Die Erzählung von der "Diktatur" und dem Widerstand dagegen
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Der Täter von Idar-Oberstein fühlte sich provoziert von der Forderung, eine Maske zu tragen. Hat daher die AfD eine Mitverantwortung? Ihr die Schuld zuzuweisen, sei zu simpel, sagt Publizistin Liane Bednarz, doch sie bediene gefährliche Narrative.
Ein Mann erschießt nach einer Auseinandersetzung um das Tragen einer Maske einen Tankstellen-Mitarbeiter: Die Tat in Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz hat auch zur Frage nach politischer Mitverantwortung geführt. In dieser Woche haben da viele Finger in Richtung AfD gezeigt. Die Partei lehnt gerne laut das Masketragen ab und kritisiert die Maßnahmen, wo immer es möglich ist. Zudem ist ihre gesamte Wahlkampf- und Social-Media-Rhetorik nicht gerade deeskalierend.
Eine Schuldzuweisung in dieser Form sei zwar zu simpel, sagt die Juristin und Publizistin Liane Bednarz. Doch man müsse genau hinschauen: "Wer hat diese Agitation gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gefördert? Wer hat aktiv dieses Narrativ bedient, dass wir uns in einer 'Coronadiktatur' befinden?" Gerade an Letzterem habe die AfD sich beteiligt.
Rede von "Coronadiktatur" im Bundestag
So habe etwa Alexander Gauland, Fraktionsvorsitzender im Bundestag, dort von "Coronadiktatur" gesprochen. Jörg Meuthen, Parteivorsitzender, habe das zurückgewiesen. "Aber das hat dieses Narrativ bedient – ohne, dass man sagen kann: Die AfD hat konkret diesen Mann in Idar-Oberstein getriggert und beeinflusst", so Bednarz. Aber das Ganze sei "Teil einer größeren Bewegung, die gegen diese Maßnahmen Stimmung macht – und sich von seriöser Coronakritik, wie sie beispielsweise die FDP geleistet habe, unterscheidet".
Corona habe diese Bewegung weiter radikalisiert, erklärt Liane Bednarz. Sie verwies darauf, dass der Verfassungsschutz vor einigen Monaten bekanntgegeben habe, dass er einen neuen "Phänomenbereich" geschaffen hat: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates".
"Der Haupttrigger ist, dass Menschen in diesem Querdenkermilieu glauben, wir würden in einer Art entweder schon vollendeten oder Quasi-Diktatur leben, und dagegen müsse man Widerstand leisten."
"Schon mit Euro-Schutzmaßnahmen begonnen"
Das habe eine lange Vorgeschichte, die bereits mit den Euro-Schutzmaßnahmen begonnen habe. "Da wurde schon der europäische Stabilitätsmechanismus als 'Ermächtigungsgesetz' bezeichnet – in Anspielung auf 1933." Ähnlich habe es "auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise" auch diese Erzählung gegeben, dass angeblich das Land "geflutet" werde und es einen "Bevölkerungsaustausch" gebe und man dagegen Widerstand leisten müsse. Das sei zum Teil auch passiert durch Sabotageakte wie Busblockaden, Grenzblockaden oder Blockaden von Flüchtlingsheimen. Im extremistischen Bereich seien Leute zur Tat geschritten, sagt Bednarz.
Durch die Coronakrise konnte das rechte Milieu diese Erzählung auf das Coronathema übertragen. "Und man meint, man müsse Widerstand leisten, und man sieht sich tatsächlich im Recht, weil man diese angeblich illegalen Zustände herbeifantasiert."
(abr)