Toleranz und Respekt für andere Kulturen

Von Ayala Goldmann · 09.12.2011
Mehr als 50 Jahre nach seiner Veröffentlichung ist "Zimmer frei im Haus der Tiere" endlich auch auf Deutsch erschienen. Das Buch von Leah Goldberg ist eine bis heute aktuelle Aufforderung zu Toleranz und Gelassenheit - und ein großes Lesevergnügen.
Bereits 1959 hatte Leah Goldberg, eine der bekanntesten israelischen Dichterinnen, das Buch geschrieben. Die Übersetzung ins Deutsche ist auch ein Weg zurück zu den Wurzeln der Dichterin und Sprachwissenschaftlerin, die vor gut 100 Jahren in Königsberg geboren wurde, in Berlin über semitische Sprachen promovierte und 1935 vor den Nazis nach Palästina floh.

"Be-Emek Jfe Bein Kramim We Sadot - Omed Migdal Ben Chamesch Komot" / "Zwischen Tälern und Bergen am Horizont - da steht ein Turm. Wer da wohl wohnt?"

Es gibt wohl kaum ein Kind in Israel, das diese Worte noch nie gehört hat. So beginnt das Buch "Dira Lehaskir", auf Deutsch "Zimmer frei im Haus der Tiere". Die Handlung ist denkbar einfach: Ein Huhn, ein Kuckuck, eine Katze und ein Eichhörnchen leben zusammen in einem Turm mit fünf Stockwerken. Das oberste Stockwerk ist unbewohnt. Die vier Tiere beschließen, einen neuen Mieter zu suchen. Mehrere Tiere, eine Ameise, eine Häsin und ein Schwein, kommen zur Besichtigung und loben die Wohnung, doch immer finden sie an den Bewohnern etwas auszusetzen.

"Es sind die Nachbarn", die Ameise spricht. / "Die Nachbarn hier gefallen mir nicht. / Ich bin ja sonst nicht zimperlich / Das Huhn jedoch ist fürchterlich. / Es liegt den ganzen Tag im Bett / Und ist zum Laufen viel zu fett!"

Doch auch die anderen Hausbewohner bekommen ihr Fett weg. Myriam Halberstam:

"Jedes Tier kommt mir seiner vorgefassten Meinung und schaut sich die Nachbarn an. Die Häsin zum Beispiel, die hat 20 Kinder und findet die Kuckucksfrau natürlich nicht gut, weil die Kuckuck sich nicht um ihre Kinder kümmert. Und so treffen halt überall die eigenen Anschauungen, die eigenen Lebensweisen und die Lebensanschauungen auf die der anderen Tiere im Haus."

Myriam Halberstam, Leiterin des jüdischen Ariella-Kinderbuchverlags. Eine israelische Freundin brachte sie auf die Idee, "Zimmer frei im Haus der Tiere" auf Deutsch herauszubringen.

"Leah Goldberg ist in Deutschland so gut wie unbekannt. Es gibt nur eine kleine Novelle für Erwachsene, kein Kinderbuch, obwohl sie über 20 Kinderbücher geschrieben hat. In Israel sind viele ihrer Bücher Klassiker, und es mir wirklich ein Rätsel, wieso sie noch nicht übersetzt worden ist."

Mit Mirjam Pressler konnte Myriam Halberstam eine der profiliertesten Übersetzerinnen aus dem Hebräischen ins Deutsche gewinnen.

"Ja, für Mirjam war das ein Leckerbissen, und sie hat sofort, obwohl ich sie gar nicht kannte, ich bin ja nun ein kleiner Verlag, sie hat sofort zugestimmt, dass sie das machen würde, sie hat sich unheimlich darauf gefreut, und es war eine ganz tolle Zusammenarbeit."

"Zimmer frei im Haus der Tiere" ist im Original in Versen geschrieben. Auch im Deutschen reimt sich der Text - eine gelungene Übersetzung. Manchmal allerdings ist die Wortwahl nicht sehr subtil - etwa, als sich das Schwein bei der Wohnungsbesichtigung als Rassist outet und nicht mit der Katze zusammenleben will.

"Die Katze ist schwarz, so schwarz wie Teer / Das erträgt ein Weißer nimmermehr. / Ich sag´s euch gerade ins Gesicht / Ein schwarzer Nachbar passt mir nicht!"

Die Turmbewohner sind außer sich. / Sie schimpfen: "Nein, dich wollen wir nicht!" / Geh, hau doch ab, du dummes Schwein / So einer wie du passt bei uns nicht rein!"

Zum Schluss aber gibt es ein Happy End. Es findet sich ein friedfertiges Tier, das mit allen anderen Nachbarn gerne zusammenleben möchte. Die Handlung wirkt einfach und berechenbar, doch die Botschaft ist differenzierter, als es auf den ersten Blick scheint - und glaubwürdig auch durch die Lebensgeschichte der Autorin. Myriam Halberstam vom Kinderbuchverlag "Ariella":

"Es ist eigentlich gar kein jüdischer Inhalt, es geht nur um Toleranz und Respekt für andere Kulturen und das Zusammenleben in einer Kultur oder in einer Gesellschaft, und es ist eben eine israelische Autorin, eine jüdische Autorin, die aus Deutschland emigrieren musste, ins vorstaatliche Israel."

Im Jahr 1935, als Leah Goldberg aus Deutschland fliehen musste, wurden die rassistischen "Nürnberger Gesetze" erlassen. Doch in "Zimmer frei im Haus der Tiere" geht nicht nur um Rassismus, sondern auch um Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen und Familienformen. Leah Goldberg, die 1970 in Jerusalem starb, führte ein Privatleben, das nicht den gesellschaftlichen Konventionen entsprach.

"Sie lebte sehr, sehr zurückgezogen. Sie lebte mit ihrer Mutter zusammen, sie hat nie geheiratet, und hat dann eigentlich auch ein bisschen trauriges Leben geführt, aber ist eben die Grande Dame der israelischen Literatur."

Sie schrieb schon als Schülerin hebräische Gedichte, sie promovierte im Alter von 22 Jahren, sie beherrschte sieben Sprachen, sie schrieb Lyrik, Prosa und Kinderbücher und übersetzte Tolstoi ins Hebräische. Der unlängst verstorbene Shoah-Überlebende Schmuel Katz, einer der bekanntesten israelischen Zeichner hat das hebräische Original "Zimmer frei im Haus der Tiere" illustriert. Die deutsche Übersetzung wurde von der amerikanischen Künstlerin Nacy Cote bebildert - detailreich und farbenfroh. "Zimmer frei im Haus der Tiere" ist ein Buch für Kinder zwischen drei und sieben Jahren - aber eines, von dem auch Eltern profitieren. Myriam Halberstam:

"Es geht um Toleranz, um Respekt im Zusammenleben, in einer Gesellschaft, in der unterschiedliche Kulturen zusammenleben, und so ein Buch, finde ich, hat in Deutschland gefehlt."


Leah Goldberg: Zimmer frei im Haus der Tiere - Vier Tiere suchen einen Nachmieter
Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler, illustriert von Nancy Cote
Ariella-Verlag, Berlin 2011
32 Seiten, 14,90 Euro
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