Tolstoi in Neuhardenberg

Von Gerd Brendel |
Der Regisseur Volker Schlöndorff bringt Leo Tolstois letztes Stück "Und das Licht scheint in der Finsternis" im Schlosspark Neuhardenberg auf die Bühne.
Als sich Leo Tolstoi mit über 80 entschließt ein neues Leben als Asket zu beginnen hinterlässt er in seinem Schreibtisch in Jasnaja Poljana nicht nur Abschiedsbriefe an seine Frau, sondern auch ein Drama – allerdings ohne Schlussakt: "Und das Licht scheint in der Finsternis".

Im Stück erlebt der Held Nicolay Iwanowitsch Tolstois Gewissensnöte und sucht stellvertretend für seinen Autor eine Antwort auf die Frage,

"die sich jeder irgendwann im Leben mal stellt: Isses nicht ungerecht, dass es mir so gut geht und anderen so schlecht und was könnte man tun, um das zu ändern."

Für Volker Schlöndorff steht diese Frage im Zentrum des Stücks. Fast ein Jahrhundert nach Tolstois Tod – und ein halbes Jahrhundert nach der letzten Aufführung in Deutschland – hat der Filmregisseur das Stück inszeniert. Ort der Premiere ist Schloss Neuhardenberg – eine Gutsanlage in Brandenburg, die fast so idyllisch liegt wie Tolstois Landsitz Jasnaja Poljana.

"Er spricht ununterbrochen von dem Park und den Wäldern, na ja und da sind wir mittendrin."

Mittendrin in einem Drama, dessen Entstehung Stefan Zweig in seiner Novellensammlung zu den "Sternstunden der Menschheit" zählt. Für den Filmemacher Schlöndorff ist das Stück vor allem eine "große Beichte".

"Wenn man das erste Mal liest, denkt man, es ist hier reines Ideendrama, Metaphysik auf der Bühne, und dann entdeckt man ganz schnell: Nein, es ist auch die Neurose einer Familie, die da dargestellt wird und die sich dazu in den Sommerferien auf einem Landhaus aufhält. Also braucht man eigentlich nur die Charaktere und die Bühne wird gegeben von der Umgebung vom Park."

Schlöndorff verlässt sich auf den Text des viel gelesenen, aber selten gespielten Autors, "damit Tolstoi überhaupt mal zu Wort kommt."

Und er vertraut auf seine Darsteller – allen voran Hans Michael Rehberg in der Rolle des Tolstoi-Alter-Egos Nikolai und Angela Winkler als Nikolais Frau. Die lange Probenzeit hat Schlöndorff als angenehmen Unterschied zur Filmarbeit erlebt.

"Das ist ein absoluter Luxus, dass wir seit vier Wochen proben, dass wir alle uns noch gut verstehen. Es gab mal ne Krise letzte Woche aber jetzt die wieder beigelegt."

Und die gemeinsame Zeit ist noch längst nicht vorbei: Nach den Aufführungen in Schloss Neuhardenberg zieht der deutsche Tolstoi-Clan auf Sinnsuche weiter nach Russland. Am historischen Ort im Park vor Tolstois Landhaus Jasnaja Poljana wird das Stück in einem Monat aufgeführt – als erstes Projekt der "Petersburger Dialoge", einem groß angelegten Kulturaustauschprogramm. Die Doppelpremiere in Neuhardenberg und Jasnaja Poljana ist also auch ein kulturpolitisches Ereignis, von dessen Erfolg viel abhängt. Schlöndorff auf jeden Fall glaubt daran, dass Tolstois Drama moderne Phänomene beschreibt – auch wenn der Regisseur auf Aktualisierungen verzichten will.

"Er wettert ja furchtbar gegen die Kirchenleute – egal ob das jetzt die Orthodoxen sind, der Vatikan oder die Mullahs, die die Wahrheit für sich gepachtet haben oder so tun. Auf jeden Fall, das ist nach wie vor sehr aktuell. Wie das ja jetzt auch in Russland geht: kein Putin ohne Popen – so wars schon unter dem Zaren. Selbst unsere große Regierungspartei nennt sich christlich. Wie das immer wieder instrumentalisiert wird und benutzt wird – dagegen lehnt er sich natürlich auf."

Ob der Funken in Neuhardenberg und Jasnaja Poljana auf das Publikum überspringt und die Zuschauer erkennen, wie viel Kritik an der Gegenwart im Stück steckt? Tolstoi wäre vermutlich der erste, den das überraschen würde: Nicht von ungefähr heißt sein Drama: "Und das Licht scheint in der Finsternis" – ein Zitat aus dem Prolog des Johannesevangeliums, das vollständig lautet: "Und die Finsternis hat es nicht erkannt."