Tom Koenigs fordert früheres Handeln beim Menschenrechtsschutz
Man müsse bei Menschenrechtsverletzungen nicht nur früh warnen, sondern auch früh aktiv werden, sagt der Grünen-Politiker Tom Königs. Es sei wichtig, Staaten zu unterstützen, die in einer Stresssituation seien, aber auch deren Zivilgesellschaft. Europa habe dies in Nordafrika falsch gemacht.
Jan-Christoph Kitzler: Die Menschenrechte sind ein hohes Gut, sie müssen geschützt werden. Das lässt sich leicht sagen in politischen Sonntagsreden, aber es gibt immer wieder Situationen, in denen sich dann zeigt, wie ernst es wirklich damit ist, zum Beispiel bei den Konflikten in Afrika oder in Syrien. Dann sind aber die Menschenrechte oftmals auf einmal doch nicht so wichtig, als dass jemand einschreitet zu ihrer Verteidigung, oder aber sie müssen herhalten als Argument für politische Interessen. Jeder Staat müsste eigentlich seine Bevölkerung vor Menschenrechtsverletzungen schützen, und wenn er das nicht kann oder will, dann müsste der Schutz von Außen kommen. Responsibility to Protect heißt dieses Konzept, und dazu gab es gestern eine Veranstaltung in Berlin auf Initiative der Grünen. Ich bin jetzt verbunden mit dem Grünen-Abgeordneten Tom Koenigs. Er sitzt dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages vor. Schönen guten Morgen!
Tom Koenigs: Guten Morgen!
Kitzler: Wenn dieses Konzept denn gelten würde, dann hätte es nicht nur einen Einsatz in Libyen gegeben, sondern dann müsste es auch längst internationale Truppen in Syrien geben oder in Somalia, nicht nur vor der Küste. Warum ist das nicht so?
Koenigs: Das Prinzip wird insofern falsch verstanden, als man immer dann nur den militärischen Einsatz versteht. Man hat ja bei Libyen gesehen, dass es eine ganze Menge von Maßnahmen gibt, die die internationale Gemeinschaft treffen kann, um lange, lange vor dem Ausbruch von einem Konflikt einzugreifen, und zwar mit diplomatischen Mitteln, mit Isolation. Wenn es jetzt gelingen würde, zum Beispiel Assad in Syrien systematisch zu isolieren, auch von den Nachbarn, dann wäre wahrscheinlich schon sehr viel eher damit zu rechnen, dass die Opposition nicht weiter gepeinigt wird.
Responsibility to Protect ist die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverbrechen. Den hat zuallererst der Staat, und in schwierigen Situationen, wenn der Staat geschwächt ist, oder wenn der Staat im Stress ist, muss es die Internationale Gemeinschaft zunächst diesem Staat anbieten, ihm zu helfen, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Und dann gibt es eine ganze Menge von Maßnahmen.
Kitzler: Aber die Erfahrungen zeigen doch, dass dieser Versuch der Einflussnahme von Außen oft nicht funktioniert. In Libyen hat Gaddafi denn auch Schläge gegen die eigene Zivilbevölkerung gemacht, in Syrien kümmert sich das Regime überhaupt nicht, stört sich da gar nicht daran, dass es Sanktionen gibt, das gleiche gilt im Iran.
Koenigs: Ja, funktioniert manchmal, hat sehr oft funktioniert. Die wenigsten Fälle von Responsibility to Protect und Aktionen der Internationalen Gemeinschaft sind ja in die Nachrichten so hereingekommen wie Libyen. Trotzdem gibt es auch Fälle, wo auch ein militärischer Einsatz schwere Konflikte verhindert hat, zum Beispiel in Mazedonien, das dieselbe Problematik wie die Nachbarländer hatte, Angst hatte, davon angesteckt zu werden, und eine Mission, auch eine militärische Mission der Vereinten Nationen hat das verhindern können. Also es gibt sehr wohl die positiven Beispiele.
Leider - und das ist auch ein Teil des Konzeptes - muss man auf einer Fall-zu-Fall-Basis arbeiten. Das Prinzip ist das eine, die Mittel zur Umsetzung ist das andere, und nicht immer wirkt die militärische Intervention - im Gegenteil. Die militärische Intervention ist die absolute Ausnahme und der seltenste Fall. Das können Sie an Syrien sehen. Eine militärische Intervention, die ist in Syrien vollkommen unmöglich bei einer relativ großen, relativ loyalen Armee und Mächten in der Umgebung, die das nicht nur nicht tolerieren würden, sondern den Konflikt auf eine Stufe eskalieren, die weit schlimmer ist als das, was jetzt passiert, so schlimm es auch sein mag.
Kitzler: Wo ist denn die Schwelle zum militärischen Eingreifen?
