Tolle Technik, traurige Ästhetik
Heute spreche ich einmal ganz privat über diesen gebührenfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Kanal. Ich nämlich habe mir unlängst einen neuen Computer geleistet, und als er ausgepackt war, stellte mein zwölfjähriger Sohn fest, dass er eine eingebaute Kamera, ein Mikrofon und ein kinderleicht bedienbares Aufzeichnungsprogramm besitzt.
Man hockt sich vor den Bildschirm, beobachtet sich selbst beim allmählichen Verfertigen der Worte und drückt, so das Ergebnis gefällt, den roten Startknopf. Wir, mein Sohn und ich, haben das ungefähr 2760 Mal getan ... und was soll ich sagen? Schmidt, Raab, Pocher, Krömer und wie die TV-Größen alle heißen, sind nichts gegen uns! Wir aber, wir haben den Dreh raus! Wir reden ohne Blatt vorm Mund – und ohne beschriebenes Blatt vor Augen – und produzieren dabei einen Gag nach dem anderen. Was heißt hier Gag? Sottisen, Apercus, Aphorismen, philosophisch angehauchte Schlaglichter aufs Weltgeschehen, die uns beim Anschauen in schwärmerische Begeisterung versetzen. Deswegen sagte mein zwölfjähriger Sohn irgendwann: "Morgen stellen wir das ins Internet!"
Da saß ich in der Falle. Ein ernstzunehmender Publizist hat nicht nur seine Webseite, me quoque, nein es gehört auch ein sogenannter Videoblog dazu, kleine, regelmäßig aufgefrischte Ansprachen ans Volk. Darin tut der demokratische Souverän – ichichich – seine Meinung über dies und das kund und folgt nur einer Regel: authentisch sein, bloß kein Schriftdeutsch sprechen, nichts ablesen! Wenn mittlerweile renommierte Zeitungsredaktionen ihre Edelfedern – Achtung: Edelfedern, nicht Edelzungen – an dieser audiovisuellen Front postieren, und selbst die Kanzlerin sich dafür nicht zu schade ist ... was soll man dann einem Zwölfjährigen entgegenhalten? Das macht man nicht? Das ist peinlich? Das unterminiert ästhetische und inhaltliche Errungenschaften, um die Generationen mit Selbstdisziplinierung, Kalauerentbehrung und Formulierungsschweiß gekämpft haben? "Papa", würde der Sohn sagen, "jetzt bist du peinlich!"
Also muss man die Einwände begründen. Vor langer Zeit gab es ein Enfant terrible der Geisteswissenschaften namens Marshall McLuhan. Sein Satz "the medium is the message" (das Medium ist die Botschaft) bestimmte den Tenor der ganzen jungen Medienwissenschaft, und wenn die heutigen Fachvertreter dies auch nicht mehr so simpel stehen lassen wollen, bleibt er dennoch fundamental wahr. Dass sich Vater und Sohn in der Selbstbespiegelung so toll finden können, geht nämlich aufs Medium zurück. Erstens verwandelt die datenkomprimierte Aufnahme alle Posen und Faxen vor der Kamera in technische Bilder, ruckelnd und grobkörnig, die fremd genug wirken, um sie für ein spaßkünstlerisches Produkt und damit für veröffentlichungswürdig zu halten. Fast alle Videoblogs, selbst wenn sie hoch ambitioniert mit mehreren Kameras aufgenommen und geschnitten werden, sind ästhetisch austauschbare Zwillinge dieser Art. Das "Maschinenprogramm", wie es der Medientheoretiker Vilém Flusser einst nannte, konfektioniert jeden Inhalt vor der Kamera aufs selbe Format, weswegen es auch blutigen Laien gelingt, binnen Minuten wie Videoblog-Veteranen zu wirken. Entgegengesetztes gilt allerdings auch: Ein Veteran sieht nach hundert Sitzungen nicht besser aus. Zweitens aber machte der Computer in unserem Fall etwas besonders Perfides, das der Verkünstlichung entgegenwirkte: Er filmte uns seitenverkehrt, wir blickten wie im Spiegel auf ein uns vertrautes Selbstbild. Hätten wir uns seitenrichtig betrachtet, wäre sofort die heilsame Entfremdung des bekannten Schocks eingetreten, sich so wahrzunehmen zu müssen, wie einen andere sehen.
Das Medium ist die Botschaft, sagte einst McLuhan, heute wissen wir es noch präziser: Das Medium formatiert den Inhalt. Über seine Grenzen hinaus kann niemand kommunizieren, und ob das, was man zu sagen meint, unverändert den gewählten Kanal passiert, hängt von der Bauart des Kanals ab. Darum muss man sich der Formatierung der eigenen Person durch die jeweils genutzten Medien energisch entgegenstemmen ... und wo die Chancen dafür gering ausfallen, lautet das Rezept: Enthaltsamkeit. Das mag schließlich sogar dem Zwölfjährigen einleuchten, wenn man ihn sanft an eine qualvolle Familienveranstaltung erinnert. Verwandte hatten eine Bergtour absolviert und zum Diavortrag geladen, in zeitgenössischer Variante freilich: Ein Beamer warf verzerrte Bilder aus der Handykamera an die Wand, und das große Rätselraten begann, was diese armseligen Pixelgrafiken wohl im Detail zeigten? Nur die Handyfotografen selbst entdeckten prachtvolle Bergpanoramen im digitalen Rauschen; der Rest mühte sich angestrengt, die Freundlichkeit zu wahren. Denn was ist das Peinlichste von allem, lieber Sohn? Wenn man die eigene Peinlichkeit nicht mehr bemerkt. Kein Videoauftritt im Internet, jetzt und nimmerdar.
