die Arbeiter?
Segev: Ja, natürlich. Israel ist eine sehr tief gespaltene Gesellschaft. Sie finden in Israel alles. Ich glaube, dass im Moment die allgemeine Meinung herrscht, dass dieser Vorfall falsch gelaufen ist. Einige meinen, dass von vornherein es nicht notwendig war, dieses Boot überhaupt versuchen zu vermeiden, dass es nach Gaza kommt. Die anderen meinen nur, dass es militärisch ungelungen war. Das allgemeine Gefühl ist, dass die Regierung irgendwie hier falsch gehandelt hat, aber das stammt eben nicht wie gesagt davon, dass Israel plötzlich von einer großen Welle von Humanismus eingenommen ist, sondern eben einfach deshalb, weil die Welt heute offen ist und alle Israelis sehen, was man im Ausland über Israel sagt.
Das ist auch, glaube ich, sehr wichtig, was man im Ausland sagt, weil es ist ja so, dass alle Länder auf der Welt empfindlich sind und Menschenrechte in allen Ländern eigentlich nur zu verteidigen sind durch Druck von außerhalb. Deshalb ist es schon wichtig, dass Israelis wissen, dass sie viel mehr isoliert sind als früher.
Es gibt allerdings auch einen Punkt, der, glaube ich, in Europa von Interesse sein müsste, und das ist die Situation in der Türkei. Die Türkei platziert sich irgendwo zwischen Iran und Libyen und ich glaube, dass das auch ein Thema ist, was Sie in Europa besorgen müsste.
Ricke: Der israelische Buchautor, Journalist und Historiker Tom Segev. Vielen Dank, Herr Segev.
Segev: Danke Ihnen.
In der Region leben viele Menschen, die ein Wunsch eint: der Wunsch nach Frieden. Und doch kommt man so schwer, oder auch gar nicht zueinander. Über das Handeln der israelischen Regierung und diesen Wunsch nach Frieden spreche ich jetzt mit Tom Segev. Der 65-jährige Buchautor, Journalist und Historiker beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem neuen Israel, das etwas jünger ist als er selbst. Guten Morgen, Herr Segev!
Tom Segev: Guten Morgen Ihnen auch!
Ricke: Teilen Sie denn an Ihrem Schreibtisch in Jerusalem auch die Wahrnehmung, dass Israel, wie es manche sagen, zunehmend in eine internationale Isolation treibt?
Segev: So scheint es, ja. Im Moment scheint es so und ich glaube aber, dass diese Frage weniger wichtig ist. Ich glaube auch, dass die juristischen Fragen weniger wichtig sind. Das wichtigste ist die Situation in Gaza, die ist sehr schlimm und hat überhaupt keine Berechtigung. Die israelische Blockade auf Gaza muss einfach weggemacht werden und Gaza muss wieder geöffnet werden. Das ist, glaube ich, die Hauptsache.
Wir diskutieren so viel über Israel, wie isoliert es ist und wie die Presse uns behandelt und wie die verschiedenen Regierungen dies oder jenes sagen, aber die Hauptsache kommt eigentlich gar nicht zur Sprache in Israel, und das ist wirklich die Situation in Gaza. Ich glaube, der Grund dafür ist erstens, dass die meisten Israelis sich eigentlich gar nicht dafür interessieren, was in Gaza vor sich geht.
Der zweite Grund ist vielleicht tiefer. Es ist heute leider so, dass die meisten Israelis nicht mehr glauben, dass es im Moment eine Möglichkeit gibt, Frieden zu schaffen. Im Ausland redet man immer noch von Frieden, aber in Israel glaubt man eigentlich nicht mehr, dass der Frieden möglich ist. Sie haben schon recht, wenn Sie in Ihrer Einleitung sagten, dass die meisten Israelis davon träumen. Es gibt auch Umfragen, die immer wieder zeigen, dass die meisten Israelis bereit sind, etwas herzugeben für einen Frieden mit den Palästinensern, aber sie glauben nicht mehr daran. Ich glaube, das ist ein richtiges Problem, was in den letzten Jahren erst aufgekommen ist.
Ricke: Herr Segev, ein Kollege von Ihnen, Moshe Zimmermann, sieht einen Schwarz-Weiß-Film, in dem viele Israelis leben, in einer Welt, in der nur Gut, also Israel, und Böse, also die Palästinenser, vorkommen, eine Blickweise, die die Möglichkeit verstellt zu erkennen, wie groß zum Beispiel das Elend im Gaza-Streifen ist. Gehen Sie bei dieser These mit?
Segev: Ja, das ist auch so eine Eigenschaft, die wir schon seit vielen Jahren haben. Die große Welt ist entweder für uns, oder gegen uns, und wir neigen immer nicht dazu, auch die Grauzonen zu sehen. Israel ist ein sehr launisches Land und wir leben immer entweder in Euphorie, oder in großer Angst, und ich glaube, vieles von unserer Geschichte lässt sich auch erklären dadurch, dass wir eben zwischen diesen beiden Extremen leben.
Ricke: Ist das etwas, was das gesamte israelische Volk angeht? Ist das etwas, was vielleicht die Intellektuellen anders sehen als die Arbeiter?
Segev: Ja, natürlich. Israel ist eine sehr tief gespaltene Gesellschaft. Sie finden in Israel alles. Ich glaube, dass im Moment die allgemeine Meinung herrscht, dass dieser Vorfall falsch gelaufen ist. Einige meinen, dass von vornherein es nicht notwendig war, dieses Boot überhaupt versuchen zu vermeiden, dass es nach Gaza kommt. Die anderen meinen nur, dass es militärisch ungelungen war. Das allgemeine Gefühl ist, dass die Regierung irgendwie hier falsch gehandelt hat, aber das stammt eben nicht wie gesagt davon, dass Israel plötzlich von einer großen Welle von Humanismus eingenommen ist, sondern eben einfach deshalb, weil die Welt heute offen ist und alle Israelis sehen, was man im Ausland über Israel sagt.
Das ist auch, glaube ich, sehr wichtig, was man im Ausland sagt, weil es ist ja so, dass alle Länder auf der Welt empfindlich sind und Menschenrechte in allen Ländern eigentlich nur zu verteidigen sind durch Druck von außerhalb. Deshalb ist es schon wichtig, dass Israelis wissen, dass sie viel mehr isoliert sind als früher.
Es gibt allerdings auch einen Punkt, der, glaube ich, in Europa von Interesse sein müsste, und das ist die Situation in der Türkei. Die Türkei platziert sich irgendwo zwischen Iran und Libyen und ich glaube, dass das auch ein Thema ist, was Sie in Europa besorgen müsste.
Ricke: Der israelische Buchautor, Journalist und Historiker Tom Segev. Vielen Dank, Herr Segev.
Segev: Danke Ihnen.