Koenigs: Es gibt keine Schwelle in dem Sinne, es ist ja in der entsprechenden Regelung der Vereinten Nationen gesagt, dass der Sicherheitsrat darüber entscheiden muss, und er muss da natürlich mit den Mehrheiten, die es im Sicherheitsrat gibt und ohne Veto der Vetomächte entscheiden. Und das ist auch sehr weise. Die Fall-zu-Fall-Basis verhindert, dass kategorisch gesagt wird, na, warten wir mal ab, was passiert, am Schluss wird militärisch eingegriffen, sondern dass man adäquate Mittel anwendet, die in der Region auch gehen. Und da ist ein ganz deutlicher Bezug auf die regionalen Kräfte, und bedauerlicherweise haben sich ja anders als in Libyen die regionalen Organisationen noch nicht von Assad abgewandt.
Kitzler: Sie haben gesagt, es gibt schon positive Beispiele für einen präventiven Schutz der Menschenrechte und haben auch Libyen angeführt, dass es doch eigentlich ganz gut funktioniert hat. Was hat da genau funktioniert?
Koenigs: Gaddafi hat angekündigt, dass er nach Bengasi zieht, dass er Haus für Haus nach Widerständlern forschen wird und dass die Straßen voller Blut sein werden, und er wird diese Küchenschaben - das war der Begriff übrigens, der selbe Begriff wie in Ruanda - diese Küchenschaben ausrotten. Das war seine Ankündigung, und die Truppen standen unmittelbar vor Bengasi. In dem Moment hat, nachdem alle anderen Mittel nicht funktioniert haben, die man ja versucht hat, einschließlich des Einschaltens des Internationalen Strafgerichtshofes, hat man autorisiert einen Militärschlag, um das zu verhindern. Und das ist verhindert worden. Ich möchte nicht wissen, was wir diskutieren würden, wenn es ein weiteres Sarajevo oder Srebrenica in Bengasi gegeben hätte. Deshalb, da hat das Prinzip funktioniert. Dass es im weiteren Verlauf auch Verstöße gegen den Schutz der Zivilbevölkerung gegeben hat, das ist bedauerlich, und das muss man genauso kritisieren.
Kitzler: Kann man für andere Konflikte lernen, dass man eigentlich viel früher anfangen muss, etwas für den Menschenrechtsschutz zu tun?
Koenigs: Das war gestern eines der Themen bei unserer Anhörung, dass man nicht nur früh warnen muss, sondern früh in Aktion treten, und die Staaten unterstützen, die in einer Stresssituation sind, dass sie die Bevölkerung schützen können, aber auch die Zivilgesellschaft in diesen Ländern stärker unterstützen. Das ist ja das, was Europa falsch gemacht hat in Nordafrika. Man hat immer auf die Diktatoren gesetzt und hat nicht gesehen, dass es eine aktive demokratische Zivilgesellschaft gibt, die etwas ganz anderes will. Da muss man ansetzen, da muss man rechtzeitig ansetzen. Und diese frühe Aktion, das frühe Eingreifen auf der zivilgesellschaftlichen politischen Ebene, das ist das eigentliche Prinzip.
Kitzler: Tom Koenigs, der Grünen-Politiker, frühere UN-Sonderbeauftragte und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im Bundestag. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!
Koenigs: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Tom Koenigs: Guten Morgen!
Kitzler: Wenn dieses Konzept denn gelten würde, dann hätte es nicht nur einen Einsatz in Libyen gegeben, sondern dann müsste es auch längst internationale Truppen in Syrien geben oder in Somalia, nicht nur vor der Küste. Warum ist das nicht so?
Koenigs: Das Prinzip wird insofern falsch verstanden, als man immer dann nur den militärischen Einsatz versteht. Man hat ja bei Libyen gesehen, dass es eine ganze Menge von Maßnahmen gibt, die die internationale Gemeinschaft treffen kann, um lange, lange vor dem Ausbruch von einem Konflikt einzugreifen, und zwar mit diplomatischen Mitteln, mit Isolation. Wenn es jetzt gelingen würde, zum Beispiel Assad in Syrien systematisch zu isolieren, auch von den Nachbarn, dann wäre wahrscheinlich schon sehr viel eher damit zu rechnen, dass die Opposition nicht weiter gepeinigt wird.
Responsibility to Protect ist die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung vor schweren Menschenrechtsverbrechen. Den hat zuallererst der Staat, und in schwierigen Situationen, wenn der Staat geschwächt ist, oder wenn der Staat im Stress ist, muss es die Internationale Gemeinschaft zunächst diesem Staat anbieten, ihm zu helfen, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Und dann gibt es eine ganze Menge von Maßnahmen.
Kitzler: Aber die Erfahrungen zeigen doch, dass dieser Versuch der Einflussnahme von Außen oft nicht funktioniert. In Libyen hat Gaddafi denn auch Schläge gegen die eigene Zivilbevölkerung gemacht, in Syrien kümmert sich das Regime überhaupt nicht, stört sich da gar nicht daran, dass es Sanktionen gibt, das gleiche gilt im Iran.