Florian Felix Weyh, Schriftsteller, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein neues Buch "Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie" erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.
Da saß ich in der Falle. Ein ernstzunehmender Publizist hat nicht nur seine Webseite, me quoque, nein es gehört auch ein sogenannter Videoblog dazu, kleine, regelmäßig aufgefrischte Ansprachen ans Volk. Darin tut der demokratische Souverän – ichichich – seine Meinung über dies und das kund und folgt nur einer Regel: authentisch sein, bloß kein Schriftdeutsch sprechen, nichts ablesen! Wenn mittlerweile renommierte Zeitungsredaktionen ihre Edelfedern – Achtung: Edelfedern, nicht Edelzungen – an dieser audiovisuellen Front postieren, und selbst die Kanzlerin sich dafür nicht zu schade ist ... was soll man dann einem Zwölfjährigen entgegenhalten? Das macht man nicht? Das ist peinlich? Das unterminiert ästhetische und inhaltliche Errungenschaften, um die Generationen mit Selbstdisziplinierung, Kalauerentbehrung und Formulierungsschweiß gekämpft haben? "Papa", würde der Sohn sagen, "jetzt bist du peinlich!"
Also muss man die Einwände begründen. Vor langer Zeit gab es ein Enfant terrible der Geisteswissenschaften namens Marshall McLuhan. Sein Satz "the medium is the message" (das Medium ist die Botschaft) bestimmte den Tenor der ganzen jungen Medienwissenschaft, und wenn die heutigen Fachvertreter dies auch nicht mehr so simpel stehen lassen wollen, bleibt er dennoch fundamental wahr. Dass sich Vater und Sohn in der Selbstbespiegelung so toll finden können, geht nämlich aufs Medium zurück. Erstens verwandelt die datenkomprimierte Aufnahme alle Posen und Faxen vor der Kamera in technische Bilder, ruckelnd und grobkörnig, die fremd genug wirken, um sie für ein spaßkünstlerisches Produkt und damit für veröffentlichungswürdig zu halten. Fast alle Videoblogs, selbst wenn sie hoch ambitioniert mit mehreren Kameras aufgenommen und geschnitten werden, sind ästhetisch austauschbare Zwillinge dieser Art. Das "Maschinenprogramm", wie es der Medientheoretiker Vilém Flusser einst nannte, konfektioniert jeden Inhalt vor der Kamera aufs selbe Format, weswegen es auch blutigen Laien gelingt, binnen Minuten wie Videoblog-Veteranen zu wirken. Entgegengesetztes gilt allerdings auch: Ein Veteran sieht nach hundert Sitzungen nicht besser aus. Zweitens aber machte der Computer in unserem Fall etwas besonders Perfides, das der Verkünstlichung entgegenwirkte: Er filmte uns seitenverkehrt, wir blickten wie im Spiegel auf ein uns vertrautes Selbstbild. Hätten wir uns seitenrichtig betrachtet, wäre sofort die heilsame Entfremdung des bekannten Schocks eingetreten, sich so wahrzunehmen zu müssen, wie einen andere sehen.
Das Medium ist die Botschaft, sagte einst McLuhan, heute wissen wir es noch präziser: Das Medium formatiert den Inhalt. Über seine Grenzen hinaus kann niemand kommunizieren, und ob das, was man zu sagen meint, unverändert den gewählten Kanal passiert, hängt von der Bauart des Kanals ab. Darum muss man sich der Formatierung der eigenen Person durch die jeweils genutzten Medien energisch entgegenstemmen ... und wo die Chancen dafür gering ausfallen, lautet das Rezept: Enthaltsamkeit. Das mag schließlich sogar dem Zwölfjährigen einleuchten, wenn man ihn sanft an eine qualvolle Familienveranstaltung erinnert. Verwandte hatten eine Bergtour absolviert und zum Diavortrag geladen, in zeitgenössischer Variante freilich: Ein Beamer warf verzerrte Bilder aus der Handykamera an die Wand, und das große Rätselraten begann, was diese armseligen Pixelgrafiken wohl im Detail zeigten? Nur die Handyfotografen selbst entdeckten prachtvolle Bergpanoramen im digitalen Rauschen; der Rest mühte sich angestrengt, die Freundlichkeit zu wahren. Denn was ist das Peinlichste von allem, lieber Sohn? Wenn man die eigene Peinlichkeit nicht mehr bemerkt. Kein Videoauftritt im Internet, jetzt und nimmerdar.
Florian Felix Weyh, Schriftsteller, geboren 1963, lebt als Autor und Publizist in Berlin. Preise und Stipendien für Drama, Prosa und Essay; seit 1988 arbeitet er regelmäßig als Literaturkritiker für den Deutschlandfunk. Sein neues Buch "Die letzte Wahl – Therapien für die leidende Demokratie" erschien im August 2007 in der Anderen Bibliothek. Verstreute Texte und weitere Informationen zur Person sind auf www.weyh.info zu finden.

Florian Felix Weyh© Katharina Meinel