Koenigs: Ja, funktioniert manchmal, hat sehr oft funktioniert. Die wenigsten Fälle von Responsibility to Protect und Aktionen der Internationalen Gemeinschaft sind ja in die Nachrichten so hereingekommen wie Libyen. Trotzdem gibt es auch Fälle, wo auch ein militärischer Einsatz schwere Konflikte verhindert hat, zum Beispiel in Mazedonien, das dieselbe Problematik wie die Nachbarländer hatte, Angst hatte, davon angesteckt zu werden, und eine Mission, auch eine militärische Mission der Vereinten Nationen hat das verhindern können. Also es gibt sehr wohl die positiven Beispiele.
Leider - und das ist auch ein Teil des Konzeptes - muss man auf einer Fall-zu-Fall-Basis arbeiten. Das Prinzip ist das eine, die Mittel zur Umsetzung ist das andere, und nicht immer wirkt die militärische Intervention - im Gegenteil. Die militärische Intervention ist die absolute Ausnahme und der seltenste Fall. Das können Sie an Syrien sehen. Eine militärische Intervention, die ist in Syrien vollkommen unmöglich bei einer relativ großen, relativ loyalen Armee und Mächten in der Umgebung, die das nicht nur nicht tolerieren würden, sondern den Konflikt auf eine Stufe eskalieren, die weit schlimmer ist als das, was jetzt passiert, so schlimm es auch sein mag.
Kitzler: Wo ist denn die Schwelle zum militärischen Eingreifen?
Koenigs: Es gibt keine Schwelle in dem Sinne, es ist ja in der entsprechenden Regelung der Vereinten Nationen gesagt, dass der Sicherheitsrat darüber entscheiden muss, und er muss da natürlich mit den Mehrheiten, die es im Sicherheitsrat gibt und ohne Veto der Vetomächte entscheiden. Und das ist auch sehr weise. Die Fall-zu-Fall-Basis verhindert, dass kategorisch gesagt wird, na, warten wir mal ab, was passiert, am Schluss wird militärisch eingegriffen, sondern dass man adäquate Mittel anwendet, die in der Region auch gehen. Und da ist ein ganz deutlicher Bezug auf die regionalen Kräfte, und bedauerlicherweise haben sich ja anders als in Libyen die regionalen Organisationen noch nicht von Assad abgewandt.
Kitzler: Sie haben gesagt, es gibt schon positive Beispiele für einen präventiven Schutz der Menschenrechte und haben auch Libyen angeführt, dass es doch eigentlich ganz gut funktioniert hat. Was hat da genau funktioniert?
Koenigs: Gaddafi hat angekündigt, dass er nach Bengasi zieht, dass er Haus für Haus nach Widerständlern forschen wird und dass die Straßen voller Blut sein werden, und er wird diese Küchenschaben - das war der Begriff übrigens, der selbe Begriff wie in Ruanda - diese Küchenschaben ausrotten. Das war seine Ankündigung, und die Truppen standen unmittelbar vor Bengasi. In dem Moment hat, nachdem alle anderen Mittel nicht funktioniert haben, die man ja versucht hat, einschließlich des Einschaltens des Internationalen Strafgerichtshofes, hat man autorisiert einen Militärschlag, um das zu verhindern. Und das ist verhindert worden. Ich möchte nicht wissen, was wir diskutieren würden, wenn es ein weiteres Sarajevo oder Srebrenica in Bengasi gegeben hätte. Deshalb, da hat das Prinzip funktioniert. Dass es im weiteren Verlauf auch Verstöße gegen den Schutz der Zivilbevölkerung gegeben hat, das ist bedauerlich, und das muss man genauso kritisieren.
Kitzler: Kann man für andere Konflikte lernen, dass man eigentlich viel früher anfangen muss, etwas für den Menschenrechtsschutz zu tun?
Koenigs: Das war gestern eines der Themen bei unserer Anhörung, dass man nicht nur früh warnen muss, sondern früh in Aktion treten, und die Staaten unterstützen, die in einer Stresssituation sind, dass sie die Bevölkerung schützen können, aber auch die Zivilgesellschaft in diesen Ländern stärker unterstützen. Das ist ja das, was Europa falsch gemacht hat in Nordafrika. Man hat immer auf die Diktatoren gesetzt und hat nicht gesehen, dass es eine aktive demokratische Zivilgesellschaft gibt, die etwas ganz anderes will. Da muss man ansetzen, da muss man rechtzeitig ansetzen. Und diese frühe Aktion, das frühe Eingreifen auf der zivilgesellschaftlichen politischen Ebene, das ist das eigentliche Prinzip.
Kitzler: Tom Koenigs, der Grünen-Politiker, frühere UN-Sonderbeauftragte und Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im Bundestag. Haben Sie vielen Dank und einen schönen Tag!
Koenigs: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.